Bauwelt

Das Moderne vom Modischen unter­scheiden

Paul-Bonatz-Retrospektive im DAM

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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Sektkellerei Henkel; Wiesbaden (1907)
Foto: © DAM

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Sektkellerei Henkel; Wiesbaden (1907)

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Das Moderne vom Modischen unter­scheiden

Paul-Bonatz-Retrospektive im DAM

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

 „Der Stuttgarter Bahnhof hat mir immer gefallen. Sein Architekt war vielleicht etwas konservativ. Aber er war ein guter Architekt." (Peter Zumthor)
Peter Zumthor brachte im Spiegel-Gespräch Ende letzten Jahres auf den Punkt, was viele spätestens seit der Debatte um „Stuttgart 21“ denken. Tausende Demonstranten waren im Herbst hinter einem Architektenporträt hergelaufen – eine ungewöhnliche Szenerie. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main zeigt jetzt eine opulente Retrospektive auf das Werk von Paul Bonatz (1877–1956).
Die Ausstellung zeichnet den Entwurfsprozess des Stuttgarter Hauptbahnhofs als „Weg in die Moderne“ nach. Zahlreiche Varianten sind zu sehen, vom historisierenden Wettbewerbsentwurf (1911) über Skizzen von der Ägyptenreise des Architekten, die den Einfluss der islamischen Baukunst auf das Portal zeigen, bis hin zur radikal vereinfachten Ausführungsplanung von 1914, einer perfekt auf das umgebende Stadtbild abgestimmten Komposition kubi­scher Baukörper. Der Stuttgarter Bau ist einer der letzten großen Bahnhöfe, die dem Geist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts entsprangen, eine „Kathedrale des Verkehrs“. Trotzdem galt er unmittelbar nach seiner Fertigstellung 1928 als Prototyp des modernen „Großstadtbahnhofs“.
Ein skurriles, aber ob der aktuellen Diskussionen überaus hintergründiges Exponat: ein Blech-Modell des Bahnhofs für die Märklin-Eisenbahn. Im Katalog von 1931 boten die Hersteller zusätzlich zum „Großstadtbahnhof“ auch seitlich „gestutzte“ Varianten an. Auch sie hatten offenbar Bonatz’ Komposition monumentaler Baukörper – die Schalterhalle mit ihren großen Portalen, der aus der König­straße von weitem sichtbare Turm und die Flügel­bauten – als beliebig kombinierbare Module aufgefasst.
Bonatz’ erster großer Auftrag war die Sektkellerei Henkell in Wiesbaden (1907–09). Er entwarf ein ­repräsentatives „Chateau“. Eine monumentale Treppenanlage führt in den damals hochmodernen Gärkeller, einen fünfgeschossigen Eisenbetonbau. Das Gebäude mit seinem 1,60 m hohen auf dem Dachfirst angebrachten Schriftzug „HENKELL TROCKEN“ wurde bald zum Signet der Marke.
Im Gegensatz zu den Vertretern einer kompromisslosen Moderne war Paul Bonatz davon überzeugt, dass die Architektur eine „Entwicklung ohne sichtbaren Bruch weiterführen“ müsse. Die Studen­ten seiner „Stuttgarter Schule“ hielt er dazu an, „das Moderne vom Modischen zu unterscheiden“. Dem Stuttgarter Hauptbahnhof gab er mit dem Zeppelin-Bau (1928–31) ein kubisch-modernes Gegenüber. Beeindruckende  Perspektivstudien belegen sein Gespür für die stadträumliche Atmosphäre. Eine ganze Reihe kleiner, am Hang gelegener Wohnhäuschen wiederum spielt mit konservativem Formenvokabular. Ein Foto aus den 30er Jahren zeigt ein mit traditionellem Satteldach und Aufschieblingen versehenes Gebäude, das Wohnhaus für Ferdinand Porsche, mit zwei davor geparkten kugelig-abgerundeten Fahr­zeugen, den Prototypen des KdF-Wagens, dem späte­ren VW-Käfer. Die Szenerie wirkt wie ein alltagstaugliches Gegenmodell zu Le Corbusiers mit eleganter Autofahrerin avantgardistisch in Szene gesetz­tem Haus in der Weißenhofsiedlung.
In der ersten Reihe mitspielen
Ab 1932 war Bonatz wegen seines jüdischen Assistenten Angriffen durch die Stuttgarter NS-Presse ausgesetzt. Nach kritischen Äußerungen folgten 1933 Verhöre durch die Gestapo. Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus blieb reserviert. Doch kein anderer deutscher Architekt konnte eine ähnlich erfolgreiche Tätigkeit im Ingenieurbau vorweisen. Seine für die Neckarkanalisierung in den 20er Jahren entworfenen Staustufen und Schleusenanlagen waren zu prägen­den Elemente der Flusslandschaft geworden, seine reduzierten Stahlbetonbrücken waren selbst im in­ternationalen Vergleich spektakulär. Und so wurde Bonatz auch ohne Parteimitgliedschaft zur Mitarbeit am Reichsautobahnprojekt aufgefordert. Er entwickelte eine erstaunlich vielfältige Typologie für Stahlbeton-Balkenbrücken und entwarf – sich selbst­ironisch als „Pontifex maximus“ bezeichnend – beeindruckende Konstruktionen wie die Lahntalbrücke bei Limburg (1937–39) und die Hängebrücke über den Rhein bei Rodenkirchen (1940/41). Bonatz’ Drang, immer ganz vorne dabeisein zu wollen, ohne Rücksicht darauf, woher die Bauaufgaben kamen, führte schließlich auch dazu, dass er ab 1938 bei den Planungen für die „Welthauptstadt Germania“ mit­arbeitete. Kleine handschriftliche Kommentare auf den Plänen belegen zwar seine Kritik am immerfort zunehmenden Maßstabsverlust der Projekte. Trotzdem erarbeitete er unter anderem zahlreiche Varianten für den Neubau des Oberkommandos der Kriegsmarine.
Bonatz kommt 1944 von einem Aufenthalt in Ankara nicht nach Nazi-Deutschland zurück. Auch in der Türkei wird er zum einflussreichen Architekten, u.a. mit dem Bau der Staatsoper in Ankara (1947/48). 1954 schließlich die Rückkehr nach Deutschland: Beim Wiederaufbau des Opernhauses in Düsseldorf setzt er mit breiten Wendeltreppen und geschwungenen Foyerbalkonen deutlich nachkriegsmoderne Akzente.
Man merkt der mit unzähligen Originalzeichnungen, Skizzen und Tagebuchblättern bestückten Ausstellung deutlich an, dass sie, ungeachtet des Wirbels um „Stuttgart 21“, von langer Hand geplant ist. Außer der Gegenüberstellung von Modellen des Bonatz-Baus und des Ingenhoven-Entwurfs sowie ei­nem knappen Kommentar, dass „die Reduzierung des Kulturdenkmals um seine Flügel die Ausgewogenheit der Komposition zerstört“ hält sich Kurator Wolfgang Voigt aus der aktuellen Diskussion heraus. Er möchte den Blick auf das gesamte Leben und Werk dieses facettenreichen Architekten mitsamt seinen Brüchen und Wendungen lenken.
Fakten
Architekten Paul Bonatz (1877–1956)
aus Bauwelt 6.2011
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