Bauwelt

„Architektur ist etwas hoffnungslos Öffentliches“

Max Bächer 1925–2011

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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Ein charakteristischer Hinterkopf, ein Namenszug: die Karrikatur, mit der Max Bächer sich stets seinen Studenten vorstellte
TU Darmstadt, FB Architektur

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Ein charakteristischer Hinterkopf, ein Namenszug: die Karrikatur, mit der Max Bächer sich stets seinen Studenten vorstellte

TU Darmstadt, FB Architektur


„Architektur ist etwas hoffnungslos Öffentliches“

Max Bächer 1925–2011

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Wer Max Bächer als Lehrer an der TU Darmstadt erlebt hat, wird das nie vergessen: Vor der ersten seiner Vorlesungen zu „Grundlagen der Architektur“ trat er wortlos an die Tafel, zeichnete mit wenigen Strichen seinen markanten Hinterkopf und schrieb seinen Namen darunter. 
Was dann folgte, war mit dem trockenen Titel der Reihe nur unzureichend beschrieben: Seine geistreichen Vorträge wurden bald das Elixier, das uns Studenten zwischen Modellbau-Nachtschichten, Statik-nicht-Verstehen und Bauphysik-Büffeln bei der Stange hielt. Wir hungerten nach diesen zwei Stunden in der Woche; jedes Mal verließen wir beseelt das Auditorium, im festen Glauben, nun wieder zu wissen, wozu wir das alles überhaupt machen. Also doch: Grundlagen der Architektur?
Am 11. Dezember 2011 ist Max Bächer im Alter von 86 Jahren in Darmstadt gestorben. Einfluss auf die Architektur in Deutschland habe er vor allem durch die vielen Wettbewerbe, deren Preisgericht er vorsaß, ausgeübt; und durch seine publizistische Tätigkeit – darin waren sich die nachrufenden Autoren der Tagespresse einig. Keiner hat ihn selbst ausführlich zu Wort kommen lassen. Wir holen das hier mit großem Vergnügen nach.


Die Wiedergeburt eines Tempels. Impressionen von der Einweihung des Barcelona-Pavillons
Gegen Abend steigt die Neugier auf Mies. Ich fahre an die Placa Espagna zur alten Arena des Torres. Die lange Messe-Achse am Fuß des Palau Nacional zieht sich in der Sonne in die Länge. Endlich ragt die Steilwand der Ausstellungshallen von 1928 mit ihren katalanischen Sgraffitis und bizarren Türmchen hoch, die auf den Fotos immer den Barcelona-Pavillon überragen. Kaum zu glauben, daß dieser Messe-Escorial von Puig i Cadafalch im gleichen Jahr wie das bedeutendste Manifest der Modernen Architektur fertiggestellt wurde! Aber wo steckt er bloß, der Mies? Endlich, hinter einem organisch aufgeblähten Betonbau kommt etwas Hübsches Flaches hervor, viel kleiner, als man dachte, ein eingeklemmter Kanzlerbungalow, einfach eine Nummer zu klein. Und die Pinie ist inzwischen fünfzig Jahre höher. Ganz seines repräsentativen Vorfelds beraubt steht der Bau unvermittelt an der Straße. Putzkolonnen seifen ihn zum letzten Male ab und machen eine vorzeitige Besichtigung unmöglich. Zweifel auf dem Heimweg: War es am Ende doch falsch, den Barcelona-Pavillon nach einem halben Jahrhundert noch einmal zum Leben zu erwecken? Und was würden wir sagen, wenn da ein barockes Lustschlößchen wiederaufgebaut worden wäre? (1986)

Über das Plagiat in der Architektur

Höflichkeit empfiehlt sich, wenn man das heiße Eisen des Plagiats anfassen soll. Aber der Arm erlahmte, würde man all die Bekannten begrüßen wollen, die an den Haupt- und Nebenstraßen der Architekturszene aufgereiht stehen und die man schon bei anderer Gelegenheit kennen gelernt hat. Der Atem stockt bei der Kürze der Inkubationszeit, die heutzutage ein neuer Gedanke braucht, um sich zu vervielfältigen. Selbst die Fruchtbarkeit eigener Ideen schockiert mehr, als sie freut. „Plagiat, Plagiat!“ rufen die, die urheben wollen, und „Haltet den Dieb!“. Aber es ist nicht so einfach wie mit dem gestohlenen Auto. Das hat nun ein anderer, und der, dem es gehört, hat keins mehr. Das geistige Eigentum – wenn es da war – ist ja nicht plötzlich weg. Es wird nur mitbenutzt. Das ist mehr ein Leihwagenproblem. (1978)

