Das Hollein-Universum
Retrospektive in der Neuen Galerie Graz
Text: Fitz, Angelika, Wien
Das Hollein-Universum
Retrospektive in der Neuen Galerie Graz
Text: Fitz, Angelika, Wien
„Alles ist Architektur“, verkündete Hans Hollein Ende der 60er Jahre. Nun versammelt eine Ausstellung in Graz die Belege eines Gesamtwerks, das dieser Devise verpflichtet bleibt.
Die Objekte sind auf grauen Sockeln ruhig im Raum verteilt. Gerahmte Bilder strukturieren die weißen Wände. Wer sich an Projekte wie „Traum und Wirklichkeit“ (Wien 1984/85) erinnert, mit denen Hans Hollein das Genre der Themenausstellung prägte, wird leicht irritiert sein. Hier werden die Sinne nicht von immersiven Atmosphären umfangen, nicht von opulenten Interieurs überwältigt. Alles präsentiert sich nüchtern und geordnet. Schnell wird klar: Das ist keine Ausstellung von Hans Hollein, sondern eine über Hans Hollein. Die Kuratoren Peter Weibel und Günther Holler-Schuster haben sich entschlossen, die überbordende Fülle des Universalkünstlers Hollein in den neobarocken Raumfluchten der Neuen Galerie Graz nicht zum Gesamtkunstwerk zu verschmelzen. Stattdessen setzen sie auf die analytische Kraft des Formats Ausstellung.
Mit dem Etikett „Universalkünstler“ stellt Peter Weibel den 1934 in Wien geborenen Hollein in eine Reihe mit den großen Universalisten der Moderne, im Speziellen der Wiener Moderne, wie zum Beispiel Josef Hoffmann. „Sie können in einer Stadt leben, die von Hollein entworfen wurde. Und in dieser Stadt können Sie in einem Haus von Hollein wohnen. Ihre Wohnungseinrichtung ist ebenfalls von Hans Hollein, der Esstisch, der Schreibtisch, die Teller und Gläser sind von Hans Hollein, die Lampen, der Teppich, sogar der Schmuck“, so Weibel. Er setzt den Erlebnistag im Hollein-Universum fort mit Zeitschriften, Geschäften, Büro- und Konzerthäusern, Ausstellungen, Brillen, Kleidern bis zu Pillen. Und „Ihren letzten Weg gehen Sie in einem Totenhemd von Hans Hollein“.
Utopist, moderner Generalist, Postmoderner?
Die Ausstellung erforscht die Bestandteile des Hollein-Universums. Jedes Objekt soll seine ästhetische Wirkung entfalten. Wann immer möglich werden Originale gezeigt: Zeichnungen, Entwurfsmodelle, historische Fotoabzüge. Dass Hollein nicht nur ein ausufernder Produzent, sondern auch ein allumfassender Archivar ist, begünstigt diese Strategie der Kuratoren. Gleich im ersten Raum nehmen seine Diplomarbeit bei Clemens Holzmeister (Wien 1956) und seine Masterthese für die University of California (Berkely 1960) frühe Stadtutopien in ihre Mitte. Wer aber nun glaubt, sich auf eine Chronologie einstellen zu können, wird eines Besseren belehrt. Wenn sich ein aktuelles Kulturprojekt für Saudi-Arabien aus einem 50 Jahre älteren städtebaulichen Entwurf speist, dann dürfen die beiden auch nebeneinanderstehen. Und wenn ein Flugzeugträger zugleich eine Stadt und ein Tee- und Kaffeeset sein kann, dann wird auf Gattungsgrenzen gepfiffen.
Die Objekte kommen miteinander ins Gespräch. Manchmal finden sie über Aufgabenstellungen zusammen, viel öfters über die Hollein’schen Basismotive des Aushöhlens und Aufeinandertürmens. Vertikal begehbare Parklandschaften verbinden das weltberühmte Museum in Mönchengladbach (1982) mit dem wenig bekannten Entwurf der Zentralsparkasse in Wien (1966). Hochhäuser aus Wien, Taiwan oder Peru grüßen einander, Entwürfe aus den 1960er Jahren materialisieren sich im 21. Jahrhun-dert in China. Kurz ist der Weg vom geplanten Aushöhlen des Salzburger Mönchsbergs (1989) – eigentlich mehr ein Hinaufgraben zum Licht und insofern ein Vorläufer des Vulkanmuseums in der Auvergne (2002) – bis zu den Grabungsarbeiten in der Ausstellung „Tod“ (Mönchengladbach 1970). Dort konnte das Publikum, mit Schaufeln und Harken bewaffnet, Kulturgüter wie Colaflaschen aus der Kellererde des Museums bergen.
Viele von Holleins Arbeiten sind archaisch und kommunikativ zugleich, kultisch und schelmisch ironisch. Früh nutzte er Ausdrucksformen der Populärkultur und die Kanäle der Massenmedien, entwarf bereits in den 60er Jahren „Functional Clothing“ und Pillen als „Augmented Reality“. In der Grazer Ausstellung werden solche Werkkonstanten nicht lange erklärt. Es gibt kaum Text. Die Dinge sollen sich selbst erzählen, indem die Artefakte vergleichend nebeneinanderstehen. Eine gewagte Strategie. Aber wenn man sich auf die Eigenlogik dieses morphologischen Universums einlässt, wird auch manche diskursive Frage obsolet – etwa die, ob Hollein nun ein Utopist, ein moderner Generalist oder ein Postmoderner ist.
Natürlich könnte man dieses Lebenswerk ganz anders erzählen. Man könnte mit Tonnen von Sekundärmaterial die Wiener Erregung rund um die Errichtung des Haas-Hauses Ende der 80er Jahre dokumentieren. Man könnte Holleins weltweiten Spuren als Lehrer und seinen Auszeichnungen folgen – Hollein ist der einzige österreichische Pritzkerpreisträger. Oder man zeichnete seinen Einfluss auf die österreichische Architekturlandschaft nach, wo er seit Jahrzehnten in unzähligen Gremien und Jurys präsent ist.
Aura und Echtheit sind schwierige Begriffe. Aber das Vertrauen der Kuratoren auf die Kraft der Exponate verbreitet eine Intensität, der man sich schwer entziehen kann. Viel Beeindruckendes gilt es wiederzuentdecken.
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