Bauwelt

Es gibt wenig, was technisch nicht machbar wäre

Arne Arns ist seit März 2020 Juniorprofessor für Küstenschutz und Küstendynamik an der Universität Rostock. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderungen, vor die das Meer Stadt und Land stellt. Ein Plädoyer für den Austausch zwischen Ingenieuren, Architekten und Stadtplanern.

Text: Landes, Josepha, Berlin

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    Das Sturmflutsperrwerk M.O.S.E. soll die Lagune von Venedig schützen. Es ist bei vielen Bürgern un­beliebt und laut einiger Experten bereits überholt.
    Foto: Luca Zanon, Getty Images

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    Das Sturmflutsperrwerk M.O.S.E. soll die Lagune von Venedig schützen. Es ist bei vielen Bürgern un­beliebt und laut einiger Experten bereits überholt.

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    Arne Arns ist Wasserbau­ingenieur. Seine Spezialgebiete, die er an der Univer­sität Rostock unterrichtet, sind Küstenschutz, Meeresspiegeländerungen undSturmflutschutz.
    Foto: privat

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    Arne Arns ist Wasserbau­ingenieur. Seine Spezialgebiete, die er an der Univer­sität Rostock unterrichtet, sind Küstenschutz, Meeresspiegeländerungen undSturmflutschutz.

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    Die Niederhafenpromenade von Zaha Hadid Architects wurde 2019 fertiggestellt.
    Foto: Piet Niemann

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    Die Niederhafenpromenade von Zaha Hadid Architects wurde 2019 fertiggestellt.

    Foto: Piet Niemann

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    Für die BUGA 2025 soll u.a. der Rostocker Stadthafen umgestaltet werden. Das Konzept stammt von SINAI. Damit die Stadt weiterhin vor dem Meer geschützt bleibt, gewinnt der Sturmflutschutz an Bedeutung – Ideen dafür stehen aus.
    Visualisierung: Jens Gehrcken/sinai

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    Für die BUGA 2025 soll u.a. der Rostocker Stadthafen umgestaltet werden. Das Konzept stammt von SINAI. Damit die Stadt weiterhin vor dem Meer geschützt bleibt, gewinnt der Sturmflutschutz an Bedeutung – Ideen dafür stehen aus.

    Visualisierung: Jens Gehrcken/sinai

Es gibt wenig, was technisch nicht machbar wäre

Arne Arns ist seit März 2020 Juniorprofessor für Küstenschutz und Küstendynamik an der Universität Rostock. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderungen, vor die das Meer Stadt und Land stellt. Ein Plädoyer für den Austausch zwischen Ingenieuren, Architekten und Stadtplanern.

