Nicht immer angenehm: Lektüren polnischer Architekten
Text: Stiasny, Grzegorz, Warschau
Nicht immer angenehm: Lektüren polnischer Architekten
Text: Stiasny, Grzegorz, Warschau
Architekturdebatten in Polen werden seit einigen Jahren von Büchern angestachelt, in denen es oft gar nicht um Bauwerke im engeren Sinne geht, sondern um deren weitere, vornehmlich emotionale Wirkungen.
Abhandlungen zu soziologischen und historischen, aber auch zu rein ästhetischen Themen erreichten ein zahlreiches Expertenpublikum und gaben Anlass zu manch heftigen Kontroversen.
„Plattenbauten“ ist eine so gängige wie abwertende Bezeichnung für jene Siedlungen, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts das Bild osteuropäischer Städte beherrschen. In seinem Stadtführer durch Warschaus Plattenbausiedlungen (Przewodnik po warszawskich blokowiskach) hat Jarosław Trybuś nun beschrieben, wie diese baulichen Strukturen durchaus zu gesellschaftlicher Akzeptanz fanden. Sein Buch zeigt, wie sich in den sozialistisch konzipierten Wohnsiedlungen das reale Leben andere als die von Planern und Architekten vorgesehenen Bahnen sucht. Überraschend an Bedeutung gewinnen dabei Orte, die innerhalb der homogenen Wohnbebauung Anlässe für Kommunikation und soziale Bindung schaffen. Grünflächen, Überreste älterer Bebauung oder kleine Marktplätze vermitteln den Bewohnern oft Identität, ja Gefühle von Lokalstolz. Der Leitfaden kartografiert diese Formen von nutzerorientierter „Guerilla“-Stadtentwicklung.
Wie Visionen der Architekten und die Visionen der Gesellschaft im Verlauf der Geschichte auseinander driften können, beschreibt auch Beata Chomątowska in ihrem Buch Haltestelle Muranów (Stacja Muranów). Die heutige Wohnsiedlung Muranów gehört zu dem Teil Warschaus, der auf den Ruinen des vollständig zerstörten Ghettos errichtet wurde. Geplant war hier ursprünglich ein ganzer Stadtbezirk als Denkmal für den Kampf und das Leid der jüdischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Doch die Bedürfnisse der Bewohner wie auch der politische Druck, der Architektur einen hauptstädtisch repräsentativen Charakter zu verleihen, haben diese Pläne konterkariert. Heute bietet ein Spaziergang durch den ehemaligen jüdischen Bezirk eine beschauliche Tour durch Grünflächen zwischen behäbigen Wohnblöcken aus der Nachkriegszeit. Die nahezu vollständige Neuanlage der Bauformen, neue Straßenverläufe und neue Bewohner haben die Erinnerung an das Bild des einstigen jüdischen Ghettos nahezu vollständig getilgt. Diejenigen, die heute hier wohnen, haben eigene Kriege, Opfer und Aufstände, derer sie gedenken. Doch aufmerksame Beobachter können zwischen den Häusern verstreute, zwar kleine, aber mit den Jahren immer mehr Anzeichen dafür entdecken, dass man sich bemüht, die Erinnerung an Menschen und traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit zu erhalten. Das Erscheinen des Buches fällt zeitlich zusammen mit der baulichen Fertigstellung des neuen Museums der Geschichte der polnischen Juden. Mitten im Stadtviertel Muranów wird das Gebäude zum zentralen, wenn auch nicht einzigen Symbol für die wiederbelebte Erinnerung an die jüdische Vergangenheit polnischer Städte.
Die Frage nach der Identität Warschaus – einer sozial überaus dynamischen Stadt, in der überwiegend Zugezogene den Ton angeben – ist ein häufig wiederkehrendes Motiv in den Veröffentlichungen der Stiftung Neue Kultur „Bęc Zmiana“. Diese Schmiede von Stadtaktivisten gab unter anderem Ruhm der Stadt (Chwała Miasta) heraus, ein Buch für Leser, die ihre lokale Umgebung näher kennenlernen wollen.
Das sind überwiegend Vertreter des „Neuen Bürgertums“, einer Generation selbstbewusster 30- bis 40-Jähriger, für die der Lebensstil in Großstädten Grundlage ihrer Identität ist.
Diese neuen Enthusiasten des Stadtlebens interessiert Stadt vorrangig als soziologisches Phänomen. Und sie wollen aktiv werden, Veränderung bewirken, indem sie das von Politik und Verwaltung gern beschworene Image der Stadt mit den Ansichten und Erwartungen des sogenannten Durchschnittsbürgers konfrontieren.
