Bauwelt

„Sie werden den Wert des Zusammenseins erkennen!“

Interview mit Thomas Dominik Meier und Hans-Peter Schwarz

Text: Gleiniger, Andrea, Zürich

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Thomas Dominik Meier, Hans-Peter Schwarz
Foto: Andrea Gleiniger

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Thomas Dominik Meier, Hans-Peter Schwarz

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„Sie werden den Wert des Zusammenseins erkennen!“

Interview mit Thomas Dominik Meier und Hans-Peter Schwarz

Text: Gleiniger, Andrea, Zürich

Der Gründungsrektor, Hans-Peter Schwarz und der heutige Rektor, Thomas Dominik Meier, der Züricher Hochschule der Künste über das Toni-Areal.
Die große Vision, die beim Zusammenschluss der verschiedenen Züricher Kunsthochschulen eine wichtige Rolle spielte, war die Transdisziplinarität. Vom Opernsänger bis zur Game-Designerin sollen alle unter einem Dach lehren und forschen. Wie ging das Büro EM2N beim Wettbewerb auf diese Vorgabe ein?
Hans-Peter Schwarz | Beim Wettbewerb 2006 war es nicht einfach, den Architekten klar zu machen, was es bedeutet, ein kompaktes Gebäude zu schaffen, das die Künste unter einem Dach vereinigt. Der Entwurf von EM2N zeichnete sich dadurch aus, dass er ein überzeugendes Konzept für das alles übergreifende Thema der internen Kommunikation lieferte, also für das, was jetzt zwischen den einzelnen Bereichen der Hochschule hoffentlich entstehen wird, nicht nur zu Zeiten der Lehre, sondern dort, wo Informelles geschehen kann. Die Architektur ist sehr gut dafür geeignet, vor allem aufgrund der großen, zentralen, durch das Gebäude führenden Treppenhalle, der „Kaskade“. Oft ist es so, dass es in einer Kunsthochschule, in der die visuellen Künste dominieren, relativ leer ist. Das liegt daran, dass man ab dem vierten Semester schon viel im eigenen Atelier außerhalb der Hochschule arbeitet. Im Toni wird es anders sein, weil die Theaterstudierenden, die quasi mit dem Gebäude verheiratet sind, und die sehr häufig anwesenden Musikstudierenden sicherlich Auswirkungen auf die bildenden Künstler haben werden. Ich verspreche mir davon auch, dass man sich spontan zusammenfindet und so die gewünschte Transdisziplinarität gelingt.

