Bauwelt

Städtebau unter Salazar

Diktatorische Modernisierung des portugiesischen Imperiums 1926–1960

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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Städtebau unter Salazar

Diktatorische Modernisierung des portugiesischen Imperiums 1926–1960

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Erneut hat Harald Bodenschatz zusam­men mit einem Team ein Grundlagenwerk zur Architektur unter Diktatoren vorgelegt. Nach „Städtebau im Schatten Stalins“ (Bauwelt 38.2003) und „Städtebau für Musso­lini“ (Bauwelt 12.2012) gilt der dritte Band der Entwicklung von Architektur und Städtebau im faschistisch regierten Portugal. Dieses Buch lohnt auch deshalb, weil die dortige Geschichte, im Unterschied zur sowjetischen und italienischen, hierzulande wenig bekannt ist. Tatsächlich ist es die erste umfassende Darstellung zum Thema: einerseits eine enorme Fleißarbeit, weil unzählige Quellen in Archiven und Literatur ausgewertet wurden, zum anderen eine interpretatorische Leistung, weil sowohl die Parallelen als auch die markanten Unterschiede zu den anderen Diktaturen herausgearbeitet werden.
Der wichtigste Unterschied war, dass Portugal unter Salazar nicht nach Expansion strebte, sondern das „Imperium“ mit den beiden großen Kolonien Moçambique und Angola bewahren wie auch ausbauen wollte. Auf dieses Ziel hin waren alle Aktivitäten des 1933 ausgerufenen „Estado Novo“ (Neuer Staat) ausgerichtet. Auch in ihm war der Städtebau ein Medium der Propaganda: „Er diente der Legitimation der Herrschaft, der Produktion von Zustimmung, der Demons­tration von Stärke, Effektivität und Schnelligkeit.“ Salazar wurde als merkwürdiger Diktator bezeichnet, da er ursprünglich Universitätsprofessor für Wirtschaft war. 1928 vom bereits damals autoritären Regime zum Finanzminister berufen, bestand sein erster Erfolg darin, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen.
Mit diesem Nimbus baute Salazar seine Herrschaft konsequent aus. Seine Motive waren nicht so sehr klerikal, weltanschaulich oder militaristisch bestimmt. Salazar sah seine Mission darin, Portugal durch einen staatswirtschaftlichen Dirigismus zu modernisieren. Alle Befugnisse wurden in Lissabon als „Hauptstadt des Imperiums“ zentralisiert, die kommunale Selbstverwaltung bei Planen und Bauen etwa beseitigt. Mehr noch als der Städtebau stand die Infrastruktur mit neuen Straßen, Bahnlinien und Staudämmen im Mittelpunkt der straffen Politik. Deshalb wurde der Ingenieur höher geschätzt als der Architekt und Städtebauer. In diesem Einparteienstaat, repressiv nicht zuletzt durch die Geheimpolizei, hatte vor allem die Technokratie das Sagen.
Harald Bodenschatz und seine Mitarbeiter unterscheiden vier Phasen. Auf die Startpha­se folgte von 1932 bis 1943 das „heroische Jahrzehnt“ der Diktatur. Höhepunkt war 1940 die monumental angelegte „Ausstellung der Portugiesischen Welt“ in Belém. Diese Leistungsschau zielte darauf ab, die innere Einheit im faschistischen Staat zu beschwören und den Anspruch auf die Überseegebiete zu legitimieren. Die Ausstellung mit dem riesigen „Denk­mal der Entdeckungen“ am Ufer des Tejo wirkte so eindrucksvoll, dass sogar der antifaschis­tische Flüchtling Antoine de Saint-Exupéry vom „Triumph dieser Ausstellung äußersten Geschmacks“ schwärmte. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die politischen und wirtschaftlichen Karten neu gemischt. War in den 1930er Jahren der Städtebau des italienischen Faschismus ein Vorbild, so nahmen nun angloamerikanische Einflüsse zu. Der Monumentalstil wurde durch moderne Bauformen ersetzt, wie das Buch besonders am neuen Lissabonner Stadtteil Alvalade dokumentiert. Die Prosperität ging aber auch deshalb zu Ende, weil die portugiesischen Kolonialkriege in Afrika immer größere Anteile am Staatshaushalt verschlangen. So konstatiert das Buch für die Jahre 1961 bis 1974 (dem Zusammenbruch der Diktatur durch die „Nelkenrevolution“) einen Verfall der staat­lichen Handlungsfähigkeit mit der Folge eines chaotischen Stadtwachstums.
Das auch mit Zeichnungen, Plänen und Karten üppig illustrierte Buch kann hier angesichts der vielen Einzelthemen nur skizziert werden. Ausführlich erläutert wird nicht nur der Städtebau in den beiden großen Städten Lissabon und Porto. Auch die Entwicklung in kleineren Städten und auf dem Lande haben die Autoren untersucht. Ein weiteres Kapitel gilt den Kolonialstädten, darunter die „Modellstadt Beira“ in Moçambique, deren heutigen, teils erbärmlichen Zustand Harald Bodenschatz in Fotografien festgehalten hat. Abgerundet wird das Buch durch die Wiedergabe der rechtlichen und institutionellen Bedingungen. So wird im Ganzen gesehen klar, auf welchen Schultern die heutigen Weltarchitekten Álvaro Siza und Eduardo Souto de Moura stehen.
Fakten
Autor / Herausgeber Harald Bodenschatz und Max Welch Guerra (Hrsg.)
Verlag DOM Publishers, Berlin 2019
Zum Verlag
aus Bauwelt 20.2021
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