Ein Haus funktioniert nicht wie ein Smartphone
Ein Gespräch mit dem Münchner Architekten Florian Nagler über Einfaches Bauen im Dezember 2020.
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
Ein Haus funktioniert nicht wie ein Smartphone
Ein Gespräch mit dem Münchner Architekten Florian Nagler über Einfaches Bauen im Dezember 2020.
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
Vor kurzem konnte man in der FAZ lesen: Florian Nagler sieht die Zukunft des Bauens im Gestern, nein: im Vorgestern.
Na ja, die Presse. Was wir machen, ist eher avantgardistisch als rückwärtsgewandt. Dazu zählt, dass seit meinen frühesten Projekten klimaschonendes Bauen eines meiner zentralen Anliegen ist. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn die Projekte größer, die Aufgaben vielfältiger, der Radius weiter wurde. Ein Meilenstein war das Schmuttertal-Gymnasium, ab 2015 mit Hermann Kaufmann geplant; ein großer Schulbau, Standard Energie+, reiner Holzbau, offene Lernlandschaft, umfangreiches Monitoring (Bauwelt 7.2016). Dieser zukunftsweisende, helle Bau wirft einen Schatten: Nahezu die ganze Unterkellerung ist mit Klimatechnik gefüllt, und der Arbeitsplatz des Hausmeisters erinnert an das NASA-Kontrollzentrum. Da zeigt sich der Gipfel einer Entwicklung, die ich befürwortet, begleitet, vorangetrieben hatte: eine Pyramide technischer Einrichtungen, bei der ein Problem technischer Innovation mit je einer neuen beantwortet wird und das Ganze eine Komplexität erreicht, die kaum handzuhaben ist. Mein Schluss: Die Richtung stimmt nicht mehr. Und: Wir müssen uns auf das besinnen, was Architektur, was Bauen kann.
Damit kommt wieder zu Ehren, wie Bauen vor unserer Zeit praktiziert wurde.
Was man da lernen kann! Wie man mit Problemen zurechtkommt ohne all das technische Equipment. Das hat mir eines unserer letzten Projekte vor Augen geführt, der Wiederaufbau der gotischen Kirche St. Martha in Nürnberg. Welche technische Intelligenz, wie sparsam nach statischen, aber auch gestalterischen Kriterien mit dem Stein umgegangen wurde, wie sinnvoll je nach Baustoff konstruktive Systeme angepasst wurden. Man merkt: Wie genau man überlegt, wenn man etwas eigenhändig bewegen muss.
Demgegenüber heute: in jeder Hinsicht technische Überwältigung.
Wir wollen es richtig machen: ressourcenschonend, regenerativ, Holzbau, Energie+. Die Technik dafür steht zur Verfügung. Gibt es eigentlich Grenzen? Ich habe sie gesehen; wir müssen die Mittel, die wir einsetzen, neu in den Blick nehmen. Weniger technische Apparate in den Bau, mehr (technische) Intelligenz in Planung, Simulation, Forschung – und Inspiration, wie sie von Baumschlager Eberles Gebäude „2226“ ausgeht.
Eberle hat einen Paradigmenwechsel vollzogen, indem er die Aufrüstung durch Haustechnik radikal zurücknahm und auf die Intelligenz herkömmlicher Baukonstruktion setzte. Doch ist das verstanden worden? Wer zählt die kommenden Verordnungen und Richtlinien zum Green New Deal? Ungebrochen werden Innovationen angepriesen: zu Effizienzsteigerung und Steuerung, zu Klimaschutz, Sicherheit, Energieeinsparung. Das intelligente Haus als totale Mobilmachung der Technik.
Ich bin mir aber sicher: Das Haus funktioniert nicht wie ein Smartphone. Da muss man in anderen zeitlichen Dimensionen denken. Ein schönes Beispiel aus unserem Büro: Wir haben hier eine CNC-Fräse zum Modellbau, daneben steht ein Rechner; der geht nicht mehr, weil es kein Software-Update gibt, weil die Firma pleite ist. Wir zeichnen auf modernen Rechnern, die kennen kein Disketten-Laufwerk mehr, es braucht Kaskaden von Umwandlungen; die Fräse funktioniert perfekt, aber wir kommen nicht mehr ran und werden sie demnächst wegwerfen. Das kann nach meiner Vorstellung nicht die Zukunft von Hausbau sein – mit der nächsten Innovationswelle Abbrechen und Entsorgen, weil wir die Technik nicht mehr bewältigen.