Die Architekturkritiker und Kuratoren Grzegorz Piątek und Jarosław Trybuś waren unter anderem für die polnische Präsentation auf der Architekturbiennale in Venedig 2008 verantwortlich, die damals mit dem Goldenen Löwen für die beste Ausstellung ausgezeichnet wurde. Ihre gemeinsame Talkshow Zuckerguss und Fleisch (Lukier i Mięso) stieß nicht nur unter Architekten auf großes Interesse. Das gleichnamige Buch nun ist eine in salopper Umgangssprache formulierte Aufzeichnung ihrer zwang-losen Plauderei über den Zustand der polnischen Gegenwartsarchitektur. Die beiden Kritiker übertrumpfen sich mit bissigen und intelligenten Urteilen, denen schwerlich zu widersprechen ist. Unter Architekten rief die Veröffentlichung einen Sturm der Entrüstung hervor; wer namentlich nicht darin vorkam, fühlte sich künstlerisch übergangen. Und das neue polnische Bürgertum – zumindest dessen kulturaffiner und wohlsituierter Teil – konnte einen Einblick in die professionelle Architekturwelt erhalten, unter besonderer Hervorhebung der kreativen Potenziale der jüngeren polnischen Planergeneration. Auch wurden gute Argumente geboten, um sich für neue Architektur zu begeistern.
Im heutigen Polen gilt es als schick, sich besorgt über den Zustand des öffentlichen Raums zu äußern – vor allem in Bezug auf dessen ästhetische Misere. Und doch – um Menschen direkt ins Gesicht zu sagen, dass sie in einer hässlichen Umgebung leben, braucht es Mut. Diesen Mut bringt der Fotograf Filip Springer in seinen Reportagen auf. Sein jüngstes Buch Badewanne mit Säulengang (Wanna z Kolumnadą) zielt journalistisch messerscharf auf den Wirtschaftsliberalismus, der ein zunehmendes räumliches Chaos verursacht, für überbürokratische Planungsstrukturen sorgt und – nach Meinung des Autors – in der ästhetischen Bildung grundfalsche Signale setzt. Auch die mitverantwortlichen Architekten werden nicht verschont. Schon 2012 hatte Springer gezeigt, wie eindrucksvoll er über Architektur schreiben kann. Seine damaliger Bild-Text-Band Schlecht geboren. Reportagen über die Architektur der Volksrepublik Polen (Źle urodzone. Reportaże o architekturze PRL) widmete sich den verschiedenen Sichten auf spätmodernistische Architektur, die von vielen mit einem undemokratischen Regierungssystem assoziiert wird. Aber erst „Badewanne mit Säulengang“ erhitzte die Gemüter des professionellen Milieus. Die ältere Generation fühlte sich von der Unterstellung angegriffen, die Planer stünden „auf Seiten des Chaos“. Junge Architekten hingegen veranstalten enthusiastisch immerzu neue Vorträge und Lesungen mit dem Autor.
„Plattenbauten“ ist eine so gängige wie abwertende Bezeichnung für jene Siedlungen, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts das Bild osteuropäischer Städte beherrschen. In seinem Stadtführer durch Warschaus Plattenbausiedlungen (Przewodnik po warszawskich blokowiskach) hat Jarosław Trybuś nun beschrieben, wie diese baulichen Strukturen durchaus zu gesellschaftlicher Akzeptanz fanden. Sein Buch zeigt, wie sich in den sozialistisch konzipierten Wohnsiedlungen das reale Leben andere als die von Planern und Architekten vorgesehenen Bahnen sucht. Überraschend an Bedeutung gewinnen dabei Orte, die innerhalb der homogenen Wohnbebauung Anlässe für Kommunikation und soziale Bindung schaffen. Grünflächen, Überreste älterer Bebauung oder kleine Marktplätze vermitteln den Bewohnern oft Identität, ja Gefühle von Lokalstolz. Der Leitfaden kartografiert diese Formen von nutzerorientierter „Guerilla“-Stadtentwicklung.
Wie Visionen der Architekten und die Visionen der Gesellschaft im Verlauf der Geschichte auseinander driften können, beschreibt auch Beata Chomątowska in ihrem Buch Haltestelle Muranów (Stacja Muranów). Die heutige Wohnsiedlung Muranów gehört zu dem Teil Warschaus, der auf den Ruinen des vollständig zerstörten Ghettos errichtet wurde. Geplant war hier ursprünglich ein ganzer Stadtbezirk als Denkmal für den Kampf und das Leid der jüdischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Doch die Bedürfnisse der Bewohner wie auch der politische Druck, der Architektur einen hauptstädtisch repräsentativen Charakter zu verleihen, haben diese Pläne konterkariert. Heute bietet ein Spaziergang durch den ehemaligen jüdischen Bezirk eine beschauliche Tour durch Grünflächen zwischen behäbigen Wohnblöcken aus der Nachkriegszeit. Die nahezu vollständige Neuanlage der Bauformen, neue Straßenverläufe und neue Bewohner haben die Erinnerung an das Bild des einstigen jüdischen Ghettos nahezu vollständig getilgt. Diejenigen, die heute hier wohnen, haben eigene Kriege, Opfer und Aufstände, derer sie gedenken. Doch aufmerksame Beobachter können zwischen den Häusern verstreute, zwar kleine, aber mit den Jahren immer mehr Anzeichen dafür entdecken, dass man sich bemüht, die Erinnerung an Menschen und traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit zu erhalten. Das Erscheinen des Buches fällt zeitlich zusammen mit der baulichen Fertigstellung des neuen Museums der Geschichte der polnischen Juden. Mitten im Stadtviertel Muranów wird das Gebäude zum zentralen, wenn auch nicht einzigen Symbol für die wiederbelebte Erinnerung an die jüdische Vergangenheit polnischer Städte.
