Bequem und vertrauenswürdig
Stühle von der Kölner Möbelmesse 2012
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Bequem und vertrauenswürdig
Stühle von der Kölner Möbelmesse 2012
Text: Kasiske, Michael, Berlin
„Es geht uns beängstigend gut.“ So drückte ein deutscher Möbelhersteller auf der imm cologne sein Unbehagen angesichts der gefüllten Auftragsbücher aus – während allerorten im gesellschaftspolitischen Raum mit Appellen zum Sparen nicht gegeizt wird.
Eine Delegation der Mailänder Möbelmesse war eigens nach Köln angereist, um bei einem Pressefrühstück darauf einzuschwören: Europa müsse zusammenrücken, um im globalisierten „Krieg“ auf dem begrenzten Markt zu bestehen. Tatsächlich sind zahlreiche Hersteller aus Italien, das im Möbelsektor nach wie vor führend ist, nach jahrelanger Abwesenheit in diesem Januar in die Messehallen am Rhein zurückgekehrt. Ein erstes Zeichen für die gegenseitige Stärkung?
Bewährtes in neuen Ausführungen war es schließlich, das die Kölner Messe dominierte. Zum Beispiel der Stuhl: Beim Sitzen muss er bequem, in der Ansicht statisch vertrauenswürdig sein. In dieser Woche stellen wir drei aktuelle Varianten des Throns für jedermann vor; in der nächsten folgt, was sonst den (Wohn-)Raum spannend ergänzt.
Vertraute Gewöhnlichkeit
Geradezu entkleidet wirkt der Hama Chair. Aus Stahlrohr und Blech gefertigt, bildet er eher eine Struktur denn ein ausgereiftes Möbel. Eine Reise durch Syrien hat den Berliner Designer Mark Braun zu diesem Innen wie Außen verwendbaren Sitzmöbel inspiriert. Den gelernten Tischler faszinieren die rund um das Mittelmeer häufig anzutreffenden, spröde gestalteten Alltagsgegenstände, deren Gewöhnlichkeit vertraut erscheint.
Sitzfläche und Rückenlehne des Hama Chair bestehen jeweils aus einem zum Rahmen gebogenen Stahlrohr, ein gekantetes Blech bildet die erforderliche Fläche. Die Stuhlbeine sitzen seitlich und hinten – was die Standsicherheit erhöht und den Stuhl einladend breit wirken lässt. Im Kontrast dazu sind die beiden Halterohre der Lehne sehr eng gesetzt. Sitz- und Rückenblech werden zum komfortableren Sitzen mit einem dick gewebten Stoff umwickelt.
Mit seiner eigenwillig puren Ausstrahlung passt der Hama Chair bestens ins Möbelprogramm der Brüder Andreas und Rainer Haußmann. Ihr 1990 gegründetes Atelier ist spezialisiert auf die Herstellung von Inneneinrichtungen, bei denen Metall das Grundgerüst bildet. Dabei sollen die Objekte nicht mehr sein als: ein Hocker, ein Schrank oder eben ein Stuhl. Aber Purismus lässt sich in pluralistischen Zeiten freilich nicht einengen, er erscheint in unterschiedlicher Ausprägung. Und so gibt es mit dem Hama Low Chair auch eine Lounge-Version, von der man glaubt, sie vor den Bars und Clubs des Südens bereits gesehen zu haben.
Holz ohne Handwerk
Vor wenigen Jahren noch wäre der Stuhl LUNO nicht wirtschaftlich herzustellen gewesen, die Form der Einzelteile erfordert hochtechnisierte Maschinen. Deren Möglichkeiten lehrt Andreas Kramer als Professor für Produktdesign und CAD an der Bremer Hochschule der Künste. Für den Designer gehört die Kenntnis von Materialien und ihren Spezifika von der Gewinnung, Verarbeitung bis hin zur Entsorgung genauso zum Berufsbild wie das Wissen um die Kulturgeschichte.
Der LUNO wird in sechs Teilen geliefert: zwei kurze Vorderbeine, zwei lange Hinterbeine, Sitzfläche und Lehne; alles kann mit acht Schrauben schnell zusammengebaut werden. Das Möbel erinnert an einen klassischen Küchenstuhl. Ins Auge springt die Rückenlehne mit den im Wechsel oben und unten eingefrästen Schlitzen, die sich von Hand biegen lässt und auch elastisch reagiert, wenn man sich anlehnt. Der Sitz wird vorne durch zwei unauffällige Aufwölbungen der Beine in Position gehalten.
Stapelbar und dank der Melaminoberfläche äußerst robust, steht LUNO für ein Holzmöbel, das ohne Handwerk im wörtlichen Sinn gefertigt wird. Dank computergesteuerter Werkzeuge bleiben die seit über hundert Jahren bestehenden Müller Möbelwerkstätten ihrem Werkstoff treu – hier wie bei fast allen Möbeln des Herstellers: Birkenschichtholz.
Volksstuhl
Unter dem Titel „volkswohnung bauhaus“ präsentierte Hannes Meyer 1929 im Leipziger Grassi-Museum die Abkehr von der formal fortschrittlichen, inhaltlich aber zutiefst bürgerlichen Wohnformen verhafteten Gestaltung. Die Möbel des Bauhauses, das er zu jener Zeit leitete, sollten aus preiswerten Materialien bestehen und hinsichtlich Konstruktion und Funktion selbsterklärend sein.
Der Stołek könnte aus der damaligen Ausstellung stammen. Sein Designer Michael Konstantin Wolke zeigt offen dessen Struktur, seien es die additiv montierten Vierkanthölzer aus Buche, seien es die hinten durch Schnüre aufgespannten Bänder aus Jute. Die Rückenlehne und die Beine werden ohne Verstrebungen durch den Sitz selbst stabilisiert, der mittels der Bespannung zu einem im Querschnitt dreieckigen Körper ausgebildet ist. Das verleiht dem stapelbaren Stuhl in all seiner zeichenhaft rustikalen Gestalt ein anmutiges Volumen.
Die Einfachheit des Stołek kommt dem Bestreben der Protagonisten der 20er Jahre nahe, die sich mit klaren, moralisch überhöhten Formen von der indifferenten Gründerzeit abkehrten. Sicher hatte Michael Konstantin Wolke keinen „Volksstuhl“ im Sinn, wohl aber eine expressive Referenz an den Urtyp des Sitzmöbels: Stołek ist Polnisch und heißt nichts Anderes als Schemel.
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