Projektreportage und Interview

Wohnturm Lichttoren, Antwerpen

awg architecten

Das neue Wohnhochhaus steht am Rande der öffentlichen Parkanlage Spoor Noord. Im obersten Geschoss befinden sich die Penthouses.

prev next

Eleganz in Weiß

  • Interview: Anneke Bokern
  • Fotos: Frank Peterschröder, André Nullens

Backstein ist in Belgien das gebräuchlichste Fassadenmaterial – aber nur sehr selten wird weißer Klinker verwendet. Beim Wohnhochhaus Lichttoren in Antwerpen wurde der Stein für ein im Stadtbild außergewöhnliches Gebäude eingesetzt.

Kaum eine Gegend in Antwerpen hat sich in den letzten Jahren so sehr verändert wie die Viertel nördlich der alten Innenstadt. Wo sich früher nur Hafenarbeiter aufhielten und rote Laternen leuchteten, entstehen nun Museen, Restaurants und schicke Wohnprojekte. Zu den neuen Entwicklungen gehört auch der Park Spoor Noord, ein 18 Hektar großer Stadtpark auf einem ehemaligen Güterbahnhofsgelände, der 2008 nach einem Entwurf des Mailänder Studios Associato Bernardo Secchi Paola Viganò angelegt wurde. Als letzte Phase des Projekts entsteht nun auf einer sechs Hektar großen Fläche an seinem westlichen Ende ein Gebäudekomplex mit Wohnungen, Büros, Hochschulbauten und einem Krankenhaus, der für den Anschluss des Parkgeländes an die Innenstadt sorgen soll.

Mehrere Neubauten durften als Hochhäuser formuliert und bis zu 80 Meter hoch werden. Als eines der ersten wurde der Lichttoren von awg architecten realisiert: ein 75 Meter hohes, strahlend weißes Wohnhochhaus mit 22 Geschossen. Zwei hohe Geschosse mit Büroräumen bilden den Sockel des Hochhauses. Darüber liegen die Wohnungen, die in drei Lagen von jeweils sechs Geschossen mit ansteigender Deckenhöhe angeordnet sind. Ganz oben befindet sich ein Doppelgeschoss mit Penthouse-Wohnungen und Technikräumen, das mit seinen arkadenähnlichen Pfeilern einen Spiegel des Sockels bildet.

Der Turm Lichttoren gehört zu einem Neubaugebiet mit mehreren Türmen nahe des Zentrums von Antwerpen.

Der Turm Lichttoren gehört zu einem Neubaugebiet mit mehreren Türmen nahe des Zentrums von Antwerpen.

Die 144 relativ kleinen Wohnungen und drei Penthouses sind dank einer Konstruktion aus tragendem Betonkern und tragender Fassade im Inneren völlig frei einteilbar. Ebenso neutral ist der Charakter der Fassaden: Auf den ersten Blick verraten nur die Balkone die Wohnnutzung des Gebäudes. Obendrein bringen die Balkone und Loggien etwas Leben und ein spielerisches Element in die sonst sehr zurückhaltende Fassadengestaltung. In jede Himmelsrichtung sind die Öffnungen und Außenräume unterschiedlich formuliert: Während die zum Bahndamm orientierte Nordfassade mit ihren kleinen Fenstern recht geschlossen wirkt, ist die Südfassade dank geschosshoher französischer Fenster viel offener gestaltet. An der Westseite des Hochhauses finden sich pro Geschoss zwei horizontal gegeneinander versetzte Balkone in Kombination mit französischen Fenstern und kleinen Loggien auf den Ecken, und im Osten springen vier Balkone pro Geschoss über die Fassade. Die größten Terrassen, die an West- und Ostfassade beinahe ein durchlaufendes Band bilden, haben natürlich die Penthouses.

