Bauwelt

Die Ausstellung fragt nicht, wer in welchem Stil gebaut hat, sondern nach den Produktionsprozessen

Ein Gespräch mit dem Kurator Benedikt Goebel und der Projektleiterin Carolin Schönemann über das Bauen im National­­so­zialismus

Text: Costadura, Leonardo, Berlin; Schade-Bünsow, Boris, Berlin

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    Benedikt Goebel Historiker, seit 2011 Inhaber des Büros stadtforschung berlin, Kurator und Buchautor, 2017–2019 Gastprofessor an der Berliner Hochschule für Technik, Stellvertretender Vorsitzender der Stiftung Mitte Berlin
    Foto: Jasmin Schuller

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    Benedikt Goebel Historiker, seit 2011 Inhaber des Büros stadtforschung berlin, Kurator und Buchautor, 2017–2019 Gastprofessor an der Berliner Hochschule für Technik, Stellvertretender Vorsitzender der Stiftung Mitte Berlin

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    Carolin Schönemann Kunsthistorikerin, Sekretär der Sektion Baukunst an der Akademie der Künste, Projektleiterin der Ausstellung
    Foto: Jasmin Schuller

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    Carolin Schönemann Kunsthistorikerin, Sekretär der Sektion Baukunst an der Akademie der Künste, Projektleiterin der Ausstellung

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    Von links nach rechts: Leonardo Costadura, Boris Schade-Bünsow, Benedikt Goebel und Carolin Schönemann in der Akadamie der Künste am Pariser Platz in Berlin
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    Von links nach rechts: Leonardo Costadura, Boris Schade-Bünsow, Benedikt Goebel und Carolin Schönemann in der Akadamie der Künste am Pariser Platz in Berlin

    Foto: Jasmin Schuller

Die Ausstellung fragt nicht, wer in welchem Stil gebaut hat, sondern nach den Produktionsprozessen

Ein Gespräch mit dem Kurator Benedikt Goebel und der Projektleiterin Carolin Schönemann über das Bauen im National­­so­zialismus

