Die Poesie der armseligen Dinge
Alexander Brodsky im Wiener Az W
Text: Brosowski, Bettina Maria, Braunschweig
Die Poesie der armseligen Dinge
Alexander Brodsky im Wiener Az W
Text: Brosowski, Bettina Maria, Braunschweig
Was ist Architektur? Und wie möchte ich als Architekt arbeiten? Der russische Architekt und Künstler Alexander Brodsky hat auf diese beiden Fragen sehr persönliche Antworten gefunden – die im Umkehrschluss einiges über die gegenwärtige mentale Disposition der Disziplin aussagen.
Für seine Architektur-Methodik verweist Alexander Brodsky auf ein russisches Wort, das in etwa bedeutet „die Wand, die etwas von etwas anderem trennt“. Was er aber nicht als physische oder praktische Zweckerfüllung verstanden wissen will, vielmehr sei Architektur für ihn die Poesie eben dieser trennenden Wände. Erst seit gut zehn Jahren erlauben es ihm die (politischen) Umstände in Russland, unabhängig kleine Aufträge zu übernehmen. Über seinen späten Eintritt in den Beruf – Brodsky wurde 1955 geboren und hat in den 70er Jahren in Moskau sein Architekturstudium absolviert – ist er immer noch so erstaunt, dass das Az W eben dieses Erstaunen als Ausstellungstitel gewählt hat: „It still amazes me that I became an architect.“
Monografische Ausstellungen internationaler Protagonisten unternehme das Architekturzentrum Wien nur, wenn „konzeptive Aussagen über eine professionelle Qualität hinausweisen“, so Direktor Dietmar Steiner. Alexander Brodsky erfüllt diese Voraussetzung: Er widersetze sich dem Mainstream computerbeschleunigter Architekturen, der gerade in Russland wildwuchsartige Ausmaße annehme; er biete dringend notwendige, elementare Raumerfahrungen und führe, als singuläre künstlerische Persönlichkeit, Architektur an ihren Ursprung zurück.
Zwischen 1978 und ’93 beteiligte sich Brodsky gemeinsam mit Ilya Utkin an Ausstellungen und künstlerisch orientierten internationalen Architekturwettbewerben. Als prominente Vertreter der russischen „Paper Architecture“, einer lockeren Gruppe, die sich der tristen staatlichen Architekturproduktion verweigerte, wurden sie weltweit wahrgenommen, ihre Piranesi-artigen Radierungen, in der Regel narrative Kombinationen aus Texten und Architekturdarstellungen, häufig mit Preisen ausgezeichnet.
Die Transformation dieser Positionen in ein gebautes Werk mit einer ganz eigenen Haltung war es, die das Az W die Kontaktaufnahme mit dem Publicity-scheuen Architekturkünstler suchen ließ. Brodskys Website www.brod.it ist ein reines Kunstprojekt, auf e-Mails antwortete er nicht, da er Computer nicht sonderlich schätzt, sein Atelier liegt versteckt beim Architekturmuseum in Moskau. So blieb den Wienern nur, Alexander Brodsky 2009 auf dem Aalto-Symposion in Jyväskylä zu treffen.
Nach zwei Jahren intensiven Austauschs ist im Az W nun die größte und technisch herausforderndste Installation zu sehen, die man hier je realisiert hat. Brodsky hat einen schwarzen, geheimnisvollen Innenraum gebaut, eine archäologische Wunderkammer, gefüllt mit 1500 Alltagsobjekten. Die schwarz lackierten Flaschen, Dosen, Schuhe, Fahrradteile, eine
Gehhilfe und vieles anderes mehr sind auf drei Lagen Maschengewebe unter der hinterleuchteten Decke arrangiert. Alles spiegelt sich bis in unendlich mystische Tiefen in einem 16x5 Meter großen Becken, das mit Wasser gefüllt ist – und einen halben Zentimeter tief mit pechschwarzem Altöl.
Gehhilfe und vieles anderes mehr sind auf drei Lagen Maschengewebe unter der hinterleuchteten Decke arrangiert. Alles spiegelt sich bis in unendlich mystische Tiefen in einem 16x5 Meter großen Becken, das mit Wasser gefüllt ist – und einen halben Zentimeter tief mit pechschwarzem Altöl.
Diese auch olfaktorische Wahnsinnsarbeit lässt sich über die künstlerische Aussage hinaus als intellektuelles Dossier zu seiner Architektur lesen. Denn auch in seinen Häusern erschafft er mit einfachen, improvisierten Mitteln, mit teils gebrauchten und gealterten Materialien eine ästhetische Magie und einen räumlichen Luxus mit feiner ironischer Note. Die in 95 Grad leicht schräg gestellten Holzpfähle seines „95° Restaurants“ am Wasser (2001) etwa scheinen einen Verfallsprozess zu antizipieren. Über dem fragilen Arrangement kragt waghalsig eine nur acht Quadratmeter große Box aus korrodiertem Stahl als „Banquettehalle“ aus.
So uneitel wie Alexander Brodsky selbst sind seine Bauten und Projekte in kleinformatigen Fotos und wenigen Plänen im temporär überdachten Innenhof des Az W präsentiert. Den Betrachter ergreift jedoch eine tiefe Sehnsucht, die eines Architekten nach einer andersartigen Architektur, nach einer Raumkunst, die mit Vladimir Nabokov an die schöpferische Kraft selbst in den armseligsten Dinge glaubt.
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