„Man muss Gebäuden ihre Funktion nicht unbedingt ansehen, sondern sie sollten vor allem eine Rolle im Stadtgefüge spielen.“

Die helle Farbgebung, die offenen Ecken und die nach oben hin immer höher werdenden Geschosse bewirken, dass das Hochhaus von unten betrachtet unerwartet schlank und leicht wirkt. Dazu tragen auch die schmalen Aluminiumfensterrahmen und die dünnen Stahlrohrgeländer der Balkone bei. Gleichzeitig kennzeichnet den Bau durch seine Gesamtform und Materialisierung auch eine gewisse Schwere. Die Fassaden wurden aus dem Röben Keramik-Klinker OSLO perlweiß im Normalformat gefertigt, den eine geringe Wasseraufnahme und eine hohe Unempfindlichkeit gegen Staub und Abgase auszeichnen – was angesichts der hellen Farbe und dem Standort des Gebäudes an einem stark befahrenen Verkehrsknotenpunkt bei der Produktwahl von großer Bedeutung war. Alle vertikalen Fassadenabschnitte wurden im Läuferverband mit hellen Fugen gemauert. Um den vertikalen Charakter des Sockels fortzuführen, wurde in der Mitte der Fläche jeweils ein einzelner Stein leicht zurückliegend und blockweise übereinander gesetzt. So entsteht ein subtiles vertikales Linienspiel, das noch dadurch betont wird, dass die Klinker in den horizontalen Brüstungsbereichen abweichend vertikal gemauert sind.

Alle Wohnungen verfügen über Balkone oder Loggien und bieten weite Ausblicke auf die Stadt.

Alle Wohnungen verfügen über Balkone oder Loggien und bieten weite Ausblicke auf die Stadt.

Obwohl alle Gebäude im städtebaulichen Ensemble des Parks Spoor Noord in Weißtönen gestaltet sind, hat jedes einen deutlich erkennbaren eigenen Charakter. Der Lichttoren ist das bislang zeitloseste Bauwerk. Es lebt vor allem von der ästhetischen Spannung, die zwischen seiner in die Vertikale strebenden Leichtigkeit und der gewissen Schwere und Ruhe des weißen Klinkers entsteht.

Interview

Am westlichen Ende eines neuen Stadtparks haben awg architecten das 75 Meter hohe Wohnhochhaus Lichttoren aus hellem Klinker errichtet. Der weiße Turm reiht sich ganz selbstverständlich in die neue Skyline der Hafenstadt ein.

Jan Verrelst ist seit
							vielen Jahren einer der
							fünf Partner des Büros
							awg architecten, Antwerpen,
							und war für das
							Projekt Lichttoren verantwortlich.

Jan Verrelst ist seit vielen Jahren einer der fünf Partner des Büros awg architecten, Antwerpen, und war für das Projekt Lichttoren verantwortlich.

Herr Verrelst, wie haben Sie den Auftrag für das Lichttoren- Hochhaus bekommen?

Es handelte sich um eine Direktvergabe. Auftraggeber war der Projektentwickler Immpact, der im Laufe des Entwicklungsprozesses ein Konsortium mit Banken und der Belgischen Post bildete. Immpact wollte ein Hochhaus mit etwa 150 Wohnungen bauen: kleine Eigentumswohnungen mit 40 bis 85 Quadratmetern, die für Ein- bis Dreipersonenhaushalte gedacht sind. Nur im obersten Geschoss befinden sich drei große Penthouses mit jeweils 150 Quadratmetern.

Wieso sollte der Großteil der Wohnungen so klein sein?

Das entspricht dem derzeitigen Markt in Antwerpen. Die Immobilienpreise sind in den letzten Jahren stark gestiegen, und die meisten Leute können sich keine großen Wohnungen mehr leisten.

Regelgeschoss mit acht Wohnungen unterschiedlicher Größe.

Regelgeschoss mit acht Wohnungen unterschiedlicher Größe.

Das Gebäude steht am Park Spoor Noord, einer frisch angelegten Grünzone am nordöstlichen Rand der Innenstadt. Wieso entschied man sich, an diesem Ort Wohnhochhäuser zu errichten, obwohl Antwerpen keine klassische Hochhausstadt ist?

Das liegt an der Geschichte des Geländes. Früher befand sich dort ein Güterbahnhof, in dem die Waren aus dem Hafen in Züge verladen und dann weitertransportiert wurden. Allerdings zog der Hafen in den 1950er und 1960er Jahren immer weiter nach Norden, und zuletzt wurde der Bahnhof nur noch von der belgischen Post genutzt, die auch irgendwann von Bahn- auf LKW-Transport umstieg. Die Stadt beschloss daraufhin, das Bahnhofsgelände zum Park umzunutzen. Ein Problem war jedoch die teilweise Kontaminierung des Bodens. Um die Reinigung des Erdreichs bezahlen zu können, wurde ein Gebäudekomplex mit vier Hochhäusern in die Planung integriert. Neben dem Lichttoren sind es der Parktoren, der London Tower und der Noordster.

