Bauwelt

Europas Mitte weit im Osten

Košice 2013

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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    Hlavna ulica, Generali-Versicherungen. Erstes Hochhaus der Stadt, Bj. 1938/39, Architekten A. Skutecký und A. Novák
    Michael Grass, Berlin

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    Hlavna ulica, Generali-Versicherungen. Erstes Hochhaus der Stadt, Bj. 1938/39, Architekten A. Skutecký und A. Novák

    Michael Grass, Berlin

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    Hlavna ulica, Wohn- und Geschäftshaus, frühe 1930er Jahre
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    Hlavna ulica, Wohn- und Geschäftshaus, frühe 1930er Jahre

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    Hlavna ulica, ehem. Schuhhaus Bat’a, Bj. 1930, Architekt Arnošt Sehnal
    Michael Grass, Berlin

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    Hlavna ulica, ehem. Schuhhaus Bat’a, Bj. 1930, Architekt Arnošt Sehnal

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    Kováčska, Ecke Biela ulica, Wohn- und Geschäftshaus, 1920er Jahre
    Michael Grass, Berlin

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    Kováčska, Ecke Biela ulica, Wohn- und Geschäftshaus, 1920er Jahre

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    Wohnhaus an der Stúrova ulica
    Michael Grass, Berlin

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    Wohnhaus an der Stúrova ulica

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    Wohnhaus an der Stúrova ulica
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    Detail des Wohnhauses an der Stúrova ulica
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    Detail des Wohnhauses an der Stúrova ulica

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    Sanierte und unsanierte Wohnhäuser in der Mojmírova ulica
    Michael Grass, Berlin

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    Sanierte und unsanierte Wohnhäuser in der Mojmírova ulica

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    Wohnhaus an der Mojmírova ulica, unsaniert
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    Wohnhaus an der Mojmírova ulica, unsaniert

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    Eingangsdetail eines unsanierten Wohnhauses, Mojmírova ulica
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    Eingangsdetail eines unsanierten Wohnhauses, Mojmírova ulica

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    Wohnungsbau an der Letná ulica
    Michael Grass, Berlin

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    Wohnungsbau an der Letná ulica

    Michael Grass, Berlin

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    Kuzmányho ulica, Erweiterung des Schulkomplexes, heute Ungarisches Gymnasium
    Michael Grass, Berlin

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    Kuzmányho ulica, Erweiterung des Schulkomplexes, heute Ungarisches Gymnasium

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    Detail des Ungarischen Gymnasiums
    Michael Grass, Berlin

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    Detail des Ungarischen Gymnasiums

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    Beispiel aus der Zeit vor dem I. Weltkrieg: Moysesova ulica, Villa Tost, Bj. 1911, Architekt Dénes Györgyi. Elemente ungarischer Volksarchitektur vermischt mit Wiener Sezession
    Wolfgang Kil, Berlin

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    Beispiel aus der Zeit vor dem I. Weltkrieg: Moysesova ulica, Villa Tost, Bj. 1911, Architekt Dénes Györgyi. Elemente ungarischer Volksarchitektur vermischt mit Wiener Sezession