Text: Costadura, Leonardo, Berlin; Schade-Bünsow, Boris, Berlin

In der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin ist vom 19. April bis zum 16. Juli die Ausstellung „Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus“ zu sehen. Die Schau ist die Quintessenz eines fast sechsjährigen Forschungsprojektes einer unabhängigen Historikerkommission, die 2017 vom Bundesbauministerium mit der Aufarbeitung der Geschichte der Baubehörden zwischen 1933 und 1945 beauftragt wurde. In der Akademie der Künste hatte der Generalbauinspektor der Reichshauptstadt, Albert Speer, seit 1937 seine Räumlichkeiten – somit ist sie genau der richtige Ort für diese Ausstellung.
An welchem Punkt der Debatte zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte verorten Sie das Projekt?
Goebel
Es war schon relativ spät, 2017, als das Bundesbauministerium hat fragen lassen, was Planung im NS bedeutet hat und wer Verantwortung getragen hat. Und wie viele der Herren, es waren alles Herren, auch nach der Gründung der BRD weiterhin in den Baubehörden tätig waren, beziehungsweise im Wiederaufbauministerium der DDR. Im letzten Saal der Ausstellung beleuchten wir 150 Biografien. Diejenigen, die am Ende des Krieges nicht zu alt waren oder im Krieg gestorben sind, haben alle ihre Karrieren fortgesetzt, im privaten Büro oder im Staatsdienst. 14 von den Herren haben noch ein Bundesverdienstkreuz bekommen, obwohl viele für schlimmste Produktionsbedingungen in der Bautätigkeit während der NS-Zeit verantwortlich gewesen waren.
An wen richtet sich die Ausstellung?
Goebel
Sie richtet sich an eine breite Öffentlichkeit. Die Fachöffentlichkeit ist auch herzlich eingeladen, aber die Schau soll für alle geeignet sein. Den 420 Abbildungen haben wir einen erklärenden Text beigefügt, der nicht nur das wer, was, wann, woher klärt, sondern auch sagt, was an dieser Zeichnung, jenem Foto interessant ist. Es gibt außerdem eine kleine Stele mit „core messages“. Da steht, was die Ausstellung meint und was wir als Fazit der Ausstellung ansehen.
Was wird neben den Bildern noch zu sehen sein?
Goebel
Schwarzweißfotografie dominiert die Ausstellung, im Zentrum steht aber etwas Raumbildendes. Unsere Kernthese ist, dass das Verbrecherische des Bauens im NS die Produktionsbedingungen waren, vielmehr als die Formen des neuen Klassizismus oder die übersteigerte Monumentalität ihrer Architektur. Deshalb steht ein Baustoffe produzierendes KZ im Mittelpunkt. Im großen Saal steht ein von uns selbst in Auftrag gegebenes Modell des KZ Flossenbürg. Dort, wie in einigen anderen Konzentrationslagern, wurden Baustoffe gewonnen, in diesem Fall Granit. Das Modell ist drei mal zwei Meter groß. Der Designer Dirk Böing hat dafür eine Videopro­jektion erstellt, die das KZ-Gelände erklärt. Das ist ein interaktives Element, das sonst in der Ausstellung wenig vertreten ist. Wir haben nicht viele Spiel- und Bastelecken, weil wir fanden, das sei dem Thema nicht angemessen.
Schönemann
Außerdem haben wir historische Modelle: Das einzige noch erhaltene Modell aus der Zeit ist das von Hermann Giesler, die Ost-West-Achse in München, ein Lindenholzmodell. Wir haben einige Originalpläne zu Berlin aus dem Landesarchiv, und wir haben auch jüngere Modelle aus der Ausstellung „Germania“ von 1984: Da gab es das Modell der großen Halle in Berlin, im Größenvergleich zum Reichstagsgebäude und zum Brandenburger Tor. Das werden wir noch einmal zeigen und ein Modell vom Olympiastadion, das aus dem Sportmuseum kommt.
Seit die Nationalsozialisten an der Macht waren, wurde in der Bauwelt fast nur noch Heimatschutz-Architektur publiziert…
Goebel