Die Fassadengestaltung des Lichttoren ist sehr neutral, beinahe zeitlos. Wieso haben Sie sich für solch eine zurückhaltende Gestaltung entschieden?

Wir glauben, dass man Gebäuden ihre Funktion nicht unbedingt ansehen muss, sondern dass sie vor allem eine Rolle im Stadtgefüge spielen sollten. Öffentliche Bauten wie Krankenhäuser oder Bibliotheken dürfen ruhig offensichtlicher und erkennbarer sein, aber gerade Büro- und Wohnbauten entwerfen wir gerne abstrakt. Dies ermöglicht im Laufe der Zeit Umnutzungen und Funktionswechsel. Nur die Balkone heben sich hervor und sorgen für einen lebendigen Fassadeneindruck. Sie verraten dann doch, dass es sich um einen Wohnbau handelt.

Jan Verrelst vor der Bibliothek im Antwerpener Büro, November 2014.

Jan Verrelst vor der Bibliothek im Antwerpener Büro, November 2014.

Geht es auch darum, dass sich das Gebäude in seinen Kontext einfügt?

Nein, nicht wirklich. Es hat eher damit zu tun, dass es eine Rolle für die Stadt spielt. Unsere Bauten wollen keine Ikonen, sondern in erster Linie zweckmäßig sein. Aber man muss auch dafür Sorge tragen, dass das Gebäude länger lebt als nur die dreißig Jahre, bis es sich amortisiert hat.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch gerne von „intelligenten Ruinen“. Was genau bedeutet das?

Das ist ein Ausdruck, den Bob Van Reeth, der Gründer unseres Büros, einmal geprägt hat. Kluge Gebäude überleben Generationen, Lebensstile und Wohnbedürfnisse und bleiben nutzbar, ohne ihre Identität zu verlieren. Der Zeitfaktor sollte ebenso wie Form und Material zum architektonischen Konzept gehören.

Inwiefern ist das beim Lichttoren der Fall, von der Neutralität der Fassade einmal abgesehen?

Das Gebäude ist sehr flexibel und kann sich somit jederzeit geänderten Anforderungen anpassen. Es hat einen tragenden Kern mit Aufzugschächten und Treppenhaus und eine tragende Fassade aus Beton und Klinker. Dazwischen befinden sich keine konstruktiven Elemente, so dass die Geschosse frei teilbar sind. Momentan sind es acht Wohnungen pro Geschoss, aber sie können auch zusammengelegt werden.

Ist das bereits geschehen?

Ja, zwei Wohnungen wurden zusammengelegt und dienen als Büro, und ein paar andere wurden zu größeren Wohnungen zusammengefügt.

Das neue Wohnhochhaus steht am Rande der öffentlichen Parkanlage Spoor Noord. Im obersten Geschoss befinden sich die Penthouses.

Das neue Wohnhochhaus steht am Rande der öffentlichen Parkanlage Spoor Noord. Im obersten Geschoss befinden sich die Penthouses.

Wieso haben Sie sich für Klinker als Fassadenmaterial entschieden?

Wegen der Haptik, und weil es ein Baumaterial ist, das im Laufe der Zeit immer schöner wird. Außerdem ist es leicht zu verarbeiten, da es in Belgien das gängigste Fassadenmaterial ist. Der Klinker ist uns vertraut und war daher von Anfang an eine naheliegende Wahl für uns.

Für Hochhäuser ist es aber eher ungewöhnlich, oder?

Dieser Meinung schließe ich mich nicht an. Denken Sie nur an die klassischen Hochhäuser in New York und anderen amerikanischen Städten!

Die Hochhausklassiker haben alle eher Fassaden aus dunklem Backstein. Wieso haben Sie Weiß als Farbe gewählt?

Im Masterplan des Stadtbaumeisters Christian Borret war vorgegeben, dass die Gebäude im Park Spoor Noord alle helle Fassaden haben müssen. So entschieden wir uns für Weiß, denn Antwerpen war früher einmal eine weiße Stadt. Das ist heute nicht mehr gut erkennbar, denn in den letzten hundert Jahren sind viele dunkle Gebäude hinzu gekommen, aber der Turm der Kathedrale besteht zum Beispiel aus hellem Sandstein. Wir wollten, dass auch unser Gebäude diesen Charakter erhält und so zum Teil der Skyline von Antwerpen wird.

