Bauwelt

Parzelle, Adresse, Distinktionsgewinn

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Die Altenwohnanlage der "Burg", kurz nach der Fertigstellung
Wolfgang Muthesius

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Die Altenwohnanlage der "Burg", kurz nach der Fertigstellung

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Jürgen Voss

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Jürgen Voss


Parzelle, Adresse, Distinktionsgewinn

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Wie umgehen mit einem Großwohnungsbau aus den sechziger Jahren, der aus der Gunst der Wohnungssuchenden gefallen ist? KSP Jürgen Engel Architekten sind dabei, die „Burg“ von Detmerode umzuwandeln und für heutige Ansprüche attraktiv zu machen. Die verschiedenen Ansätze, die für die einzelnen Abschnitte verfolgt werden, bilden ein neues Ganzes.
Der 75. Jahrestag der Stadtgründung ist nicht das einzige Jubiläum, das 2013 in Wolfsburg gefeiert werden kann: Der Stadtteil Detmerode wird dieses Jahr 50. Für Architekten und Stadtplaner gibt es gleich mehrere Gründe, dem Satelliten im Südwesten des Stadtgebiets aus diesem Anlass einen Besuch abzustatten: zunächst die ungewöhnliche, streng rechtwinklige Anlage des Quartiers mit ihrem flach bebauten Zentrum und den verdichteten Rändern – kein Geringerer als Paul Baumgarten (1900–1984) hat den Bebauungsplan entworfen –; einige auffällige Gebäude wie das ebenfalls von Baumgarten geplante „Stufenhaus“, das die Einfahrt in den Stadtteil markiert, die von Alvar Aalto (1898–1976) entworfene Stephanus-Kirche oder das „Schwedenhaus“ von Dieter Oesterlen (1911–1994); schließlich aber auch ein Projekt, das für die Gegenwart und Zukunft von Detmerode (und Wolfsburg) steht: der Umbau der „Burg“ am Südrand des Stadtteils durch das Braunschweiger Büro von KSP Jürgen Engel Architekten.
Umbau, Ersatzneubau, Sanierung im Bestand
Die „Burg“ ist eine Wohnanlage, die in mancher Hinsicht untypisch ist für Detmerode. Mit ihren ursprünglich 532 Wohnungen, die sich in drei mehrfach gewinkelten Hochhausketten bis 14 Geschosse hoch auftürmten, gehört dieser als letzter realisierte Komplex von Detmerode architektonisch wie strukturell eher zu dem im Anschluss entstandenen Nachbarstadtteil Westhagen (s. Seite 38) – in der „Burg“ verschwand das Einzelgebäude in einer schon topographisch anmutenden Großform. Der hohe Leerstand, den die städtische Wohnungsbaugesellschaft Neuland zuletzt dort verzeichnete, deutete da-rauf hin, dass die eng geschnittenen, überwiegend zweieinhalb oder drei Zimmer zählenden Wohnungen heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen. So begann zum einen eine ehrgeizige Erneuerung, die, von KSP Jürgen Engel Architekten geplant, den Teilrück-, Um- und Erweiterungsbau der nordwestlichen Hochhauskette umfasste. Das Projekt wurde 2011 fertiggestellt und seitdem mehrfach preisgekrönt. Zum anderen wurde im vergangenen Jahr die einstige Höhendominante mit ihren 257 Wohneinheiten abgerissen, die sich im Osten anschloss und den baulichen Hochpunkt der „Burg“ bildete; dieser Trakt war von städtebaulich besonderer Bedeutung, da er in der Sichtachse der John-F.-Kennedy-Allee stand – für eine Umgestaltung hatten KSP Jürgen Engel Architekten bereits einen Entwurf erarbeitet, als die Entscheidung für den Abriss fiel. Doch die Braunschweiger sind zurück im Spiel: Soeben ist der Wettbewerb für die Neubebauung der Abrissbrache entschieden worden – und das Büro hat sich erneut durchgesetzt, mit einem Entwurf, der am stärksten auf die Ensemble-Wirkung der Neubauten mit den übrigen Teilen der „Burg“ setzt. Architektonisch bescheidener nimmt sich zu guter Letzt die Sanierung der verbliebenen Gebäudesegmente aus, welche die Süd- und die Ostspitze der Burg bilden; bei ihnen wird auf strukturverändernde Eingriffe verzichtet.