Ewig währt am längsten
Daß die „Kehrwoche“ (eine sakrosankte Regelung der Mieterpflichten zur Reinigung von Treppenhaus und Straße) eine Erfindung der Schwaben sei, läßt sich schwer abstreiten; sie Friedrich Hegel zuzuschreiben, ist jedoch gewagt, denn sein Prinzip der aus dem dialektischen Widerspruch resultierenden Bewegung bezog sich nicht auf den Besen. Gleichwohl entsprang seine Philosophie dem Geist des schwäbischen Puritanismus, der Stammwurzel sprichwörtlicher Putzsucht. Wo Not und Glaube an Prädestination zusammentreffen, blitzt es nur so vor Sauberkeit. Wer wenig hat, muß pfleglich handeln; im Jenseits wird es ihm gelohnt.
Ich fürchte aber, man macht es sich zu leicht mit dem Spott auf den selbstgerechten Glauben an den Logenplatz im Himmel. Die Pflege der Gerätschaften war schon immer von existentieller Bedeutung und wurde in vielen Kulturen ritualisiert bis hin zu körperlichen Waschungen. Es geht um die Erhaltung von Gebrauchswert und Lebensdauer der Dinge. Achtsamkeit und Pflege sind Handlungen gegen Konsumterror und Vergeudung. Vernachlässigung entspricht einer kapitalistischen Verschleißkonzeption. (1988)

Ein blindes Huhn kommt selten allein. Zwischen Zeitgeist und Mode

Und weil ich mit einem Märchen angefangen habe, möchte ich es auch zu Ende erzählen. Als das Kind erkannt hatte, daß der Kaiser gar nichts an hatte, fingen alle Leute eilig an, sich auszuziehen, um dem Kaiser zu gefallen und ihm zu huldigen. Als es ihm etwas zu kalt wurde, ließ er sich von seinem Hofmarschall seine Unterhose bringen. Da zogen alle schnell ihre Unterhosen wieder an, überboten sich gegenseitig und brauchten gar nicht hinzuschauen, sondern nur zu machen, was man ihnen sagte. Sie machten aus der Mücke einen Elefanten, aus einem dreckigen kleinen Spatzen einen Phönix, aus einer verbeulten Blechdose ein Weltwunder und aus jedem kümmerlichen Rinnsal eine Strömung.
Es kam ja gar nicht darauf an, was einer sah, sondern was einer sagte. Und weil sie nichts mehr zu denken brauchten, machten sie einfach alles nach, was man ihnen vormachte. Damit hatte der Kaiser nicht gerechnet, aber es gefiel ihm, und er machte das Kind zu seinem Minister für Baukultur. Wie gesagt: Ein blindes Huhn kommt selten allein. (1995)

Sanfte Ruhe in Venetien. Ein Friedhof von und mit Carlo Scarpa
Er hatte sich gewünscht, auf seinem Friedhof in San Vito di Altivole bestattet zu werden, der so zu seinem eigenen Requiem geworden ist. Eigentlich möchte man es jedem selbst überlassen, Scarpas Grab dort zu suchen und zu finden. Ein schräg angeschnittenes, rostiges Stahlrohr mit polierter Schnittkante ragt an einer Stelle, die man ganz beiläufig erreicht, aus dem Boden und bezeichnet den Ort, den er sich in geradezu prätentiöser Bescheidenheit ausgewählt hat: an einer Mauer im Zwischenbereich, außerhalb der Brionschen Grablege und innerhalb des alten Friedhofes, innerhalb und außerhalb zugleich. Sein Grab liegt genau in der Achse des Querweges, der den alten Hauptzugang kreuzt. Übrigens die einzige von Scarpas Achsen, die zu einem Ziel führt. (1981)

Die Textausschnitte sind dem Buch „Max Bächer: Mehr als umbaute Luft. Betrachtungen über Architektur und Zeitgeschichte“ entnommen | Herausgeber: Arno Lederer. Hohenheim Verlag, Stuttgart/Leipzig, 2008.
Fakten
Architekten Max Bächer
aus Bauwelt 3.2012
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