War der Keramik-Klinker ein Produkt aus dem Katalog oder wurde er speziell für das Projekt angefertigt?

Er ist ein Standardprodukt im Normalformat. Wir haben uns für diesen Stein von Röben entschieden, weil er eine schöne samtige Oberfläche hat und vor allem, weil er durch und durch aus weißem Ton gebrannt ist. Wir wollten auf keinen Fall einen roten Stein mit lediglich weißer Oberfläche. Mit dem weißen Keramik- Klinker ist es uns bestens gelungen, den monochromen Baukörper nach unseren Vorstellungen auszubilden. Röben war uns gut bekannt. Wir hatten schon zuvor mit dem Hersteller ein Projekt umgesetzt.

Welchen Stellenwert hat der Lichttoren im Werk von awg architecten?

Er ist für uns als erstes Hochhaus ein bedeutender Bau, auf den wir stolz sind.

Ist er auf den ersten Blick als Projekt von awg architecten erkennbar? Sieht man Ihre Handschrift?

Nein, denn wir haben keine. Wir glauben, dass jedes Gebäude auf seinen spezifischen Kontext reagieren und den Genius Loci reflektieren sollte. Wenn man unsere Bauten in eine Reihe stellen würde, könnte man vielleicht ein paar wiederkehrende Elemente erkennen, aber einen ausgeprägten Stil haben wir nicht. Außerdem haben wir uns im Laufe der Zeit auch weiterentwickelt. Unser Büro wurde 1972 von Bob Van Reeth unter dem Namen Architektenwerkgroep gegründet und 2001 in awg architecten umfirmiert. Wir sind jetzt fünf Partner; Bob Van Reeth ist seit ein paar Jahren im Ruhestand. Natürlich entwerfen wir nicht mehr genauso wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Die Zeiten haben sich geändert. Die finanziellen Mittel sind andere, und Themen wie zum Beispiel die Nachhaltigkeit sind wichtig geworden. Das hat einen großen Einfluss auf unsere Architektur.

Vielen Dank für das Interview.

Wohnturm Lichttoren in Antwerpen

Architekten

awg architecten, Antwerpen
www.awg.be

Büroprofil

awg architecten
Das Architekturbüro wurde 1972 in Antwerpen gegründet. awg steht für architects work group. Das Team setzt sich zusammen aus Architekten, Stadtplanern und Landschaftsplanern und wird von fünf Partnern geleitet: Geert Driesen, Filip Delanghe, Christine de Ruijter, Ilse van Berendoncks und Jan Verrelst. Gründer des Büros war Bob Van Reeth. Das Büro unter seinem Namen wurde 2001 in awg architecten umbenannt. Bis heute wurden mehr als 650 Projekte bearbeitet, von der städtebaulichen Gesamtplanung bishin zu kleinen, bescheidenen Bauaufträgen. Im Mittelpunkt steht die sorgsame Analyse des städtischen Umfelds, aber auch die Suche nach einer innovativen Lösung. Seit der Zeit von Bob Van Reeth spielt beim Entwurf das Thema der möglichen späteren Umnutzung eine wichtige Rolle. Einen ausgeprägten Baustil gibt es nicht. Das Büro spricht davon, dass jede Bauaufgabe seine eigene Individualität besitze, auf die immer wieder mit einer entsprechenden Architektursprache und manchmal auch mit ganz neuen Ansätzen eingegangen werden muss. Wichtige Bauten der letzten Zeit: Dokumentationszentrum des Holocaust und der Menschenrechte in Mechelen und das innerstädtische Hessenberg-Wohnareal in Nimwegen.

Projekte (Auswahl)

2012 Wohnanlage Baelskaai 20, Ostende
2012 Holocaust-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte, Mechelen
2012 Wohnareal Hessenberg, Nimwegen
2009 Sanierung und Umbau der Fabrik Lichttoren von 1911, Eindhoven
1991 Zuiderterras, Antwerpen

Produktinformationen

Die Basis für den extrem unempfindlichen Klinker bilden eisenarme, hochplastische Tone, die unter Beimischung von Quarzsanden und feinem Dolimit-Mehl bei hohen Temperaturen oberhalb von 1.230 °C gebrannt werden.

BAUWELT.DE