Herr Meier, Sie sind der neue Rektor. Wie hat sich während der Realisierung des Projekts diese Vision weiter entwickelt?
Thomas D. Meier | Eine Vision kann man nicht präzise „vorschreiben“, das wäre zu ideologisch. Die Idee des Zusammenkommens der verschiedenen Disziplinen ist immer noch richtig. Als ich 2009 angefangen habe, wurde das Wort Transdisziplinarität von unseren Studenten scherzhaft zum Unwort des Jahres gewählt. Man muss also aufpassen, wann eine Begrifflichkeit anfängt, sich abzunutzen. Wir haben das Wort inzwischen etwas zurückgenommen. Die Grundidee bleibt aber erhalten, und wir vertrauen jetzt einfach diesem Bau. Es gibt keine Fachrichtung der Kunsthochschule, die nur auf einem Geschoss beheimatet ist. Das bringt es mit sich, dass die Studenten sich nicht einnisten, sondern in die „Großfamilie“ eingliedern und dabei in Bewegung bleiben. Das ist mir außerordentlich wichtig. Das zweite, neben der Transdisziplinarität, ist, dass wir vielen Räumen, den sogenannten Poolräumen, keine eindeutige Zuordnung gegeben haben. Hier entsteht Austausch zwanglos. Man muss miteinander besprechen, wer was wo und wann macht. Das dritte sind die großen öffentlichen Zonen, vor allem die Kaskade, die es dem Bauherrn gegenüber zu verteidigen galt. Mir liegt sehr da-ran, dass man sie jetzt nicht nur funktional definiert. Ich will, dass hier Dinge passieren kön-nen, von denen wir zurzeit noch keine Ahnung haben. Das gehört für mich zu dieser Vision – Dinge geschehen lassen. Das vierte Element sind die Schnittstellen mit den Bewohnern der Stadt.
HPS | Wenn Lehrende und Studenten wissen, was andere im Haus tun, werden sie den Wert des Zusammenseins erkennen und daraus Inspiration schöpfen. Da bin ich mir sicher.
Ein junges Züricher Büro hat den Wettbewerb gewonnen. Eine mutige Entscheidung gegen das architektonische Establishment der Stadt.
HPS | Ich bin dankbar dafür, dass sowohl der damalige Bauherr, die Züricher Kantonalbank, als auch die Jurymitglieder des Wettbewerbs akzeptiert haben, dass es sich hier um einen Bau handelt, in dem die Neuartigkeit der Nutzungsform eine große Rolle spielt. EM2N haben sich intensiv darüber Gedanken gemacht, was eine Kunsthochschule braucht, was sie von einer Universität unterscheidet oder von einer repräsentativen Theaterarchitektur. Sie haben verstanden, dass es beim Umbau einer alten Milchproduktefabrik nicht darum geht, besonders glänzende Oberflächen zu schaffen, die man dann nicht verändern darf. Das Konzept der Architekten war, gute, auch teure Materialien, dort einzusetzen, wo es nötig ist, und rohe Materialien dort, wo es sinnvoll erscheint. Diese Spannung, die macht für mich auch den ästhetischen Wert dieses Gebäudes aus. Man sieht, es gibt unglaublich durchdachte, auch bis ins Kleinste ausgearbeitete Details, und auf der anderen Seite gibt es Bereiche, die man als Student in Beschlag nehmen kann.
TDM | Ich möchte ein Gegenbeispiel nennen: Es gibt andere Architekten, ich nenne jetzt mal Max Dudler, der die Züricher Pädagogische Hochschule gebaut hat. Offenbar sagte er immer dann, wenn es mit den Nutzern Konflikte gab: „Ihr habt einen Dudler bestellt, jetzt kriegt ihr einen!“ Das wäre hier überhaupt nicht gegangen. Deshalb bin ich glücklich mit der Wahl der re­lativ jungen Architekten. Es gab eine große Bereitschaft, auf das, was eine Kunsthochschule ausmacht, auch einzugehen. Es ist eine Meister­leistung, diesen Spagat hinbekommen zu haben, zwischen Offenheit, Freizügigkeit, Flexibilität und einem komplexen Programm mit zahlreichen, technisch hoch ausgestatteten Räumen, u.a. elektroakustische Studios und ein außergewöhnlicher Orgelsaal. „Ihr habt ein EM2N bestellt, ihr kriegt auch ein EM2N!“, war nie ein Thema.
HPS | Ich habe es selbst in den achtziger Jahren während meiner Zeit beim Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main erlebt. Da war es in der Tat so, dass der Architekt Oswald Mathias Ungers nicht nur im Scherz gesagt hatte: „Ich stell’ euch auf meine Kosten eine kleine Wellblechhütte hin. Macht da eure Ausstellungen, aber lasst mir mein Haus in Ruhe.“
TDM | Ich muss zugeben, dass ich vor Baubeginn über jede Verzögerung bei der Planung froh war, weil wir viele Diskussionen noch nicht zu Ende geführt hatten. Als ich kam, hatte die Musik ihre Hochschule hier bereits geplant. Und die bildende Kunst hat noch immer darüber gestritten, ob sie überhaupt umziehen will. Meine erste Aufgabe war, eine Umplanung zu initiieren. Die Musiker haben ein Drittel ihrer Räume wieder abgeben, damit die anderen auch noch etwas Platz haben!
Wo sind die Architekturstudenten? Für sie wäre es ein phantastischer Ort.
HPS | Ich habe immer darum gekämpft, dass die Architekturschule auch mit hineinkommt. Sie gehört zur Vision einer gemeinsamen Kunst­hochschule. Man hat sich aber entschieden, die Fachhochschule in Winterthur zu belassen. Sie ist dort gut untergebracht. Sehr schade für uns.
Wie ist die Situation jetzt? Haben Sie den Eindruck, dass man mit Freude einzieht?
TDM | Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass alle mit Begeisterung einziehen.

