Revolution am Berg
Neubau von drei Schutzhütten in den Südtiroler Alpen
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Revolution am Berg
Neubau von drei Schutzhütten in den Südtiroler Alpen
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Für viele sind sie die letzte Bastion der Bergromantik – die über einhundert Jahre alten Schutzhütten in den Südtiroler Alpen. Nun sollen drei von ihnen Neubauten weichen. Das sorgte für Protest. Dabei versprechen die Wettbewerbsergebnisse mehr Komfort und einen schonenden Umgang mit Ressourcen.
Wer einmal im Hochgebirge gewandert ist, kennt das wohlige Gefühl, an einer Hütte anzukommen. Sie sind der Stolz jedes Alpenvereins: In beträchtlicher Höhe gelegen, nur zu Fuß erreichbar und umgeben von phantastischer Landschaft bieten sie Wanderern Kost und Logis für die Nacht. 740 Hütten gibt es in den Österreichischen, Deutschen, Schweizer und Südtiroler Alpen. Viele von ihnen sind über einhundert Jahre alt. So auch drei der 25 Schutzhütten, die das Land Südtirol vom italienischen Alpenverein CAI übernommenen hat. Vor einiger Zeit hatte das zuständige Hochbauamt in Bozen ihren Bauzustand geprüft und festgestellt, dass die Edelraut-, die Schwarzenstein- und die Weißkugelhütte nicht mehr saniert werden können. Daraufhin hat die Landesregierung deren Neubau „mit innovativen architektonischen und technischen Konzepten“ beschlossen und drei Wettbewerbe ausgelobt. Dazu waren jeweils acht Büros aus der Region eingeladen. Die Aufgabe war für alle die gleiche: Obwohl sich die Hütten nicht nur als Ausgangspunkt für Bergsteiger, sondern auch als Wanderziel für Familien und gehfreudige Senioren verstehen, ist der Komfort gegenüber der Schutzfunktion zweitrangig. Jeder Quadratmeter muss genutzt werden. Der Eingang wird als Windfang, Garderobe und Schuhtrockenraum zum Mehrzweckort. Der Speiseraum sollte teilbar sein, um bei wenig Andrang weniger heizen zu müssen. Geschlafen wird in Stockbetten in Kammern mit zwei bis acht Plätzen, sich gewaschen wird nach Geschlecht getrennt in Bezahlduschen. Die Pächter bekommen einen eigenen Wohnbereich. Ein beheizbares Winterlager mit Kochgelegenheit sowie eine größtmögliche Vorfertigung der Konstruktion waren gefordert.
Die Juryentscheidungen (Vorsitz: Bauten-Ressortdirektor Josef March) brachen in der Lokalpresse eine Kontroverse um die Romantik der Bergwelt los, denn seit vielen Jahrzehnten wurde in den Südtiroler Bergen keine Hütte mehr neu errichtet. Ein Politiker bezeichnete die Siegerentwürfe als „hässliche Protzbauten“. „Erhaltet die Südtiroler Schutzhütten und Almen“ lautete eine Petition gegen den geplanten Abriss. In einer Umfrage der SüdtirolNews hingegen war die Mehrheit für die Neubauten. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt und die drei Siegerbüros arbeiten an der Ausführungsplanung. Voraussichtlich 2014 soll mit dem Bauen begonnen werden.
Edelrauthütte | Winkel gegen den Wind
Die Edelrauthütte auf 2545 Meter Höhe ist Ausgangspunkt für Touren in die Dreitausender-Region der Zillertaler Alpen und bietet 18 Schlafplätze. Sie wurde 1906 erbaut, im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1950 wieder errichtet. Wegen ihres schlechten Zustandes soll sie abgebrochen und neu gebaut werden.
1. Preis | MODUS architects schlagen einen L-förmigen Holzbau vor, der gegen die Windseiten hin geschlossen ist und sich nach Süden öffnet. Dort ist eine Aussichtsterrasse vorgelagert. Die Konstruktion basiert auf einem 2,40-Meter-Raster. Die vorgefertigten Holzelemente – Pfosten-Riegel-Konstruktion für die Wände und Paneele für Decken und Dach – können mit dem Hubschrauber transportiert werden. Das Haus ist je nach Zahl der Gäste zonenweise beheizbar. Das Winterlager hat einen wettergeschützten Zugang von außen. Die Position des Hauses nutzt das Geländegefälle und ermöglicht ein Untergeschoss mit 1,20 m Aushub. Das 245 m² große Dach ist für Solar- und Photovoltaikpaneele ausgelegt. Eine Windkammer für den späteren Einbau von Windrädern ist vorgesehen. Die Jury lobte die Raumorganisation. Der Entwurf überzeuge in seiner Einfachheit und Bescheidenheit.
