Rough Work
Illustrated Architecture by Smiljan Radić
Text: Drewes, Frank F., Berlin
Rough Work
Illustrated Architecture by Smiljan Radić
Text: Drewes, Frank F., Berlin
Geheimnisvolle Kräfte und Mechanismen treiben viele Autoren dieser Welt zur Verwendung des Etiketts „Stararchitekt“ – selbst die Fachpresse scheut sich oft nicht davor. Der Vergleich mit einem Rockstar ist aber durchaus legitim, wenn die Rede von Smiljan Radić aus Chile ist, dessen Entwürfe die Architekturszene tatsächlich rocken. Schon der Titel der luxuriösen Publikation Obra Gruesa/Rough Work verweist auf den Cutting Edge-Charakter dieser Architektur, die gleichermaßen hochgradig eigenständig ist wie im Kontext der neuen Architektengeneration von Südamerika und speziell Chile steht.
Die Schöpfungen von Smiljan Radić sind, wie das Buch selbst, geheimnisvoll bis märchenhaft. Deswegen verwundert es nicht, dass sich in dem gewichtigen Band auch das Brüder Grimm-Märchen vom Meerhäschen befindet, in dem sich ein Jüngling in einem Fischbauch versteckt. Dieses Bild hat Radić, anhand einer Zeichnung von David Hockney, in baulich skulpturale Form übersetzt und 2010 auf der Architekturbiennale in Venedig gezeigt. Eine Lithografie aus „Le poème de l’angle droit“ von Le Corbusier (1947–53) wurde zur Grundlage für das Ferienhaus von Smiljan Radić und seiner Frau Marcella Correa, die als Bildhauerin wesentlich an vielen Entwürfen beteiligt ist. Dieses schwarze Holzhaus im Wald ist eine wahre Rebellion gegen den rechten Winkel und wirkt wie ein Fabelwesen aus einer Mär. Fotografien, die im dichten Schneetreiben entstanden, unterstreichen diesen Charakter.
2014 wurde Smiljan Radić von Hans Ulrich Obrist eingeladen, den Serpentine Pavillon in London zu entwerfen, der einen begehbaren Stein darstellte, aber von Innen sehr fein und dezent durch eine transluzente Fiberglashülle beleuchtet wurde. Speziell dieses Projekt weckt Assoziationen zum Endless House (ca. 1959) von Frederick Kiesler, der einer der Heroen von Radić ist, denen ein eigenes Kapitel im Buch gewidmet wurde. Neben Kiesler tauchen hier u.a. Fritz Lang, Constant Nieuwenhuys, Piranesi, Gordon Matta-Clark und Andrea Mantegna auf. Der Bogen ist weit gespannt, und genauso ist es auch die Auswahl der 24 Schlüsselwerke, die Radić für Obra Gruesa ausgewählt hat. Gruesa/Rough steht für die rauen und rohen Qualitäten dieser Architektur, die aber hochgradig tektonisch wirkt, ohne sich eines technoiden Ausdrucks zu bedienen. Was zuweilen wie improvisiert erscheint, entsteht auf Grundlage ausgeklügelter Werkplanungen, die einen Großteil dieses Buches ausmachen. Fein, bunt und voller Informationen, sind sie nur schwer als räumliche Repräsentationen zu lesen, erfordern dafür eine intensive Auseinandersetzung, ein sich Hereinfuchsen. Im Kontext unterstützen sie das hervorragende Design dieser Monografie, die sich tatsächlich spannend wie ein Roman und beflügelnd wie ein Märchenbuch verschlingen lässt.
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