    Wolfgang Kil, Berlin

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Foto: Alexander Jiroušek

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Europas Mitte weit im Osten

Košice 2013

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Košice – die kaum bekannte Kulturhauptstadt Europas in der Ostslowakei erzählt ihren Besuchern von der kulturellen Vielfalt in diesem Teil des Kontinents. Das Programm des Kulturhauptstadtjahrs richtete sich vor allem an die  Bürger.
Ja, es stimmt, Košice ist von Westeuropa aus nicht ganz leicht zu erreichen. Immer noch ist die Fahrt mit der Bahn über Budapest kürzer als über Bratislava. Doch wenn sie dann in ihrem weiten Talkessel vor einem auftaucht, ist die Stadt einfach schön. Nach Norden sanft bewaldete Berge, im Süden die pannonische Ebene, wo der Tokajer wächst: Hier, wo die Slowakei an Polen, die Ukraine und Ungarn grenzt, hat die ungemein reizvolle Region zwischen Tatra und Karpaten ihr urbanes Zentrum. Und ihren wichtigsten Arbeitsort, denn auch wenn man davon in der Stadt nichts sieht, nichts riecht oder hört – Košice zählt zu den Global Playern der Stahlindustrie. Mit derzeit 235.000 Einwohnern ist es seit langem die zweitgrößte Stadt der Slowakei.
Natürlich zeigen sie auch hier am liebsten ihre Altstadt vor. Die ist seit 1983 autofreie Zone und denkmalgeschützt – damals in der Tschechoslowakei war sie das zweitgrößte Flächendenkmal nach Prag. Alle Insignien einer typischen k.u.k. Provinzmetropole finden sich wie zu einem Bilderbuch aufgereiht. Rings um Dom und Staatstheater wird die breite „Hauptgasse“ (Hlavna ulica) allabendlich zum Corso, in romantischen Pawlatschenhöfen wuselt es zwischen Läden und Cafés. Verspielter Barock, pompöse Gründerzeit, vereinzelt Jugendstil. Mitten im Historienreigen das obligate Bat’a-Schuhhaus von 1930, dessen streng sachliche Glasfassade neuerdings wieder im Originalzustand prangt. Ein Stadtpark hält die Neuzeit auf Distanz. Erst hinter dem Bahnhof (stolze slowakische Spätmoderne von 1973, leider brutal vernachlässigt) kommen komplett überbaute Hügel in Sicht – hellbunte Großsiedlungen, die Quartiere der Stahlarbeiter. Dort wird, wie unten in der Altstadt, an hölzernen Gasthaustischen eine rustikale Küche serviert, Bier und Wein kosten fast nichts, man fiebert für Eishockey und zahlt in Euro.
Warum nur ist Košice bei uns so unbekannt! Es gibt in der Mitte Europas wenige Orte, die dramatischer vom ewigen Unfrieden des Kontinents Zeugnis geben. Schon die verschiedenen Namen: Kaschau sagen die Deutschen, Kassa die Ungarn (auch wenn es in Deutschland als üblich gilt, ausländische Städte möglichst auf Deutsch zu benennen, wird in den folgenden Beiträgen das slowakische Košice benutzt – u.a. mit Blick auf den Anlass: „Košice 2013“ lautet die offizielle Marke für das Kulturhauptstadtjahr). Und das sind längst nicht alle. Eingekeilt und umhergetrieben zwischen immer wieder verschobenen Grenzen, haben viele Völker hier Heimat gefunden und Spuren hinterlassen: Österreicher, Ungarn und Slowaken natürlich, aber auch Tschechen, Polen, Deutsche, Ukrainer, Russinen, Juden, Roma. Das ganze habsburgische Völkergemisch, oft gerühmt und noch öfter verklärt, denn zwischen den Zeilen war Geschichte ja nie spannungsfrei. Rivalitäten ethnischer Gruppen, kultureller Milieus oder politischer Lager – die Annalen von Košice sind voll davon: Von welcher Kanzel wird nach welchem Ritus gepredigt. Wer schickt seine Kinder auf welches Gymnasium. Wer verwahrt den Schlüssel zum Stadtarchiv, wer lädt zum Ball ins Grandhotel. Als 1848 die Doppelmonarchie schon einmal zu zerbrechen drohte, stand Kassa, als Verwaltungszentrum des damaligen „Oberungarn“, auf Seiten Budapests, gegen Wien. Der Preis war eine massive Magyarisierung. Nachdem 1918 das nördliche Ungarn der neu gegründeten Tschechoslowakei (ČSR) zugeteilt wurde, hatten Slowaken endlich mitzubestimmen in ihren angestammten Ländereien. Und man war in keiner schlechten Gesellschaft: Präsident Masaryks Republik galt als liberales Musterland, das mährische Zlín wurde zur Idealstadt des Funktionalismus, Brünn war Europas Hauptstadt der Moderne. Auch Košice verzeichnete ab den zwanziger Jahren rege Bautätigkeit, und unverkennbar war die neue Architektur nun vom Fortschrittsgeist des jungen Staates geprägt.
Das Chaos und die Tragödien, die mit dem Zweiten Weltkrieg über die Ostslowakei hereinbrachen, sind in ein paar dürren Stichworten gar nicht darzustellen. Dann, weil Anfang 1945 Prag immer noch deutsch besetzt war, regierte der erste Nachkriegspräsident der ČSR ein paar Monate vom schon befreiten Košice aus. Doch auch mit den tschechischen Nachbarn war das Verhältnis nie gänzlich entspannt; die hatten also Gründe, sich um ihre weit östlichen Peripherien zu bemühen. War auch dies ein Grund, warum sie in Košice 1992 gegen die Auflösung der Föderation auf die Straße gingen? Aller Konflikte ungeachtet, hat der Schriftsteller Sándor Márai (1900–1989) den Ort seiner Kindheit als durch und durch „europäische Stadt“ gepriesen, und wie um dieses Erbe endlich einzulösen, darf sich Košice – neben Marseille (Bauwelt 15.2013) – noch bis Ende des Jahres Kulturhauptstadt Europas nennen.
