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Kunst zum Klettern, runderneuert

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Kunst oder Klettergerüst?
Foto 1981: Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation

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Kunst oder Klettergerüst?

Foto 1981: Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation


Kunst zum Klettern, runderneuert

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Seit über dreißig Jahren steht die Spielskulptur von Jochen Kramer (1935–1988) am Ufer des Wolfsburger Schillerteichs. Dass sie überhaupt dorthin gelangte und nicht längst wieder beseitigt ist, konnten weder die jeweils gültige DIN-Norm noch der Zahn der Zeit verhindern.
„Was ist denn das?“, mag sich fragen, wer zum ersten Mal der Spielskulptur ansichtig wird: Von den Radien der Röhren, Rutschen und Rundungen bis hin zu den Farbtönen in Rot und Gelb steht da am Rand des Schillerteichs ein Ding, das aussieht wie von einer Filmproduktion Mitte der siebziger Jahre stehen gelassen; viel zu entworfen jedenfalls, um als gewöhnliches Spielplatzgerät durchzugehen. Tatsächlich handelt es sich um ein ambivalentes Objekt, und tatsächlich stammt es aus einer Ära, die noch von Zukunftsfreude und Fortschrittsglaube beseelt war. Aus einer „abgeschlossenen Epoche“ also, wie es der Denkmalschutz formulieren würde.
Es war im Jahr 1974, als die Stadt Wolfsburg mit der Ausstellung „Kunst im Stadtbild“ Kunstwerke der Gruppe „Schloßstraße 8“ vorstellte, die im öffentlichen Raum der Stadt Aufstellung finden sollten. Nur eines der Objekte, die Spielskulptur des Wolfsburger Bildhauers Jochen Kramer, wurde realisiert. Was sich als schwierig genug erwies. Obschon Kramer Anfang November 1974 mit der Ausführungsplanung beauftragt worden war, vergingen Jahre, bis Kinder darauf herumturnen konnten. Denn ob ein Ding Klettergerät oder Kunst sein will, das muss exakt geklärt sein. Kramer hatte seinen Entwurf an die Normen für Kinderspielplätze anzupassen: Austrittsöffnungen mussten verkleinert, Geländerstababstände angepasst, Rutschstangen durch Leitern ersetzt werden – all dies „ohne Beeinträchtigung der Plastik“, so Kramer laut einem Aktenvermerk. Trotzdem weigerte sich das Kulturamt, die Skulptur „aufgrund erheblicher Sicherheitsbedenken“ vom Bauamt zu übernehmen – schließlich sei DIN 7926, Teil I und III, nicht entsprochen worden. Auch der TÜV zeigte sich ratlos: Die Absturzsicherheit sei nicht gewährleistet, die Höhe der Skulptur nicht mit den anerkannten Regeln der Technik in Einklang zu bringen, lautete das Urteil Ende August 1981. Da stand die Plastik schon fast zwei Jahre am Schillerteich.
Das Rechtsamt der Stadt verlor dann auch bald die Geduld: Die Plastik sei „ohne Rücksicht auf künstlerische Befindlichkeiten kindgemäß zu sichern“ oder „der Zugang zu unterbinden“, denn „Leben und Gesundheit der Kinder haben Vorrang vor der Kunst im Stadtbild“. Doch war besagte Vorschrift überhaupt anzuwenden? Diese war schließlich erst 1979 in Kraft getreten, als der Bau der Plastik längst ausgeschrieben war. Bauamt, Kulturamt und TÜV fanden schließlich eine Lösung, indem mehr Sand unter die Plastik geschüttet wurde, eventuell abstürzende Kinder mithin sanfter aufschlugen. Am 24. März 1982 wurde die rund 150.000 DM teure Spielplastik abgenommen – „eine glückliche Verbindung zwischen dynamischer Kunst und einem Angebot für Jugendliche, wie es bisher in Wolfsburg fehlt“, wie Oberstadtdirektor Hasselbring im Juni 1977 auf einer Pressekonferenz formuliert hatte.
Sanierung im Konjunkturpaket
Ein Vierteljahrhundert nach der geglückten Übergabe war die Skulptur „irreparabel beschädigt“ und „ab sofort gesperrt“, ihr „Abriss unumgänglich“, so das vernichtende Urteil im Mai 2008. Nun ist die Spielplastik zwar nicht das einzige Kunstwerk Kramers in Wolfsburg. Trotzdem wäre der Verlust des originellen Werks bedauerlich gewesen, aufgrund seiner Funktion und Lage einerseits, als Zeuge seiner Entstehungszeit andererseits. Rettung kam mit dem Konjunkturpaket II, dessen Mittel die Stadt für die Renovierung nutzte. Ziel war es, das Erscheinungsbild zu bewahren – auch um Streit mit den Erben des Künstlers zu vermeiden –, dabei aber weiter verschärften Sicherheitsbestimmungen zu genügen. So musste der Zugang zur obersten, rund vier Meter hoch gelegenen Plattform unterbunden werden; die Rutschstangen sind nicht mehr von verschiedenen Plattformen zugänglich, die separierte kleine Röhre kann nicht mehr beklettert werden, die Rutschen wurden durch neue, der ursprünglichen Form aber entsprechende ersetzt. Auch wurde das Farbkonzept Kramers wiederhergestellt. Im Sommer 2010 wurde die für rund 100.000 Euro sanierte Spielskulptur neu eingeweiht. Doch schon im Jahr darauf musste nochmals Hand angelegt werden: Die Kinder, Vorschriften und Normen geringschätzend, benutzten nun die Rutschen, um nach ganz oben zu gelangen.

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