Künstlergenie zwischen Monumental-Propaganda und Theater
Wladimir Tatlin in Basel
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Künstlergenie zwischen Monumental-Propaganda und Theater
Wladimir Tatlin in Basel
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Der Tatlin-Turm, als Denkmal für die III. Internationale ersonnen, gehört zum Standardrepertoire, wenn es gilt, die russisch-frühsowjetische Avantgarde herbeizuzitieren.
Ein spiralförmiges Gerüst, 400 Meter hoch, in seinem Inneren vier Körper bergend, die sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten drehen: Das war die Idee, die Wladimir Tatlin (1885–1953) in seiner Werkstatt zu einem fünf Meter hohen Holzmodell formte.Bei der Zusammenkunft der III. Internationale 1920 wurde es öffentlich vorgeführt. Einer kommunistischen Weltregierung hätte der Turm als Dienstsitz dienen sollen. Die Sowjet-Avantgarde hat viele faszinierende Entwürfe hervorgebracht, die sich als nicht baubar erwiesen, sei es El Lissitzkys horizontal auskragender Wolkenbügel, sei es Iwan Leonidows Lenin-Institut, das eher an eine Funkstation denken lässt, die Signale ins All sendet. Wladimir Tatlins Konstruktion ist eine reine Gedankenskizze, gewaltig und grazil zugleich. Und selbst wer sich die äußere Konstruktion als Stahlfachwerk vorstellen könnte, müsste an den inneren Körpern, die um eine einzige dünne Achse kreisen sollten, verzweifeln.
Prototyp des Himmelsstürmers
Im Basler Museum Tinguely sind zurzeit gleich zwei Rekonstruktionsmodelle des Tatlin-Turms zu sehen, das eine aus dem Jahr 1979 aus dem Pariser Centre Pompidou, das andere von 1993 aus der Moskauer Tretjakow-Galerie. Sie sind gewissermaßen die Ausrufezeichen der Ausstellung „Tatlin. Neue Kunst für eine neue Welt“, die nicht das vollständige – überschaubare – erhaltene Werk des Künstlers vorstellt, aber doch eine repräsentative Auswahl. Tatlin ist der Prototyp des Himmelsstürmers, der in kürzester Zeit ganze Werkgruppen schafft und hinter sich lässt – dann, bedingt durch die Zeitläufte in der nunmehr Stalin’schen Sowjetunion, immer mehr verstummen muss und schließlich den größeren Teil seines Arbeitslebens eine Art Schattenexistenz am Theater führt, etwas abseits vom Diktat des Sozialistischen Realismus, wo er Bühnenbilder und Kostüme entwirft.
Tatlin beginnt um 1910 mit der Malerei, orientiert sich an Picasso, den er 1914 in Paris aufsucht. Er gibt die Malerei im selben Jahr auf und zeigt unter dem Motto „Wir stellen das Auge unter die Kontrolle des Tastsinns“ Materialkombinationen und Malerische Reliefs. Die Eckreliefs, in den Raum vorgeschobene Malerei, bestehen aus Holz, Metall, Draht und Seilen und sind bis auf das Eck-Konterrelief aus dem Russischen Museum in St.Petersburg verloren; doch es gibt etliche Rekonstruktionen, die den Experimentalcharakter dieser Arbeiten gut vorführen.
Und dann 1919/20 das Turm-Monument. Tatlin ist zu dieser Zeit im Volkskommissariat für Bildungswesen als Leiter der Abteilung bildende Künste mit der Umsetzung von Lenins Plan zur Monumental-Propaganda beschäftigt. Die Denkmalsschwemme, die unter der bolschewistischen Herrschaft losbricht, bedient sich konventioneller Formen. Auch dagegen läuft das Turmprojekt Sturm. Es erscheinen Artikel und Broschüren zum Turm, er wird in Moskau ausgestellt, auch Lenin soll ihn besichtigt haben. Es hat etwas Anrührendes, dass nicht einmal das Modell, das Tatlin 1920 vorführt, aus Metall besteht, sondern aus schlichten Holzlatten mit metallenen Schraubverbindern. Ein Foto zeigt drei Assistenten in der Werkstatt beim Zusammenstecken der Stäbe.
Vogelflugversuche
Später unterrichtet Tatlin an diversen Instituten vor allem in Petrograd. Er muss ein rastloser Organisator gewesen sein. 1925 macht ein kleineres Turm-Modell bei der Pariser Art-déco-Ausstellung Furore, doch Tatlin darf schon nicht mehr reisen. Seine einzige monografische Ausstellung zu Lebzeiten erhält er 1932, zwei Wochen lang im Moskauer Puschkin-Museum. Da zeigt er den Flugapparat Letatlin, den Versuch, sich dem Flugvermögen der Vögel zu nähern. Tatsächlich gibt es Flugexperimente damit, das ist schon fast das Erstaunlichste. Während der Letatlin bei einer Segelflugschau vorgeführt wird, feiert der Stalinismus die Piloten der Motorflugzeuge.
