Bauwelt

Basquiat-Retrospektive in Paris

Im Großstadtdschungel

Text: Spix, Sebastian, Berlin

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© 2010, The Estate of Jean-Michel Basquiat, New York Photo : © Lizzie Himmel© The Estate of Jean-Michel Basquiat© ADAGP, Paris 2010

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Basquiat-Retrospektive in Paris

Im Großstadtdschungel

Text: Spix, Sebastian, Berlin

In diesem Jahr wäre Basquiat 50 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das Musée d’art moderne de la Ville de Paris eine opulente Retrospektive über den Sohn karibischer Einwanderer, der die Häuserwände Manhattans in eine endlose Leinwand verwandelte.
„The city looked big, and I felt big. Cause I was part of the landscape.“ So beschreibt Jean-Michel Basquiat in dem Dokumentarfilm „Downtown 81“, der die New Yorker Graffiti-Szene porträtiert, sein ­Lebens­gefühl. Der Sohn karibischer Einwanderer verwandelt die Häuserwände Manhattans in eine endlose Leinwand und überzieht morsche Holzverschläge, bröselige Putz-, Beton- und Klinkerfassa­­den, verbogene Aluverblendungen und die Kotflügel geparkter Cadillacs mit bunten Graffiti-Kaskaden und signiert die bunten Bilder abschließend mit ei­nem lakonischen „SAMO©“, kurz für „Same Old Shit“. Andy Warhol und die Galeristin Annina Nosei werden auf Basquiats Talent aufmerksam und vermitteln ihm ein Atelier. Innerhalb kürzester Zeit avanciert der mittellose Straßenkünstler zum neo­expressionistischen Pop-Art-Star.
In diesem Jahr wäre Basquiat 50 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das Musée d’art moderne de la Ville de Paris eine opulente Retrospektive, die in Kooperation mit der Fondation Beyeler entstand, wo sie zuvor bereits zu sehen war. Chronologisch gegliedert und auf zehn Ausstellungsräume verteilt, werden rund 100 Gemälde, Papierarbeiten und Objekte Basquiats präsentiert. Bereits im ersten Raum fühlt man sich vom hektischen Großstadtdschungel aufgesogen: Die bunten Illustrationen auf den Schauwänden springen den Besucher förmlich an wie oszillierende Werbetafeln oder reflektierende Verkehrsschilder; klein- und großformatige Collagen und Assemblagen türmen sich auf wie die Hochhäuser einer Straßenflucht in Manhattan. Die Ausstellungsmacher haben Basquiats Motive gelungen auf das Arrangement der Exponate übertragen – auf den Bildern herrscht das selbe Metropolen-Chaos. Schicht um Schicht überlagern sich Schlieren blauer, schwarzer und gelber Öl- und Acrylfelder. Schwarze Linien, von Basquiat aus einer unteren Schicht gekratzt, deuten grobe Umrisse sich unruhig neigender Häuser an. Eine geisterhafte Fratze lugt mit großen Augen aus einem Fenster. Flugzeuge, Häuser, Masken, Skelette, Organe und Roboterschädel verschmelzen mit flüchtig notierten Textfetzen und dünnen Kreidestrichen. Nicht nur auf Leinwand, auch auf Sperrmüll-Fundstücken, auf Schrankwänden, Paletten und darauf angenagelten Tüchern fügte Basquiat seine Eindrücke von der ihn nervös umtreibenden „Landschaft“ zu einem gewaltigen Abbild von Manhattans Großstadtkosmos zusammen.
In anderen Arbeiten seziert er die New Yorker Häuser und ihre Bewohner regelrecht. „Untitled“ aus dem Jahr 1981 etwa zeigt einen aufgeschnittenen Kopf. Unter der mit stoppeligen Haaren bewachsenen Schädeldecke kommt ein wirrer Mikrokosmos zum Vorschein: Klötze werden von narbenähnliche Reißverschlüssen überlagert, spitze Zähne in blutigem Zahnfleisch scheinen nach der eigenen Nasenhöhle schnappen zu wollen. Nicht immer gelingt es dem Betrachter, den hektischen Gedankensprüngen des Künstlers, seinen fragmentarisch skizzierten Beobachtungen und Erfahrungen zu folgen. Ungeachtet dessen führt die bemerkenswerte Retrospektive deutlich vor Augen, wie scharfsinnig Basquiat die sozialen und architektonischen Phänomene seiner Umgebung reflektierte, wie gekonnt er Straßen und Galerien zu urbanen Kunstlandschaften transformierte.
So flüchtig aber wie Graffiti und Taggs im Stadtbild sind, die verwischen und bald ganz verschwinden, so kurz war auch Basquiats fulminanter Auftritt: Wenige Monate nach dem Tod seines Mentors Andy Warhol starb er, nur 27-jährig, an einer Überdosis Speedball.

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