Die Frage nach der Identität Warschaus – einer sozial überaus dynamischen Stadt, in der überwiegend Zugezogene den Ton angeben – ist ein häufig wiederkehrendes Motiv in den Veröffentlichungen der Stiftung Neue Kultur „Bęc Zmiana“. Diese Schmiede von Stadtaktivisten gab unter anderem Ruhm der Stadt (Chwała Miasta) heraus, ein Buch für Leser, die ihre lokale Umgebung näher kennenlernen wollen.
Das sind überwiegend Vertreter des „Neuen Bürgertums“, einer Generation selbstbewusster 30- bis 40-Jähriger, für die der Lebensstil in Großstädten Grundlage ihrer Identität ist.
Diese neuen Enthusiasten des Stadtlebens interessiert Stadt vorrangig als soziologisches Phänomen. Und sie wollen aktiv werden, Veränderung bewirken, indem sie das von Politik und Verwaltung gern beschworene Image der Stadt mit den Ansichten und Erwartungen des sogenannten Durchschnittsbürgers konfrontieren.
Die Architekturkritiker und Kuratoren Grzegorz Piątek und Jarosław Trybuś waren unter anderem für die polnische Präsentation auf der Architekturbiennale in Venedig 2008 verantwortlich, die damals mit dem Goldenen Löwen für die beste Ausstellung ausgezeichnet wurde. Ihre gemeinsame Talkshow Zuckerguss und Fleisch (Lukier i Mięso) stieß nicht nur unter Architekten auf großes Interesse. Das gleichnamige Buch nun ist eine in salopper Umgangssprache formulierte Aufzeichnung ihrer zwang-losen Plauderei über den Zustand der polnischen Gegenwartsarchitektur. Die beiden Kritiker übertrumpfen sich mit bissigen und intelligenten Urteilen, denen schwerlich zu widersprechen ist. Unter Architekten rief die Veröffentlichung einen Sturm der Entrüstung hervor; wer namentlich nicht darin vorkam, fühlte sich künstlerisch übergangen. Und das neue polnische Bürgertum – zumindest dessen kulturaffiner und wohlsituierter Teil – konnte einen Einblick in die professionelle Architekturwelt erhalten, unter besonderer Hervorhebung der kreativen Potenziale der jüngeren polnischen Planergeneration. Auch wurden gute Argumente geboten, um sich für neue Architektur zu begeistern.
Im heutigen Polen gilt es als schick, sich besorgt über den Zustand des öffentlichen Raums zu äußern – vor allem in Bezug auf dessen ästhetische Misere. Und doch – um Menschen direkt ins Gesicht zu sagen, dass sie in einer hässlichen Umgebung leben, braucht es Mut. Diesen Mut bringt der Fotograf Filip Springer in seinen Reportagen auf. Sein jüngstes Buch Badewanne mit Säulengang (Wanna z Kolumnadą) zielt journalistisch messerscharf auf den Wirtschaftsliberalismus, der ein zunehmendes räumliches Chaos verursacht, für überbürokratische Planungsstrukturen sorgt und – nach Meinung des Autors – in der ästhetischen Bildung grundfalsche Signale setzt. Auch die mitverantwortlichen Architekten werden nicht verschont. Schon 2012 hatte Springer gezeigt, wie eindrucksvoll er über Architektur schreiben kann. Seine damaliger Bild-Text-Band Schlecht geboren. Reportagen über die Architektur der Volksrepublik Polen (Źle urodzone. Reportaże o architekturze PRL) widmete sich den verschiedenen Sichten auf spätmodernistische Architektur, die von vielen mit einem undemokratischen Regierungssystem assoziiert wird. Aber erst „Badewanne mit Säulengang“ erhitzte die Gemüter des professionellen Milieus. Die ältere Generation fühlte sich von der Unterstellung angegriffen, die Planer stünden „auf Seiten des Chaos“. Junge Architekten hingegen veranstalten enthusiastisch immerzu neue Vorträge und Lesungen mit dem Autor.
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