So bleibt der Tatlin-Turm ein singuläres Werk im Œuvre dieses großen Unsteten. Ob der Turm tatsächlich ein Inspirationsquell der Architektur des 20. Jahrhunderts war, jedenfalls in einem mehr als bloß metaphorischen Sinne, bleibt die Frage. Die Basler Ausstellung, die hermetisch allein um Tatlin kreist, stellt sie nicht. Ihr gilt der Turm als Beleg des Künstlergenies, das sie zelebriert.
Prototyp des Himmelsstürmers
Im Basler Museum Tinguely sind zurzeit gleich zwei Rekonstruktionsmodelle des Tatlin-Turms zu sehen, das eine aus dem Jahr 1979 aus dem Pariser Centre Pompidou, das andere von 1993 aus der Moskauer Tretjakow-Galerie. Sie sind gewissermaßen die Ausrufezeichen der Ausstellung „Tatlin. Neue Kunst für eine neue Welt“, die nicht das vollständige – überschaubare – erhaltene Werk des Künstlers vorstellt, aber doch eine repräsentative Auswahl. Tatlin ist der Prototyp des Himmelsstürmers, der in kürzester Zeit ganze Werkgruppen schafft und hinter sich lässt – dann, bedingt durch die Zeitläufte in der nunmehr Stalin’schen Sowjetunion, immer mehr verstummen muss und schließlich den größeren Teil seines Arbeitslebens eine Art Schattenexistenz am Theater führt, etwas abseits vom Diktat des Sozialistischen Realismus, wo er Bühnenbilder und Kostüme entwirft.
Tatlin beginnt um 1910 mit der Malerei, orientiert sich an Picasso, den er 1914 in Paris aufsucht. Er gibt die Malerei im selben Jahr auf und zeigt unter dem Motto „Wir stellen das Auge unter die Kontrolle des Tastsinns“ Materialkombinationen und Malerische Reliefs. Die Eckreliefs, in den Raum vorgeschobene Malerei, bestehen aus Holz, Metall, Draht und Seilen und sind bis auf das Eck-Konterrelief aus dem Russischen Museum in St.Petersburg verloren; doch es gibt etliche Rekonstruktionen, die den Experimentalcharakter dieser Arbeiten gut vorführen.
Und dann 1919/20 das Turm-Monument. Tatlin ist zu dieser Zeit im Volkskommissariat für Bildungswesen als Leiter der Abteilung bildende Künste mit der Umsetzung von Lenins Plan zur Monumental-Propaganda beschäftigt. Die Denkmalsschwemme, die unter der bolschewistischen Herrschaft losbricht, bedient sich konventioneller Formen. Auch dagegen läuft das Turmprojekt Sturm. Es erscheinen Artikel und Broschüren zum Turm, er wird in Moskau ausgestellt, auch Lenin soll ihn besichtigt haben. Es hat etwas Anrührendes, dass nicht einmal das Modell, das Tatlin 1920 vorführt, aus Metall besteht, sondern aus schlichten Holzlatten mit metallenen Schraubverbindern. Ein Foto zeigt drei Assistenten in der Werkstatt beim Zusammenstecken der Stäbe.
Vogelflugversuche
Später unterrichtet Tatlin an diversen Instituten vor allem in Petrograd. Er muss ein rastloser Organisator gewesen sein. 1925 macht ein kleineres Turm-Modell bei der Pariser Art-déco-Ausstellung Furore, doch Tatlin darf schon nicht mehr reisen. Seine einzige monografische Ausstellung zu Lebzeiten erhält er 1932, zwei Wochen lang im Moskauer Puschkin-Museum. Da zeigt er den Flugapparat Letatlin, den Versuch, sich dem Flugvermögen der Vögel zu nähern. Tatsächlich gibt es Flugexperimente damit, das ist schon fast das Erstaunlichste. Während der Letatlin bei einer Segelflugschau vorgeführt wird, feiert der Stalinismus die Piloten der Motorflugzeuge.
So bleibt der Tatlin-Turm ein singuläres Werk im Œuvre dieses großen Unsteten. Ob der Turm tatsächlich ein Inspirationsquell der Architektur des 20. Jahrhunderts war, jedenfalls in einem mehr als bloß metaphorischen Sinne, bleibt die Frage. Die Basler Ausstellung, die hermetisch allein um Tatlin kreist, stellt sie nicht. Ihr gilt der Turm als Beleg des Künstlergenies, das sie zelebriert.
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