Das Trapez von Billancourt
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Das Trapez von Billancourt
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Auf dem Gelände der ehemaligen Renault-Werke im Südwesten von Paris errichtet die Entwicklungsgesellschaft SAEM Val de Seine Großblock für Großblock ein neues Stadtquartier. Billancourt war ein Ort der Mythen, auch der Gewerkschaftsbewegung, die die Werke zum Vorreiter ihrer sozialen Errungenschaften machte. Für Nostalgie ist kein Platz.
Boulogne-Billancourt hat architektonisch beachtenswerte Einzelbauten vorzuweisen, unter anderem die Maison Molitor von Le Corbusier und Wohnhäuser von Mallet-Stevens, André Lurçat und Georges-Henri Pingusson. Auch das Rathaus von Tony Garnier aus den Jahren 1931–35 ist hervorzuheben. Mit dem Ort vor den Toren von Paris verbindet man vor allem den großen Industriestandort von Renault, der hier über Jahrzehnte hinweg stetig gewachsen war, aber heute nahezu verschwunden ist. Er entsprach nicht mehr heutigen Ansprüchen und wurde abgerissen. Seit einigen Jahren sorgt die Stadt nun mit einem neuen Quartier auf dem ehemaligen Fabrikgelände mit einer Fläche von ca. 74 Hektar nicht nur in Fachkreisen für Diskussionen. Insgesamt sind 850.000 Quadratmeter Wohnungen, Büros, Gewerbe und öffentliche Einrichtungen vorgesehen. Ziel ist es, etwa 12.000 Bewohner neu anzusiedeln und 10.000 Arbeitsplätze zu schaffen.
Hines, Icade, Nexity, Vinci
Neue Stadtteile auf brach liegenden Industriearealen haben ihre eigenen, sehr spezifischen Gesetze. Sie sind nicht nur abhängig von der Lage und von der Qualität des Bestands, der hier durch den fast völligen Kahlschlag keine Rolle spielt, sondern vor allem von der Infrastruktur und der wirtschaftlichen Perspektive. Die Art der Neubauten ist durch den Projektentwickler schon frühzeitig planungstechnisch festgelegt – in
der Regel entsprechend den Vorgaben der Kommune und mit ihren Beratern. Dabei muss man den Investor, der dahinter steckt, gut kennen, um sich ein genaueres Bild hinsichtlich der Tragfähigkeit des Gesamtprojekts machen zu können. Außerdem ist von großer Bedeutung, in welchem Umfang Subventionen in Aussicht gestellt und tatsächlich fließen werden. In Boulogne-Billancourt stemmen, nach dem Verkauf durch Renault, mit Hines, Icade, Nexity und Vinci gleich vier in Frankreich gut bekannte Investoren das Projekt.
der Regel entsprechend den Vorgaben der Kommune und mit ihren Beratern. Dabei muss man den Investor, der dahinter steckt, gut kennen, um sich ein genaueres Bild hinsichtlich der Tragfähigkeit des Gesamtprojekts machen zu können. Außerdem ist von großer Bedeutung, in welchem Umfang Subventionen in Aussicht gestellt und tatsächlich fließen werden. In Boulogne-Billancourt stemmen, nach dem Verkauf durch Renault, mit Hines, Icade, Nexity und Vinci gleich vier in Frankreich gut bekannte Investoren das Projekt.
Von den 382.000 Quadratmeter Wohnfläche sind laut Programm rund ein Drittel als Sozialwohnungen geplant. Sie stehen für 6 bis 12,50 Euro pro Quadratmeter zur Verfügung. Die anderen Wohnungen sind mit einer Quadratmetermiete von 25 bis 28 Euro auf dem freien Markt. Die Kaufpreise erreichen in besonderen Lagen 8000 Euro pro Quadratmeter. Die Nachfrage ist groß. Bei den Büros überwiegt hingegen noch Leerstand. Hier offenbart sich das Überangebot in der Region von Paris. Die Erwartung, Kunden aus der Pariser Innenstadt zu
gewinnen, erfüllte sich bisher hier nur sehr begrenzt.
gewinnen, erfüllte sich bisher hier nur sehr begrenzt.
