Bauwelt

Gefangener der Erwartungshaltung

Ai Weiwei im Berliner Gropius-Bau

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Im Lichthof des Gropiusbaus: Mehr als 6000 Holzschemel aus der Ming- und der Qing-Dynastie sowie aus der Zeit der Republik China.
© Ai Weiwei

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Im Lichthof des Gropiusbaus: Mehr als 6000 Holzschemel aus der Ming- und der Qing-Dynastie sowie aus der Zeit der Republik China.

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Gefangener der Erwartungshaltung

Ai Weiwei im Berliner Gropius-Bau

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Er sei wie ein Stück Holz, das im Fluss daherschwimmt, hat der chinesische Künstler und Menschenrechtsaktivist Ai Weiwei in einem Interview einmal gesagt. Niemand wisse, wo das Holz demnächst antreibe. Er habe keine Pläne, kein Ziel.
1957 in Peking geboren, wuchs Ai unter den demütigenden Bedingungen der politischen Verbannung auf. Sein Vater war als bedeutender Lyriker Chinas zeitweilig Weggefährte Maos. Wie viele Intellektuelle, man schätzt ihre Zahl auf über 500.000, fiel er ab 1958 als vermeintlicher Abweichler der Umerziehung durch körperliche Arbeit anheim und wurde erst 1978, nach Maos Tod, rehabilitiert.
Ai Weiwei ging von 1981 bis 1993 in die USA. Vor dem Hintergrund der Willkürherrschaft seiner Heimat setzte er sich dort mit den emanzipativen Strategien westlicher Konzeptkunst auseinander. Marcel Duchamp wurde sein Vorbild, er knüpfte Kontakt zu Andy Warhols Kunstfabrik, entdeckte das Readymade und serielle Herstellungsprozesse als seine eigene Werkform, sah Parallelen zu chinesischen Kul­turtechniken wie der Wiederholung und der formalen Reduktion. Ai beschäftigte sich mit der Architektur Frank Lloyd Wrights, stieß auf Literatur zum Bauschaffen des Philosophen Ludwig Wittgenstein.
Nach seiner Rückkehr nach China war es Zufall, dass sein Aufstieg zum weltweit gefragten Künstler und Architekten so kometenhaft gelang. Der damalige Botschafter der Schweiz brachte Ai Weiwei mit Galeristen, Kuratoren und auch mit den Architekten Herzog & de Meuron zusammen. Das Olympiastadion in Peking 2008 und die Serpentine Gallery 2012 in London entstammen dieser Zusammenarbeit. Es schien, als hätte Ai Weiwei in den kooperativen Strukturen der Architekturproduktion eine auch seiner sozialen Ambition entsprechende Sparte gefunden. 2011 widmete das Kunsthaus Bregenz diesem Werkaspekt eine Ausstellung (Bauwelt 30.11), obgleich Ai sich damals schon davon distanzierte: Architektur läuft in totalitären Systemen Gefahr, politisch vereinnahmt zu werden. In seiner künstlerischen Kritik fand Ai Weiwei in den letzten Jahren zu direkten, persönlichen und vor allem mediengestützten Formen. Er dokumentiert die tagtäglichen Repressalien, denen er in China ausgesetzt ist, stellt alles ins Netz. Die Logik dabei: Solange er die staatliche Kontrolle seiner Person kontrollieren kann, ist er nicht in Gefahr.
Derzeit ist die weltweit größte Ausstellung von Ai Weiwei im Martin-Gropius-Bau in Berlin auf 3000 m2 in 18 Räumen und im Lichthof zu sehen. Deutschland scheint ihn besonders zu lieben. Erst letztes Jahr war Ai einer von drei Künstlern im deutschen Pavillon der Kunstbiennale Venedig. 2009 widmete ihm das Haus der Kunst in München die bis dahin umfangreichste Einzelausstellung (Bauwelt 41.09). Die Berliner Ausstellung zeigt gut 30 Werke, von frühen Arbeiten seines USA-Aufenthalts bis hin zu neuen, eigens für die Schau konzipierten.
Man trifft auf bekannte Momente und Strategien. Wie etwa die in großen Mengen aufgefahrenen Antiquitäten, die, zersägt, collagiert oder ganz belassen, an die rücksichtslose Verdrängung historischer Kultur im modernen China gemahnen sollen. Mehr als 6000 einfache Hocker aus ländlichen Haushalten sind im Lichthof des Gropius-Baus in geradezu preußischer Akkuratesse zusammengepfercht. Diese Installation lässt an Andreas Gurskys Großfotos von nordkoreanischen Massenveranstaltungen denken, für eine rurale Lebensbasis vermag diese Gleichschaltung kaum zu sensibilisieren. Oder: Waren es in München tausende Schulrucksäcke, die auf der Fassade des Hauses der Kunst als chinesischer Schriftzug der über 5000 Kinder gedachten, die 2008 beim Erdbeben in Sichuan in den Trümmern ihrer schlampig konstruierten Schulhäuser ums Leben kamen, so sind es in Berlin Bewehrungseisen aus eben diesen eingestürzten Gebäuden, die, fein säuberlich gereinigt und in Form gebracht, zu Fantasiegebilden zusammengefügt sind. Sie dienen auch als Vorlage für Objekte in Marmor – die man ratlos anschaut.
Ein Publikumsliebling: der Nachbau der beklemmenden Zelle, in der Ai 2011 für 81 Tage gefangen gehalten wurde. Und natürlich gibt es die Handschellen, die ihn dort fesselten. Aus heller Jade nachgebildet, werden sie wie die Reliquie eines modernen Märtyrers dargeboten. Ai Weiwei will den gleichberechtigten Dialog Chinas mit dem Westen, kritisiert die Leisetreterei hiesiger Außenpolitik. Er kennt die westliche Liebe für seine dissidente Kunst, bedient sie in gewaltiger Produktivität mit immer perfekter kalkulierten Bildsystemen. Es scheint aber, dass er nicht nur Gefangener in seinem eigenen Land ist. Er ist längst auch Gefangener einer Erwartungshaltung an seine Kunst, die aber stets nur ein politisches Feigenblatt sein kann.

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