Text: Landes, Josepha, Berlin

Ihr Vater und Ihre Schwester sind Architekt/in. Unterhalten Sie sich über Überschneidungspunkte Ihrer Fachgebiete?
Mein Vater war bis letztes Jahr Vizepräsident der Architektenkammer NRW. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem es immer ums Bauen ging. Meine Schwester hat Architektur studiert und ist zunächst bei gmp gelandet. Ich habe mich für die technische Komponente entschieden, bin sozusagen etwas abgedriftet. Wir unterhalten uns regelmäßig über Themen, die unsere Arbeit betreffen. Mein Vater interessiert sich sehr für die Herausforderungen des Klimawandels. Gleichzeitig bekomme ich viel gespiegelt aus der Architektur. Deshalb habe ich auch einen anderen Zugang als die meisten Ingenieure. Oft gibt es gewisse – sagen wir vorsichtig: Diskrepanzen –, ein Spannungsfeld, dass schon im Studium aufgebaut wird. Das habe ich nie nachvollziehen können.
Welche Herausforderungen kommen denn auf die deutschen Küstenstädte zu?
Eine der gravierendsten Änderungen im Rahmen des Klimawandels ist der Anstieg des Meeresspiegels. Das Problem ist, dass wir sehr verschiedene Szenarien haben, wonach unterschiedliche Meeresspiegelentwicklungen skizziert werden. Am Ende ist es schwierig für die Planer, zu entscheiden, welches Szenario interessant, bzw. relevant ist. Wir haben einen riesigengen Strauß an Werten, die wir filtern und in Maßnahmen ummünzen müssen, die das Hinterland schützen: z. B. Deiche oder Schutzwände.
Mit welchem Anstieg rechnen Sie?
Die aktuelle IPCC-Skala (Intergovernmental Panelon Climate Change, 2015, Anm. d. Red.) projiziert einen Meeresspiegelanstieg von etwa einem Meter bis 2100. Es gibt auch Extremprojektionen, die gehen etwa für Hamburg bis 1,74 Meter. Ich schaue dann weiter, welche Auswirkungen das auf Sturmfluten hat – denn, wenn wir über den Schutz des Hinterlandes sprechen, dann ist es weniger der Meeresspiegelanstieg, der Problemeverursacht, als Extremereignisse, die auf dem Meeresspiegel aufsatteln.
Bei ein bis zwei Metern Meeresspiegelanstieg würde sich wohl die Küstenlinie verschieben.
An der deutschen Nordseeküste haben wir eine nahezu durchgehende Deichlinie. Dementsprechend verschiebt sich erstmal keine Küstenlinie, weil das Wasser „festgehalten“ wird.
Das heißt, es wird ein Bild wie in den Niederlanden entstehen, wo ein Großteil des Land unterhalb des Meeresspiegels liegt?
Das haben wir schon teilweise, etwa in der Emdener Region. Tendenz steigend.
Welche Möglichkeiten gibt es, damit umzu­gehen?
Einerseits funktioniert Küstenschutz mit technischen Bauwerken wie Deichen. Wir können im Prinzip die gesamte Küstenlinie damit halten. Es gibt wenig, was technisch nicht machbar wäre. Die Frage ist nur: zu welchem Preis? Und da spreche ich nicht nur über monetäre Werte, sondern auch über ökologische und optische.
Inwieweit sind stadtplanerische Mittel ein Weg, mit diesen Veränderungen umzugehen?
Genau das wird zunehmend die Herausforderungsein. Zum Beispiel soll der Rostocker Stadthafen einen neuen Flutschutz bekommen. Die aktuellen Rechnungen besagen, dass eine Mauer mit einer Höhe von ungefähr 1,70 Meter nötig ist. Bislang kann man aus dem Hafen auf die Wasseroberfläche gucken und die Schiffe sehen. Von einer geschlossenen Mauer würde dieser Blick eingeschränkt und das Stadtbild „verschandelt“. Das ist eine Sorge der Anwohner. Deswegen brauchen wir ein stadtplanerisches Konzept von kreativen Köpfen. Da sehe ich das Schnittfeld zwischen den technischen Ingenieurwissenschaften und der Architektur.
In Venedig gibt es derzeit ein ähnliches Projekt: M.O.S.E. Was halten Sie davon?
Das ist ein sehr interessantes Projekt. Das Problem ist, dass es mittlerweile schon veraltet ist. Die Dimensionierung bezieht sich auf einen Meeresspiegelanstieg, der inzwischen überholt ist. Die Wirksamkeit wird wohl nicht wie projiziert bis Ende des Jahrhunderts gewährleistet sein.
