Was bedeutet für Sie Kontext bei der Wahl Ihrer Kleidung?
Stilsicher wurde Sam Chermayeff erzogen, stilbildend ist seine Passion für Mode. Der Architekt kreuzt im Gespräch zwischen Regeln und Gemeinsamkeiten von Mensch und Architektur.
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Was bedeutet für Sie Kontext bei der Wahl Ihrer Kleidung?
Stilsicher wurde Sam Chermayeff erzogen, stilbildend ist seine Passion für Mode. Der Architekt kreuzt im Gespräch zwischen Regeln und Gemeinsamkeiten von Mensch und Architektur.
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Zum Klischee des Architekten gehört ein Interview montags um neun Uhr nicht. Doch Sam Chermayeff (*1981) hatte meinem Vorschlag zugesagt, um den Tag früh zu beginnen. Nach dem dritten Klingeln summt der Türöffner. Das Apartment in dem von ihm mitentworfenen „Haus aus Zwischenräumen“ (Bauwelt 3.2023) zeugt von einer ungezwungenen Abendgesellschaft, durch das offene Fenster schallt der Straßenlärm herein. Aus dem Bad bittet Chermayeff mich, es mir bequem zu machen. Der gläserne Esstisch ist voller Glasgefäße mit Pflanzenarrangements, die auf kleine Nagelplättchen gesteckt sind: Ikebana, dem sich am Abend zuvor ein Hausgast ausgiebig gewidmet hat. Dann erscheint Chermayeff in dunkelblauer, schmal geschnittener Stoffhose, darüber ein weißes, leicht knitteriges Hemd, das plissiert ist. Wir können starten.
In den Vereinigten Staaten, der Heimat Chermayeffs, fällt die Diskrepanz zwischen formaler Kleidung, der Anzug oder das Kostüm fürs Büro, und der Freizeitkleidung, Unisex Shorts und T-Shirt, ins Auge. Indes empfinde ich Kleidung als zweite Haut, die eher zur Person als zu den äußeren Gegebenheiten passen muss. „Weil wir Architekten immer Architekten sind, also stets arbeiten“, bemerkt Chermayeff lachend. Er schätzt Kleidungstypologien, seien es die Uniformen der Soldaten, die Anzüge oder Kostüme der Anwälte oder die Overalls der Müllleute. August Sanders Fotoarbeit „Menschen des 20. Jahrhunderts“, uns beiden wohlbekannt, unternimmt das Typisieren von Deutschen – einer vergangenen Epoche, so ist hinzuzufügen – etwa in Bauer, Pianist oder großherzoglicher Diener.
Hans Poelzig, im Dreiteiler mit damals obligatorischer Fliege, stand für den Architekten schlechthin. Unbeirrt bleiben sie auch gegenwärtig im Detail stylisch, Chermayeff verweist auf die beliebten belgischen Modedesigner Martin Margiela und Dries van Nooten. Vor zehn Jahren habe der Berufsstand von Schwarz auf ein dunkles Marineblau gewechselt, – vertreten bei unserem Treffen in Form seiner Hose und meines Hemds, was als Bindeglied erst auffällt, wenn mehrere Architekten zusammenkommen. In der Kindheit, erinnert er sich, war sein Onkel Peter Chermayeff (*1936) der Prototyp des Architekten, mit Corbusier-Brille und einfarbigen, bequemen Pullovern, durch die er der Umwelt humorvoll bedeutete, kein Anwalt zu sein.
Mode, so Chermayeff, sei umstandsloser zu begreifen als Architektur. Das Gebäude, in dem wir uns befinden, werde von Laien nicht als Wohnhaus gelesen, obwohl es die Funktion erfüllt. Vielleicht liegt das an Konventionen, gebe ich zu bedenken, die jede und jeder individuell aufstellt. Auch Chermayeff, der begeistert ist vom deutsch-französischen Label Bless. Einige Hemden sind unter den Armen ausgeschnitten und können ihm zufolge nur mit rasierten, da „geradezu gerahmten“ Achseln getragen werden. „Mode kann viel von den Trägern verlangen, anders als Architektur, wo die Nutzer ersucht werden müssen, ein wenig anders zu agieren“, konstatiert er, „ein Kleidungsstück zieht man an und kann ein anderer Typ sein.“
Auf die Frage, ob er zuweilen sein Outfit ändere, antwortet Chermayeff, er trage gern Anzüge. Das sei nichts Aufregendes, außer in Berlin, wo wenige Kollegen solche trügen, erst recht nicht mit Krawatte. Er vermisse formelle Gepflogenheiten, wo etwa der Hinweis „Black Tie“ in der Einladung einen Smoking erfordere. In der deutschen Hauptstadt kann jemand nackt die Straße entlang laufen, anders als fast überall auf der Welt, oder in kurzen Hosen ins Museum gehen. Shorts können sowieso nur zu wenigen Anlässen getragen werden, sind wir uns einig, er bevorzugt die Modelle von Gabriella Cole.
Chermayeff schätzt die Freiheit, doch nichts zu haben, wogegen man opponiert, könne sehr langweilig sein. Ganz anders als in der gesellschaftlich liberalen, formal konservativen Upper East Side New Yorks, wo er aufwuchs. Kein Dinosaurier durfte das Kinder-T-Shirt zieren, das unterband sein Vater, ein Grafikdesigner. Als Teenager trugen er und seine Freunde „schreckliche“ Sachen wie weite Hosen, riesige Daunenjacken und Mützen, um sich als Hip-Hopper von ihrer Herkunft zu distanzieren.
Den unauflösbaren Irrtum klärte Chermayeff für sich als junger Architekt bei SANAA. Wie schon seine Mutter schätzte nun Kazuo Sejima die in Kindertagen kultivierte Stilsicherheit und vertraute auf sein Urteil, was zu ihr passt, bis hin zur Robe für die Verleihung des Pritzker-Preises, die bei der japanischen Modeschöpferin Rei Kawakubo (Heft 6.2006) beauftragt wurde.
Letztes Thema: Welchen Look drückt das Haus aus, in dem wir gerade sitzen? Das sei eine gute Frage! Chermayeff überlegt: Die Architektur drücke keinen Stil, sondern Funktion aus. Vergleichbar mit der Kleidung von Fotografen, die weniger Darstellung der Profession als Ausrüstung für die Arbeit ist, Shorts, wenn es heiß ist, oder eine zusätzliche Hose, wenn es drinnen kälter ist als draußen. Mir fallen Fotografen wie Heinrich Heidersberger oder Bernd und Hilla Becher ein, die tagelang vor einem Objekt campierten, um es im richtigen Licht unverfälscht einzufangen.
Am Ende überrascht Chermayeff mich mit dem Faible für Hochzeiten, eben als Anlass sich formal anzuziehen. Allerdings möchte er, „dass die Menschen sehen, dass ich Architekt bin“. Verständlich, der Ruf muss so sitzen wie gute Kleidung.
0 Kommentare