Das System von Innovation und Beschleunigung frisst seine Kinder.
Wir müssen abrüsten. Zum einen: Steuerung nur da, wo nötig. Das folgt aus der Maxime unseres Forschungsprojekts: Dauerhaftigkeit – die graue Energiebilanz eines 100-jährigen Hauses interessiert uns. Zum anderen: Technik so einfach wie möglich – ein anderes Wort wäre robust. Das meint mehr, als die Umgangssprache sagt. In der Verfahrenstechnik ist dieser Begriff geläufig, wie Thomas Auer präzisiert: Robustheit ist eine Alternative zu Methoden herkömmlicher Technologie, die ein Ziel fokussiert und Nebeneffekte ausschließt. Anstatt mit höchstem Aufwand und geringer Breitenwirkung ein Maximum anzustreben, setzt Robustheit bei leistbarem Aufwand auf ein Optimum. Das Resultat spricht meist dafür. Also: Nicht Verweigerung von Technik, sondern Angemessenheit – übersichtlich, verständlich, handhabbar, reparierbar. Sowenig Komplexität, Vernetzung, Automatismus wie möglich.
Das hat Konsequenzen fürs Bauen.
Wenn ich mich darüber ärgere, dass mir der freie Blick zum Fenster hinaus vom automatischen Sonnenschutz verwehrt wird, oder ich mit gestörten Wechselwirkungen rechnen muss, wenn ich eingreife, dann bleibt mir nur: auf diese Installation verzichten. Dann muss ich mit der Sonneneinstrahlung anders umgehen, die Lage und Größe des Fensters überlegen, seine Position im Wandaufbau. Ich werde anders entwerfen. Und mich davor hüten, „kompliziert“ zu entwerfen, und dann glauben, einfach bauen zu können.
Was dieses „einfach“ für ein Wohnhaus bedeutet, war die Frage eures Forschungsprojekts. Und darüber hinaus wolltet ihr wissen, was das für die drei verbreitetsten Bauarten bedeutet.
Ein wichtiges Bauteil ist die Außenwand. Die ist heute oft eine hochkomplexe „Maschine“: zahlreiche Schichten, jede ein Spezialist, genauso viel Schnittstellen, mithin Konfliktpotenzial; potenzierter Entsorgungsaufwand. Was wir angestrebt haben: Komplexitätsreduktion, nach Möglichkeit sortenreiner Aufbau. Untersucht wurden: Beton, Ziegel, Holz. Natürlich sind das heute hochentwickelte Baustoffe: Blähbeton, Dämmziegel, Brettsperrholz-Tafel mit Lufteinschlüssen. Auf diese Weise massiv zu bauen heißt, sparsam mit Öffnungen umzugehen. Man baut „römisch“, Opus caementicium, was wandbetonte Volumen ergibt. Einfach heißt dann auch, Wandöffnungen niedrigkomplex zu überbrücken – ohne Stürze. Beim Beton ergibt eine material- und werkgerechte Ausführung des oberen Abschlusses einen Rundbogen, beim Ziegel einen Segmentbogen, beim Holz den waagrechten „Balken“.
Die genannten Baustoffe fallen nicht durch Spitzenwerte bei Zug oder Druck sowie bei Dämmung oder Speicherung auf.
Gerade beim Klima ist das wichtig: Dämmung und Speicherung müssen in ein ausgeglichenes Verhältnis gesetzt werden – das ist zu betonen bei der noch immer herrschenden Präferenz für Dämmung. Die Häuser erfüllen alle Anforderungen der EnEV; Passivhaus oder Energie+ war nie angestrebt. Dafür ist die Nutzung unproblematisch: Temperatur, Klimapuffer, Fensteröffnen funktionieren uneingeschränkt.
Ihr habt Euch zu Beginn intensiv mit Raumzuschnitten befasst.
Ausgehend vom geforderten Tageslichtquotienten wurde ein Raum von 18 Quadratmetern bei variierender Tiefe, Breite, Höhe und Fensterzuschnitt hinsichtlich Wärmeverlust, Sonneneinstrahlung und Belichtung optimiert. Immerhin 2605 Simulationen! Auch da: ein robustes Volumen von 3 x 6 x 3 Metern – nimmt man gebräuchliche Räume als Maßstab. Vielleicht mit Ausnahme der Höhe von 3 Metern, die aber im bürgerlichen Bauen um 1900 verbreitet ist. Das ergibt ein größeres Luftvolumen und mehr Wandfläche, was Speicher- bzw. Puffervermögen zugutekommt. Und – was uns wichtig war – entspannt das Thema der eigenen Handhabung des Fensters. Insgesamt ein Zugewinn an Wohlgefühl in einem gebräuchlichen Raum, der vielfältig nutzbar und damit wandlungsfähig ist – ein wichtiger Faktor für Nachhaltigkeit und damit bezahlbaren Hausbau.