Welches ist ein Beispiel für gelungenen Hochwasserschutz?
Hamburg hat es geschafft, den Sturmflutschutz zu aktualisieren. Dazu wurden die Schutzbauwerke auf 100 Kilometer im Mittel um 80 Zentimeter erhöht. In Summe hat die Stadt dafür 550 Millionen Euro in die Hand genommen. Man hat es selbst an den Landungsbrücken geschafft, ein massives Bauwerk stimmig zu integrieren und damit den Hafenbereich weiter aufzuwerten (Niederhafenpromenade, Anm. d. Red.). Ein weiteres sinnvolles Konzept ist, dass in der Hafen­City die Neubauten auf einer Art Warften stehen. Zwar hat man entschieden, den Überflutungsbereich zu bebauen, deshalb aber erhöht gebaut.
Diese Schutz-Konzepte bedienen sich jeweils Erhöhungen und Barrieren. In Kopenhagen geht es etwa auch darum, die Stadtentwässerung besser zu organisieren. Was steckt dahinter?
Das Problem ist: Sobald Meerwasser oder ge­nerell Hochwasser in ein Abwassersystem eindringt, ist dieses System überlastet und irgend­wo tritt kontaminiertes Wasser aus. Die Betrachtung dieser „abhängigen Systeme“ rückt erst seit kurzem in den Fokus. Für die Berechnung der „Jährlichkeiten“ hat man bislang Erfahrungswerte verwendet. In den vergangenen Jahren ist es aber zunehmend zu Starkniederschlägen gekommen. Auf diese Extreme sind unsere Abwassersysteme nicht ausgelegt. Wir müssen neue Konzepte entwickeln, auch, weil Ereignisse teils kombiniert auftreten – etwa ein Hochwasser, das ins Abwassersystem eindringt, und gleichzeitig einen starken Niederschlag, der abgeführt werden muss.
Wieso häufen sich diese Ereignisse?
Im globalen Mittel ist das Meer in den letzten 100 Jahren um 20 Zentimeter angestiegen. Entsprechend führt auch ein Sturm schneller zu Überflutungen. In 30, 40 Jahren wird das noch häufiger vorkommen. Dafür müssen wir uns jetzt schon Konzepte überlegen.
Welche Macht hat Technologie gegenüber der Natur? Es klingt, als verteidige man verzweifelt eine Bastion, die schließlich doch fallen wird.
An der ein oder anderen Stelle ist das auch so. Wir werden uns früher oder später mit dem Gedanken anfreunden müssen, bestimmte Gebiete aufzugeben. Die Engländer sind da schon ein Stück weiter. Sie haben bereits einen relativ ausgereiften Plan und Gebiete identifiziert, die zukünftig nicht mehr geschützt werden, weil es nicht wirtschaftlich ist. In Deutschland haben wir die Maßgabe, dass wir eigentlich keine Landverluste hinnehmen möchten. An der Nordsee mag das auch noch länger funktionieren, aber an der Ostsee müssen wir uns damit auseinandersetzten, dass irgendwann einzelne Gebiete nicht mehr zu halten sind. Zwar könnten wir hohe Mauern bauen – Aber wer will dahinter leben? Und wer will sie bezahlen?
Gibt es neben Rostock und Hamburg Regionen in Deutschland, wo Sie das Wassermanagement vorbildlich finden?
In Rostock beginnt man sich zu kümmern, als wirklich vorbildlich würde ich Hamburg sehen. Das liegt auch im Status der Stadt begründet und in ihrer Geschichte. Schließlich hatte sie mit der Flut von 1962 eine einschneidende Erfahrung. Ansonsten gibt es die Region Emden, die sich sehr stark in Forschungsvorhaben einbringt. Das Schöne ist, dass man da nicht die Belastung von der Küste betrachtet. Sie gehen einen Schritt weiter und schauen auch auf Komponenten im Hinterland wie: Was haben wir für Abflüsse? Welche Extremereignisse und welche Kombinationen treten auf? Es ist eine Modellregion, auch weil verschiedene Disziplinen sich miteinander ausprobieren können.
Wir sprachen viel über Bedrohungen. Bergen die Entwicklungen auch Potenziale – etwa für die Energiegewinnung?
Die Bedrohungen resultieren, wie gesagt, hauptsächlich aus den Extremereignissen, und weil die selten auftreten, sind sie zur Energiegewinnung nicht verlässlich. Aber der Meeresspiegelanstieg hat auch die Folge, dass sich Strömungen mitunter verstärken. Ideen, die darauf aufbauen, sind bislang aber nicht serienreif.