Das Areal an einer langen Schleife der Seine teilt sich in drei Bereiche auf: Da ist zum einen das nach seiner Gestalt bezeichnete Trapez, die Zone der ehemaligen Fabrik, zum anderen die Insel Seguin, die ebenfalls von Werkhallen besetzt war, und, nordwestlich davon, das düstere Wohnquartier der siebziger Jahre, „Pont de Sèvres“, mit langen, teilweise geschwungenen „Gebäudehügeln“, das saniert und umgebaut werden soll (Seite 36).
Das gesamte Quartier nennt sich Ile Seguin-Rives de Seine.
Die Regie übernahm die Entwicklungsgesellschaft SAEM (Val de Seine Aménagement) in Partnerschaft mit dem Stadtplanungsamt. Der neue Bürgermeister Pierre-Christophe Baguet – seit 2008 im Amt – ist auf den Zug seines Vorgängers aufgesprungen, propagiert aber in seinen Rathaus-Broschüren noch stärker eine Neuausrichtung, die vor allem bei ökologischen Kriterien eine „Vorbildfunktion“ einnimmt. So soll die Zertifikation HQE (Haute qualité environnementale) bei allen Bauvorhaben erreicht worden sein. Andere Zertifikationen wie THPE (Très haute performance énergétique) oder BBC (Bâtiment basse consommation) werden „angestrebt“. Eine konkrete Überprüfung der Anforderungen wurde nach meiner Kenntnis noch nicht vorgenommen. Auch in Frankreich ist in diesem Bereich eine einheitliche wissenschaftliche Methodik nicht erkennbar. In fünf Jahren will man mit der Bebauung fertig sein. Es fehlt vor allem noch der zweite Teil im Südosten, ein momentan freigeräumtes Areal, das von der Place Jules Guesde und der Rue Nationale begrenzt wird.
Die Regie übernahm die Entwicklungsgesellschaft SAEM (Val de Seine Aménagement) in Partnerschaft mit dem Stadtplanungsamt. Der neue Bürgermeister Pierre-Christophe Baguet – seit 2008 im Amt – ist auf den Zug seines Vorgängers aufgesprungen, propagiert aber in seinen Rathaus-Broschüren noch stärker eine Neuausrichtung, die vor allem bei ökologischen Kriterien eine „Vorbildfunktion“ einnimmt. So soll die Zertifikation HQE (Haute qualité environnementale) bei allen Bauvorhaben erreicht worden sein. Andere Zertifikationen wie THPE (Très haute performance énergétique) oder BBC (Bâtiment basse consommation) werden „angestrebt“. Eine konkrete Überprüfung der Anforderungen wurde nach meiner Kenntnis noch nicht vorgenommen. Auch in Frankreich ist in diesem Bereich eine einheitliche wissenschaftliche Methodik nicht erkennbar. In fünf Jahren will man mit der Bebauung fertig sein. Es fehlt vor allem noch der zweite Teil im Südosten, ein momentan freigeräumtes Areal, das von der Place Jules Guesde und der Rue Nationale begrenzt wird.
Der Architekt Patrick Chavannes, damals in Zusammenarbeit mit Jacques Ferrier, hatte – nach einem Entwurfskolloquium mit sechs Teilnehmern – Ende 2001 von der SAEM den Auftrag für die städtebauliche Planung des Trapez’ erhalten. Er überzeugte mit dem Thema „ville parc“ (Bauwelt 3.2002). Er entwarf keine Gartenstadt im klassischen Sinn, dafür sind die Gebäudeblocks viel zu mächtig, aber schon damals stand ein städtischer Park im Mittelpunkt, der von Agence TER realisiert wurde. Das Besondere war, dass Chavannes und sein Partner den Park nicht wie die anderen Teilnehmer an der Seine, sondern zurückgesetzt im Quartier vorgesehen hatten. An der Seine entstanden bereits zwei der geplanten Gebäudeblocks, darunter ein in drei Teile untergliederter Wohnungsbau von 234 Architectes (Seite 32) und der Bürobau von Lord Norman Foster. Die Gebäudeblocks nördlich des Parks erhielten in der späteren Umplanung eine deutlichere Durchwegung in Ost-West-Richtung.