Man kann die NS-Architekturgeschichte in drei Phasen teilen. In den ersten Jahren von 1933 bis 1937 dominierten die Agrarromantik, die Stadtfeindschaft und der Kleinsiedlungsbau auf dem Land. Außerdem die Altstadtsanierung, die hier abbrechen und Zeilenbauten errichten heißt. Aber dieses Projekt scheitert: Die Nazis starten mit der Behauptung, dass anders als in der Weimarer Zeit nun jede Menge Wohnungen geschaffen würden, aber sie entscheiden sich ganz früh, das Geld in die Aufrüstung zu stecken, in staat­liche Repräsentationsbauten und nicht in den Wohnungsbau. In der mittleren Phase machen die Nationalsozialisten heroische Pläne mit riesigen Grundrissen, und ab 1941/42, in der dritten Phase, gibt es keine Baustellen mehr außer Rüstung und wenige Repräsentationsbauten. Da machen sie nur noch Kasernen und Baracken. Das ist ein riesiges Scheitern. Es gibt die Legende einer Nische, wo sich der moderne Wohnungsbau gerettet hätte, das sei Hitler entgangen. Aber der Diktatur entging gar nichts. In der Industriearchitektur bei Rimpl & Co., einem Büro mit mehreren hundert Mitarbeitern, wurde dezidiert auch modern gebaut unter dem Auge des Parteiapparats. Das war keine widerständige Architektur, sondern Staatsauftrag.
Ist die Nazi-Architektur so etwas wie stein­gewordene Gewalt?
Schönemann
Es wurde ja viel Repräsentationsarchitektur geplant: groß, größer, noch größer. Das spielte damals auch eine große Rolle im Propagandafilm. Aber gebaut wurde letztendlich nicht viel. Die Gewalt liegt vor allem in der Gewinnung des Baumaterials durch Häftlinge und Zwangsarbeiter.
Wie beliebt war die Bautätigkeit der Natio­nalsozialisten denn damals bei der Bevölke­rung?
Goebel
Die Legitimierung des Regimes lief ganz stark über Architektur. Der Reichsleiter Robert Ley verspricht noch im Frühjahr 1945, dass bald nach dem Kriegserfolg 20 Millionen Zwangsarbeiter eingesetzt werden, damit jeder sein Haus wieder aufbauen kann und jeder deutlich mehr Quadratmeter bekommt als vorher.
Wie kam es zum Titel der Ausstellung?
Goebel
Die drei Begriffe „Macht Raum Gewalt“ drücken für uns das zentrale Merkmal aus: Der raumgreifende Machtanspruch der Parteidiktatur dominierte das ganze Bauen. Zu der staatlichen Institution entsteht eine Parteikonkurrenz, die den Staat Stück für Stück übernimmt. Wer Parteiarchitekt war, der war nicht für den Staat, sondern in Hitlers Parteiauftrag tätig.
Welche Ziele verfolgten die Nazis städtebaulich und architektonisch in Osteuropa?
Goebel
Eine völlige Neustrukturierung. Das ist ja das Perfide, dass sie nicht nur dazukommen wollten, sondern dass sie die Bevölkerung Osteuropas unterteilten in „lebenswert“ und „nicht lebenswert“. Sie begannen mit der Aktion Zamość, die „nicht Eindeutschungsfähigen“ umzusiedeln oder in die Vernichtungslager zu deportieren. Und dann zu bestimmen, wer „aufzunorden“ sei oder „rassisch mittelwertig“. So beseitigten sie die lokale Bevölkerung, um dann einige wenige Neubauern aus dem Altreich dahin zu schaffen.
Gab es Architekten, die gestalterischen und schöpferischen Freiraum hatten?
Goebel
Es gibt das Beispiel von Hans Scharoun, von dem gesagt wird, seine Häuser seien nach vorne ein bisschen traditioneller und im Gartenbereich dann moderner mit großen Fenstern und freien Formen. Aber das ist heikel. Die Ausstellung fragt nicht danach, wer wann in welchem Stil gebaut hat, sondern nach den Produktionsprozessen. Die künstlerische Dimension ist nicht so wichtig und steht nicht im Mittelpunkt der Ausstellung. Wir würden nicht sagen, dass jemand, der vor 1945 in modernen Formen gebaut hat, per se ein guter Mensch war oder unschuldig. Und jemand, der in traditionellen Formen baute, per se Nazi war. Das ist die Sicht der Nachkriegszeit. Die Architekten, nicht alle, aber mehrheitlich, hatten Dreck am Stecken. Sie waren an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt. Sie haben gewusst, dass Zwangsarbeiter für ihre Bauten eingesetzt wurden, das können wir nachweisen. Und sie entnazifizierten sich nach 1945 angeblich dadurch, indem sie in modernen Formen bauten, wie zum Beispiel der Reichsarchitekt der Hitlerjugend, der das Café Kranzler entwarf.
In Nürnberg wird gerade darüber diskutiert, ob in das Hufeisen der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände die Oper hineingebaut werden soll. Was ist für Sie ein angemessener Umgang mit dem gebauten Erbe der Nationalsozialisten?
Schönemann
Wir streben an, Debatten anzustoßen, wie man generell mit dem gebauten Erbe der Nationalsozialisten umgehen sollte. Wir werden im Sommer dazu ein Symposium machen. In der Ausstellung haben wir kleinere Beispiele, aber auch die großen: das Berliner Olympiasta­dion, Nürnberg, Prora, das Haus der Deutschen Kunst in München…