Auch hier geht der Weg vom überspannten, individualistischen hin zum entspannten, unspektakulären. Das lässt sich auch für das Bild der Häuser sagen, so uniform wie sie dastehen. Ein Kritiker meinte: etwas kasernenhaft.
Ob es daran liegt, wie sie aufgereiht sind? Das ist dem Experiment geschuldet. Aber ich räume ein: Das ist nicht alles. Wir haben von vielfachen Formen der Abrüstung gesprochen, die ich für unerlässlich halte. Wieso sollte das Formale hintanstehen? Ich sehe ein enormes Potenzial, einen gestalterischen Gewinn.
Wobei dies Formale in all die Überlegungen eingebettet ist, nicht Ziel ist im Sinn einer Neuen Einfachheit.
Es geht um ein Bauen als Ganzes, im Bauen begründet und nicht überfrachtet mit politischen, kulturellen, ästhetischen Ansprüchen. Das Potenzial, das ich sehe, steckt in erheblichem Maß im Bauen selbst und mit jeder Fertigstellung, ob kleines Detail oder große Form, lernen wir, das Eingeständnis mancher Fehler eingeschlossen. Das führt einen zum elementaren Vokabular, das die Architektur seit je bereithält. Auch in diesem Sinn ist rurale Architektur für mich immer Inspiration gewesen. Dass ich als Zimmerer zur Architektur gekommen bin, war sicher hilfreich, Zeitgeistiges auf Distanz zu halten. Aber natürlich habe auch ich Zeit gebraucht, mich von falschen Abstraktionen zu befreien. Wer weiß, wieso die Bauernhöfe des Oberlandes wurden, wie sie sind, wer diese mag, der tut sich mit überspitzen Details und formaler Finesse schwer. Jasper Morrison hat das wunderbare Wort supernormal erfunden. Nach all den Jahren Praxis in Planung und Lehre habe ich mit dem Projekt „einfach bauen“ das Gefühl: ich habe erstmals wieder Boden unter den Füßen, weiß, was zählt; eine gestalterisch verständliche Sprache ist möglich.
Sprache verträgt sich schlecht mit Spitzfindigkeiten, sie lebt mit Zweideutigkeiten. Einmal mehr: Das zeigen die Versuchsbauten auch im Detail – Perfektion, Materialkult, Minimalismus sucht man vergeblich.
Die Konzentration auf Material und Fügung stellt gewiss eine Qualität dar; wird daraus ein Minimalismus mit riesigem Aufwand, stellen sich mir alle Haare auf. Ich will verstehen, wie etwas zusammengeht, wie es strukturiert ist. Die perfekte Oberfläche ist nicht mein Thema. Beim Ziegelhaus wollten wir bei der händischen Herstellung der Fensterlaibung auf Putzschienen verzichten; mit einem Anschlagbrett ist das kein Problem. Daraus haben wir für die Wandflächen Führungsbänder abgeleitet, farblich geringfügig abgesetzt, die nun die Fassade als Ganzes gliedern – und im Detail so rau sind wie der Stoff selbst.
Da zeigt sich deine Herkunft aus dem Handwerk. Was sein Werk anbelangt, hat der Handwerker ein hohes Ethos. Aber es bleibt Einzelstück, zeigt Spuren des Fertigens. Das ist ein grundlegender Unterschied zur Produktqualität des designten Industrieprodukts. Ein apple-Bildschirm ist in seiner rätselhaften Fügung geradezu ein Mirakel. Ist das nicht die Sprache unserer Welt? Deine Versuchshäuser sprechen da eine ganz andere Sprache.
Definitiv! Mir ist wichtig, es nicht zu weit zu treiben, lässig zu bleiben, man kann auch sagen, gelassen, den Stress der Perfektion zurückzuhalten. Robust heißt: mit Nebeneffekten rechnen, und das sind die Bewohner. Die wollen nicht belehrt werden. Das Haus, das ich mir wünsche, lebt durch den Gebrauch, darf dadurch keinen Schaden nehmen und soll Wandel ertragen.
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