Das Trapez profitiert, wenn man die viel befahrene Uferstraße Quai Georges Gorse einmal außer Acht lässt, stark von seiner Lage an der Seine, mit der sich darin präsentierenden Insel Seguin, und vom hügeligen, in Teilen bewaldeten Gegenüber der Nachbargemeinde Meudon. Im Nordwesten schließt das Stadtzentrum von Boulogne-Billancourt an. Die Endstation der Metro-Linie 9, „Pont de Sèvres“, und der Busbahnhof an der Avenue du Général Leclerc stellen die unmittelbare Anbindung nach Paris her. Um Bus und Bahn zu erreichen, muss man zuvor das in Teilen verödete Quartiers Pont de Sèvres mit seinen 2240 Wohnungen (Seite 36) durchqueren. Dessen Sanierung ist von großer Bedeutung für das neue Quartier.
Neben der Metro verdient auch eine neue Straßenbahnlinie auf dem gegenüberliegenden Seineufer Beachtung, die von La Défense zur Porte de Versailles führt. Eine weitere Linie über die Insel hinweg ist vorgesehen. Zwei geplante Passarellen werden die Insel zudem neu einbinden und einen Übergang auf die andere Uferseite möglich machen.
In Heft 3.2002 der Bauwelt hatten wir noch mit den berühmten historischen Fotos von Rene-Jacques und Robert Doisneau in Erinnerungen geschwelgt, voller Hoffnung, dass zumindest die alte „Arbeiterfestung“ auf der Insel Seguin erhalten bleiben würde. Man hat sich anders entschieden. Das Vergangene ist verloren, weitgehend abgerissen. Für Nostalgie ist buchstäblich kein Platz. Geblieben sind nur einige wenige Bauten, Fragmente der Geschichte, die nun in das Quartier integriert werden sollen, zum Beispiel ein Stück Fassade an der östlichen Spitze der Insel und das „Bâtiment Pierre Dreyfus“ im neu angelegten Park von Billancourt. Hier stand die kleine Werkstatt, in der Louis Renault 1898 sein erstes Auto baute. Das Gebäude und der Vorplatz mit Garten gehören noch dem Unternehmen.
Erwartungen
Das Quartier ist in „Macro-Lots“, große städtische Blocks, aufgeteilt, bei deren Planung jeweils ein Architekt in der Konzeptphase beratend tätig wurde und in der Regel einen Bau auch selber entwarf. Die weiteren Bauten wurden dann an andere Architekten vergeben, darunter auch ausländische Büros. Sauerbruch Hutton haben einen Bürobau für den noch nicht realisierten Ostteil vom Trapez in Planung.
Für die einzelnen Wohnungen stellt sich die Frage nach der Qualität der Grundrisse. Sie sind meist ohne Reiz, von rigiden Vorgaben bestimmt, und bei den Sozialwohnungen kommt noch eine spärliche Ausstattung hinzu. Die Wohnungen lösen nicht ein, was die edel, manchmal auch spielerisch ausgeformten Fassaden suggerieren. Oder, anders ausgedrückt, die Wünsche nach individuellen, vielleicht sogar innovativen Wohnformen sind groß, doch sie erfüllen sich in der Regel nicht. Es wäre falsch, hier pauschal zu argumentieren, aber insgesamt trifft diese Diskrepanz zwischen äußerem Anspruch und innerer Gestalt in allen Teilen des Quartiers zu. Der Druck, der sich aus der Forderung nach Originalität und Signalwirkung ergibt, wird auch bei Jean Nouvels Beitrag überdeutlich. Ein Rundgang durch seinen komplett fertigen Turm, den er „la non-tour“ nennt, wird aber frühestens im September möglich sein.
Warum setzten sich große Namen der Architekturszene diesen Zwängen aus? Haben sich sich einen Gefallen damit getan, hier unbedingt vertreten sein zu wollen? Unsere Pariser Autorin Françoise Fromonot wirft einen kritischen Blick auf den gesamten Planungsprozess (Seite 18).
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