Schwarzensteinhütte | Holzturm im Kupferkleid
Die Schwarzensteinhütte im Ahrntal ist die höchstgelegene Schutzhütte der Zillertaler Alpen. Auf auf 2923 Meter Höhe bietet sie 50 Schlafplätze. Sie wurde 1894 erbaut und 1979, nach zwischenzeitlicher militärischer Besetzung, dem italienischen Alpenverein zugewiesen. Statisch-geologische Probleme machen einen Neubau etwa 100 Meter weiter höher notwendig.
1. Preis | Helmut Stifter und Angelika Bachmann stapeln die Funktionen in fünf Geschossen zu einem turmartigen Baukörper. Über Terrasse und Windfang gelangen die Wanderer in die Stube mit Theke, umlaufender Eckbank und Holzofen. Ein Fensterband gewährt weite Ausblicke. Im Untergeschoss sind WCs, Lager, Werkstatt und Technik, in den Obergeschossen die Schlafkojen, ganz oben die Räume für Pächter und Personal untergebracht. Das Winterlager liegt im 1.OG. Die Konstruktion ist mit Fichte-Kreuzlagenholz, der Innenausbau in Lärche vorgeschlagen. Die Hülle besteht aus vorpatinierten Kupfer-Verbundblechen mit geschlossenen Fugen. Das nach Südwest geneigte Dach soll mit Kollektoren für Strom und Warmwasser ausgestattet werden. Das Projekt überzeuge mit seinem skulpturalen und innovativen Ansatz, urteilte die Jury.
Weißkugelhütte | Schutzburg mit Zinkschuppen
Die Weißkugelhütte auf 2544 Meter Höhe ist Ausgangspunkt für Touren in die Dreitausender-Region der Ötztaler Alpen. Sie bietet 48 Schlafplätze und wird mit einer Materialseilbahn versorgt. Sie wurde 1893 erbaut und 1936 erweitert. Auch hier ist der schlechte Zustand Grund für einen Neubau.
1. Preis | Höller & Klotzner Architekten entwickeln einen geschlossenen Baukörper, der sich dem abfallenden Gelände entgegen stemmt. Die kleinen Fenster und Schlitze sollen die Schutzfunktion einer Berghütte zum Ausdruck bringen. In die Fundamentplatte sollen Mauersteine der alten Hütte einbetoniert werden, um den Betontransport zu reduzieren. Der Kaltbereich soll mit Betonhalbfertigteilen, alles andere in Vollholzständerbauweise mit Zelluloseflockendämmung errichtet werden. OSB-Platten bilden den wind- und luftdichten Abschluss. Die Hülle bilden Titanzink-Platten in Schuppenoptik. Deren Patina erinnere an das Paragneisgestein der Umgebung, sagen die Architekten, die eine Bemoosung und Flechtenbildung entlang der Plattenfugen anstreben. Die geforderten Photovoltaik- und Solarpaneele kommen aufs Dach. Der Hügel südwestlich des Gebäudes ist für die Terrasse vorgesehen. Das Zusammenspiel mit den bestehenden Bauten, der Kapelle und der Seilbahn, sei sehr gut gelöst, urteilte die Jury. Sie entschied sich erst nach einer Überarbeitungsrunde für den Entwurf.
Einstufige Planungswettbewerbe
Edelrauthütte 1. Preis MODUS architects, Brixen | Weitere Teilnehmer Peter Plattner, Bozen | EM2 Architekten, Bruneck | Werner Seidl, Dorothea Aichner, Bruneck | Martin Stauder, Wolfgang Meraner, Hannes Kofler, Vintl/Vandoies | feld72 architekten, Caldaro | bergmeisterwolf architekten, Brixen; LAAC Architekten, Innsbruck | Armin Blasbichler, Brixen
Schwarzensteinhütte 1. Preis Helmut Stifter, Angelika Bachmann, Pfalzen | Weitere Teilnehmer Pedevilla Architekten, Bruneck | Christian Schwienbacher, Brixen | CeZ Calderan Zanovello Architekten, Bozen | Ulla Hell, Plasma Studio, Sexten | Comfort Architecten, Bruneck | Stefan Hitthaler, Bruneck | Walter Angonese, Kaltern
Weißkugelhütte 1. Preis Höller & Klotzner Architekten, Meran | Weitere Teilnehmer Stephan Marx, Elke Ladurner, Schlanders | Werner Tscholl, Morter | Luigi Scolari, Bozen | Walter Karl Dietl, Silandro | S.O.F.A. architekten, Wien | Markus Scherer, Meran | Arnold Gapp, Christoph Gapp, Schlanders
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