Den Paradigmenwechsel zeigen
Kommt man heute zur „Neuen Burg“, wie der Komplex aufgrund der Umgestaltung inzwischen heißt, scheint das einst so massiv wirkende Wohngebirge verschwunden, ersetzt durch kleineren Geschosswohnungsbau, dem wenig von der früheren Anmutung anhaftet: Vor- und Rücksprünge, Farb- und Materialkontraste, Durchblicke, Aufbauten, Loggien – kaum zu glauben, dass der Betrachter einem Trakt der alten „Burg“ gegenübersteht, der auf vier Geschosse gekürzt, umgebaut und um ein neues Obergeschoss ergänzt worden ist. Wer genau hinschaut, entdeckt dann auch, dass bei dieser Verwandlung die ursprünglichen Fensteröffnungen beibehalten wurden, lediglich die Treppenhäuser sind auf ganzer Höhe verglast worden. Wichtig für die andere Wirkung der Gebäude ist auch ihre neue Verbindung mit dem Außenraum, bei der die Hochparterre-Lage des Erdgeschosses quasi „angeschüttet“ wurde: Vorgelagerte Terrassen und Rampen bilden nun eine halböffentliche Vorzone, während die Wohngebäude selbst stufenlos erreichbar sind. Verschwand einst also das einzelne Gebäude in der Großform, so verschwindet deren Größe jetzt unter einer neuen Schicht von Maßstäblichkeit. Das Projekt ist insofern aufschlussreich, wenn es um die Frage geht, wie sich eine Großwohnanlage der sechziger Jahre mit den Ansprüchen unserer Tage in Deckung bringen lässt – und zwar nicht allein in technischer, energetischer und funktionaler Hinsicht, sondern auch in Hinblick auf die Wahrnehmung und die Idee der Architektur. Die gestalterische Parzellierung, die die Architekten dem ersten Bauabschnitt der „Burg“ haben angedeihen lassen (tatsächlich ist die Anlage auch weiterhin von vorn bis hinten Eigentum der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Neuland), bildet jedenfalls präzise ab, was das gegenwärtige Verständnis von Wohnen und Stadtentwicklung prägt: der Wunsch nach kleinteiligem Eigentum, nach Adressbildung, nach Distinktionsgewinn. Es sind dies die typischen Merkmale des privatisierten und renditeorientierten Städtebaus, der die Stadtentwicklung hierzulande seit den achtziger Jahren bestimmt, als die Neue Heimat, das Symbol der sozialstaatlichen Wohnungsfürsorge, medienwirksam implodierte.
Das Ergebnis der Erneuerung ist in diesem Fall zu begrüßen. Denn nicht allein, dass es gelungen ist, eine formale Kleinteiligkeit zu implementieren, die dem Komplex zuvor fremd war – durch Grundrissveränderungen und Penthouses ist auch eine neue räumliche und soziale Komplexität entstanden, die dem Ort guttun kann – gerade im Zusammenspiel mit den beiden anderen Bauabschnitten der Erneuerung, der Sanierung im Bestand und dem Ersatzneubau, welcher gegenüber dem ersten Bauabschnitt ein nochmal höheres Ausstattungsniveau bieten soll. Gemeinsam liefern die Erneuerungsprojekte der „Burg“ reichlich Diskussionsstoff für die Anpassung von Gebäuden dieser Art, wie sie in fast jeder Stadt zu finden sind, die vor vierzig, fünfzig Jahren Einwohnerzuwachs zu verzeichnen hatte. Weit muss der Blick gar nicht schweifen. Von der „Neuen Burg“ in Detmerode bis zur Dessauer Straße im Stadtteil Westhagen sind es gerade mal dreieinhalb Kilometer – die Mindestabstrahlweite, die diesem Projekt zu wünschen ist. Mehr zu Westhagen im Beitrag von Ulrich Knufinke ab Seite 38. 
Fakten
Architekten KSP Jürgen Engel Architekten
aus Bauwelt 17-18.2013
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