Wie würden Sie sich den Dialog zwischen Wasserbauingenieuren und Architekten wünschen?
Zuerst einmal müssen wir eine gemeinsame Sprache finden. Ich merke das mit verschiedenen Disziplinen, sogar innerhalb meiner eigenen: Wir diskutieren und merken erst spät, dass wir über das Gleiche sprechen. Wir müssen uns intensiv und ohne Vorbehalte austauschen, die Arbeit und das Wissen des Anderen schätzen.
Am Beispiel des Rostocker Projekts, wie wird dieser Austausch fortgesetzt?
In den aktuellen Prozess bin ich nicht eingebunden. Viel mehr als die erforderlichen Schutzhöhen könnte ich aber ohnehin nicht liefern. Es ist derzeit an den Planern, diese Höhen ins Stadtbild zu integrieren. Ein Ingenieur kann im nächsten Schritt wiederum gegenchecken. Man muss beachten, dass Rostock an der Warnow liegt. Änderungen an Fließgewässern können immer stromauf und stromab nachteilig wirken.
Das heißt, sie kommunizieren doch lieber über Dokumente miteinander und setzen sich nicht zusammen an den Tisch?
Jein. Der physische Austausch ist sehr wichtig. Gerade unter Corona-Bedingungen wurde deutlich, dass es in Online-Konferenzen möglich ist, sehr zielgerichtet zu arbeiten. Aber im persön­lichen Gespräch kommen andere Ideen auf. Die Forschungsprojekte, an denen ich beteiligt war, waren meist interdisziplinär. Bislang war aber an keinem Vorhaben ein Architekt beteiligt. Für die Zukunft würde ich mir das wünschen.
Wer könnte so ein Vorhaben initiieren?
(lacht) Leute wie ich. Wir haben einmal einen Vorstoß unternommen, wo ein Stadtplaner mit im Boot war. Leider ist es nicht zustande gekommen. Ich sehe aber die Dringlichkeit, zusammenzu­arbeiten.
Am Rostocker Hafen ist dafür der Zug schon abgefahren?
Im Prinzip schon. Die Bemessungswerte liegen vor. Nun startet der gestalterische Ideenwett­bewerb. Es ist ein sehr kontroverses Projekt. Ich verstehe auch, dass es ein Schock für die Bür-ger ist, dass ihnen bald eine Mauer von zwei Metern Höhe den Blick auf den Hafen verstellen könnte. Man darf aber nicht vergessen, dass gerade Rostock in den letzten Jahrzehnten einfach Glück hatte. Es sind weniger Sturmfluten aufgetreten als im vorigen Jahrhundert.
Sturmfluten an der Ostsee können sich wohl ohnehin wenige Menschen vorstellen.
Genau. Aber 1872 gab es eine Sturmflut, die auch heute wieder zu katastrophalen Schäden führen würde. Nur weil es relativ ruhig war, heißt das nicht, dass wir sicher sind. Wenn man sich in einer gewissen Sicherheit wiegt, hält man vielleicht diesen Sturmflutschutz für überflüssig, aber das kann sich blitzschnell ändern.
Welche Ostseestadt ist am meisten gefährdet?
Das untersuchen wir gerade. Wismar – eine Weltkulturerbe-Stadt – ist massiv gefährdet. Rostock ist da schon deutlich weiter. So viele ganz große Städte gibt es ja, zumindest in Mecklenburg-Vorpommern, an der Ostseeküste nicht. Aber auch in kleineren Orten, etwa im Ferienort Börgerende-Rethwisch, hat man in Überflutungsgebieten gebaut. Gerade in den letzten Jahren ist er extrem zugebaut worden.
Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen das Risiko, das von der Meeresnähe ausgeht, unterschätzen?
Wenn jahrelang nichts passiert, verfliegt das Risiko-Bewusstsein. Und das Problem, dass der Meeresspiegel ansteigt, ist medial abgenutzt. Laien, die jede Woche neue Prognosen hören, können sie schlecht einordnen. Wenn wir den Stand der Wissenschaft jedes Mal in die Öffentlichkeit tragen, verlieren wir an Glaubwürdigkeit. Das ist an der Ostsee der Fall, dabei muss man nur ein Jahrhundert zurückschauen. Es war, rein meteorologisch gesehen, auch Glück, dass in letzter Zeit nichts passiert ist. Dem gegenüber, wenn man sich Hamburg anschaut: Dort gab es im Nachgang von ’62 deutlich höhere Sturmfluten aber keine vergleichbaren Schäden, weil man aus dem Ereignis gelernt hat.

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