Goebel
… der Deutsche Pavillon in Venedig…
Schönemann
Genau. Nürnberg ist deshalb so spannend, weil da ja schon alles Mögliche gemacht wurde seit Ende des Krieges. Wir zeigen einen Film, wo die Amerikaner das Hakenkreuz sprengen, 1945. Wir haben aber auch ein Foto eines Jahrmarkts auf dem Gelände. Es gab sogar Pläne für große Einkaufspassagen.
Goebel
Unser Fazit ist, dass der Umgang mit dem Nazi-Bauerbe eine Herausforderung bleibt. Wir sollten die Nürnberger nicht alleinlassen mit dem, was sie da machen oder nicht machen. Das ist eine Aufgabe für den Bund.
Schönemann
Absolut. Für mich ist Prora dasselbe: Da guckt keiner mehr hin. Das Dokumentationszentrum, das immer nur ein Alibi war, wird immer kleiner und kleiner, und die Eigentumswohnungen werden immer teurer und teurer. Es wäre eine Bundesaufgabe, dort einzugreifen.
Sie stellen die Biografien von 150 Architekten und Beamten vor, von denen die meisten auch nach dem Krieg noch aktiv waren. Ist Ihnen dabei ein Muster aufgefallen?
Goebel
Das Muster ist folgendes: Manche werden angeklagt und kriegen ein bisschen Ärger. Sie haben vorübergehende Arbeitsverbote oder Einschränkungen. Aber ganz dominant ist, dass sie nach dem Krieg weiter beruflich erfolgreich sind, fast alle. Manchmal sind sie erst in einem privaten Büro tätig, bevor sie dann wieder in den Staatsdienst kommen. Karl Reichle, der in der Reichsbauverwaltung für die KZ-Abrechnungen zuständig war, ist nachher der erste Direktor der Bundesbaudirektion in Bonn geworden. Musste es ausgerechnet der Kollege sein?
Wie stand es um die gesellschaftliche Anerkennung der Nazi-Architekten in Nachkriegsdeutschland?
Goebel
Bestens. Alle in Westdeutschland haben sich ja entschuldigt mit Hilfe von Albert Speer. Speer, ein Großbürgersohn, ein elegant auftretender Herr, der verführt worden war, der ein bisschen Reue gezeigt hat in Nürnberg, der dann freikam und wieder mitten in der Gesellschaft stand. Er war beliebt. Mit ihm sehen wir den ganzen Berufsstand entschuldet. Welchen anderen NS-Architekten kennt man, wenn man Leute auf der Straße fragt? Kein einziger Name kommt da. Auch nicht Giesler. Auch nicht Kammler und Rimpl, die Macher. Hans Stephan wurde in Berlin Senatsbaudirektor…
Schönemann
…und Heinrich Lübke wird Bundespräsident. Sie haben nach den Mustern in den Biografien gefragt. Ich fand es interessant, dass es in Westdeutschland mehrheitlich die NS-Beamten und -Justitiare waren, die in den Baubehörden saßen, während es in Ostdeutschland die Architekten waren. Kurt Liebknecht ist der Bekannteste. Jedenfalls gibt es weder im Westen noch im Osten eine Stunde Null.
Man hat erst sehr spät angefangen, den Speermythos zu dekonstruieren. Ist dieser Mythos noch lebendig?
Goebel
Der ist quicklebendig. Viele glauben noch heute, dass er ein guter Organisator, ein großes Talent war. Und dass er sich von Hitler hat korrumpieren lassen. Dabei war er Nazi durch und durch und war bereits 1932 in der Partei. Er war auch in der SS. Bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Oberfi­nanz­direktion in Berlin kamen Unterlagen zutage, die zeigen, wie die Deportationen konkret organisiert wurden. Der Generalinspektor führ­­te Listen darüber, welche jüdischen Berliner ihre Wohnungen räumen mussten – diese Listen stellten Speers Mitarbeiter zusammen, die als Generalbaudirektion wussten, wer wo wohnt. Wie kann man direkter am Holocaust beteiligt sein, als dadurch, dass man diese Listen zusammenstellt? Das alles ist eigentlich schon lange bekannt, aber die deutsche Mehrheitsgesellschaft nimmt es immer noch nicht an.
Schönemann
Deshalb machen wir die Ausstellung kostenlos. Sie ist finanziert vom Bundesbauministerium, mit 10 Prozent Eigenmitteln der Akademie der Künste. Ein Katalog, der 320 Seiten umfasst, kostet 20 Euro.
Goebel
Es gibt eine Überfülle an Informationen. Wir möchten, dass die Besucher wiederkommen. Die Ausstellung geht ein Vierteljahr. Da kann man sagen: In ein paar Wochen gehe ich nochmal rein.

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