Industriestadt und stolz darauf
Welche Rolle Košice im Lauf der Geschichte auch spielte, es war doch nie mehr als eine mittlere Provinzstadt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam sie auf gerade 30.000 Einwohner, 1950 hatte sich die Zahl nicht einmal ganz verdoppelt. Dann wurde im fernen Prag beschlossen, das Land von Stahlimporten unabhängig zu machen, was ein eigenes Metallurgiekombinat erforderte. Als Standort wurde Košice gewählt, denn dort sind es nur noch 80 Kilometer bis zur ukrainischen Grenze, von wo das Erz kam, aus Kriwoi Rog (über das extra verlegte Bahngleis in russischer Breitspur rollen die Lieferungen bis heute). Vom Aufbaubeschluss 1960 bis zum Produktionsstart dieser größten Industrieinvestition der ČSR vergingen knappe fünf Jahre. Im selben Tempo waren für Arbeiterfamilien Wohnungen zu schaffen, wofür das umfangreichste Wohnbauprogramm des Landes in Gang gesetzt wurde. Ab 1962 entstand der Stadtteil Zapad (West), wegen seiner Hanglage auch „Terasa“ genannt. Neun Wohnkomplexe (Luniks) mit insgesamt 17.000 Wohnungen wurden in die anspruchsvolle Topografie hinein komponiert, mit der sozialen Infrastruktur jener Jahre versorgt und über ein opulentes Verkehrsnetz mit der restlichen Stadt verbunden. Allerdings beschäftigte das Stahlwerk inzwischen 30.000 Menschen, da reichte die westliche Stadt-erweiterung bald nicht mehr aus. Ab 1972 kamen mit Nova Ves und ahanovce weitere, nun deutlich dichtere Großsiedlungen am östlichen und nördlichen Stadtrand hinzu. Am Ende war das gemütliche Alt-Košice kaum mehr als ein dürftiges Überbleibsel. In nur 30 Jahren hatte sich die Bevölkerung mehr als vervierfacht.
Das spätbarocke Rathaus an der Hauptgasse dient heute dem Fremdenverkehr, und auch im von Jugendstil leicht angewehten „Neuen Rathaus“ sitzen jetzt andere Verwaltungen. Seit ein paar Jahren wird Košice aus dem „Weißen Haus“ regiert, einem riesigen Gebäudekomplex, den sich die damalige Staatspartei noch 1985 hatte bauen lassen, demonstrativ mitten hinein in die Neubauviertel. Genauso darf man die jetzige Entscheidung wohl als Bekenntnis werten: Der Magistrat residiert da, wo die Mehrheit seiner Wähler lebt. Mögen die Touristen von den alten Zeiten schwärmen, Košice verleugnet seinen Charakter als Industriestadt nicht.
Warum sollten sie auch – es geht ihnen gut in der neuen Zeit. Zur Jahrtausendwende hat der Konzern U.S.Steel aus Pittsburgh das ehemals staatliche Stahlwerk übernommen, auf modernen Anlagen wird mit aktuell 14.000 Beschäftigten sichtlich erfolgreich produziert. Arbeit gibt es genug, die Leute wandern nicht ab, und der Konzern zeigt sich großzügig (u.a. indem er die „Steel Arena“, das riesige neue Eishockeystadion, bezahlte). Der Optimismus der amtierenden Stadtarchitektin ist also nachvollziehbar: Frau Királyová plant die Stadt auf Zuwachs, 300.000 Einwohner sind eine Option. Allerdings: Was noch an Wohnraum gebraucht würde, soll in Eigenheimen entstehen. Die Zeiten der großen staatlichen Wohnbauprogramme, sagt sie, seien vorbei. Dabei hatte es gerade damit noch einmal richtige Erfolge gegeben: Riesige Bestände an Plattenhochhäusern konnten nur deshalb durchgreifend saniert und energetisch ertüchtigt werden, weil die Regierung Sonderfördermittel dazugegeben hat. Wie einst in Prag, sieht man heute auch in der Hauptstadt Bratislava offenbar genügend Anlass, mit den östlichen Landesteilen besonders pfleglich umzugehen.
Auch wenn die industrielle Grundlage derzeit als stabil gilt, denkt man im Büro der Stadtarchitektin über ein neues Leitbild nach. Man will sich den internationalen Trends nicht verschließen und die postindustriellen Möglichkeiten Košices stärker betonen: als Standort für Bildung (mit allein drei Universitäten), für erlebbare Geschichte und Kultur. Dann müsse ihr, so unsere Vermutung, das Kulturhauptstadtjahr mit seinem Fokus auf kulturelle Attraktionen doch gut ins Konzept passen? Frau Királyová warnt vor einem zu engen Kulturbegriff: Ihr geht es um mehr als Kunst, für sie zählt auch der Politikstil zur Kultur, also Transparenz, auch Partizipation. Sie möchte Angebote zur Identifikation machen, denn selbst in zweiter Generation scheint ihr echte Verwurzelung, Bürgerbewusstsein noch immer nicht selbstverständlich: „Die Leute sollen sich der Stadt zugehörig fühlen, nicht nur ‚ihrem‘ Stahlwerk!“

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