Es gibt vor allem bei den bildenden Künstlern immer die Sorge, dass nicht genug Entfaltungsraum vorhanden ist.
TDM | Damit muss eine Kunsthochschule einfach leben. Das gehört dazu.
HPS | Als die Idee entstand, waren zunächst der Verwaltungsdirektor und der Rektor die Einzigen, die überhaupt dafür waren, hierher zu ziehen. Alle anderen waren dagegen. Von daher ist schon viel gewonnen.
Ich verstehe die Kritik. Wir kennen die über ganz Zürich verteilten „Inseln“ der Lehre, zum Teil idyllische Inseln, die aufgegeben wurden, um jetzt in diesen monolithischen Block zu ziehen, der umzingelt, ja, stranguliert wird von Verkehrswegen und sehr auf sich bezogen ist.
TDM | Für das Funktionieren der Kunsthochschule an diesem Ort ist die Größe entscheidend. Man muss sich hier nicht behaupten. In Zürich-West ist man nicht in eine creative industry mit ihren kleinteiligen Organisationsstrukturen eingebunden. Man befindet sich in einem Umfeld, das für die Leute, die hier arbeiten und studieren, wenig Selbstverständliches hat. Zum Beispiel stehen nebenan der auftrumpfende Turm von Sheraton und die Türme mit Luxuswohnungen der Immobilienfirmen, die den Glamour ins Quartier bringen sollen und schwierig zu verkaufen sind. Man glaubt in diesen Kreisen, dass man durch die Ansiedelung der Kunsthochschule eine weitere deutliche Aufwertung hinbekommen kann. Ich finde, dieses Umfeld stellt für die Studierenden der Hochschule eine spannende Herausforderung dar. Es hat sehr viel mit der Realität in Zürich zu tun und erlaubt nicht einfach den Rückzug in gemütliche Ecken der Stadt.
Alles in allem werden rund 5000 Mitarbeiter und Studenten ins Haus kommen. Das ist ja für sich schon eine Kleinstadt-Struktur.
TDM | Das Toni-Areal ist kein Gebäude, das auf Anhieb Zugänglichkeit signalisiert. Wenn man drinnen ist, öffnet sich der Bau. Man bewegt sich in der Tat in einer abgeschlossenen Kleinstadt mit Schnittstellen nach außen.
Wie durchlässig wird das Gebäude tatsächlich sein? Werden wir bei der Durchquerung ständig an irgendwelchen Schließkreisen scheitern?
TDM | Das war eine der ersten Fragen, die ich gestellt habe. Mir war aufgefallen, dass ich überall vor Türen stehe, die ich nicht öffnen kann. Mir fehlte ein Passepartout.
HPS | Das haben wir am Karlsruher ZKM auch so erlebt. Mit der Zeit fand man Wege, wie im Haus Türen zu öffnen sind, ohne die nötigen Sicherheitsbedingungen zu vernachlässigen.
Wie wird sich das Toni-Areal auf die urbane Kultur Zürichs auswirken? Wie bekommt man die Bewohner und die Besucher der Stadt hierher?
TDM | Das ist eine weitere Herausforderung. Wir werden bei der Eröffnung im September den Anfangseffekt nutzen, weil die Neugier sehr groß ist. Alle wollen das sehen. Erfahrungen zeigen, dass man Publikum hinführen muss zu solchen neuen Häusern. Da ist noch ziemlich viel Arbeit zu leisten. Es wird ein Eröffnungsfest geben: „Creative City“. Eigentlich ist damit eine ganze Stadt gemeint, für uns ist es dieses Haus.
Beim Toni-Areal wurde ein differenziertes und elaboriertes Konzept, vom Städtebau bis zu den kleinen Details, entwickelt. Es gibt diese Korrespondenz von alter Struktur und neuer Struktur, von alter Materialität und neuer Materialität. Hatten Sie schon Gelegenheit, das zu erleben?
HPS | Ja, und das überrascht mich immer wieder. Wenn ich durch das Haus gehe, merke ich sofort, dass nichts standardisiert wurde. Etwas störend ist nur das viele Weiß. Das hat aber damit zu tun, dass hier noch nicht gearbeitet wird. Systematisch bin ich aber noch nicht durchs Haus gegangen. Das braucht Zeit.
Auch das Lichtkonzept gilt es besonders her­vor­zuheben. Wobei das innere Konzept das Ergebnis der ersten Überlegungen ist, das ganze Haus mit einer Medienfassade zu versehen. Am Ende sind zwei Dinge geblieben, das besondere, nun völlig nach innen gewandte Lichtkonzept und
die Vorhangfassade, die sich nur bei bestimmten Umständen dem Betrachter in ihrer ganzen Fi-ligranität zeigt.
TDM | Nicht bei jedem Wetter und nicht bei jedem Licht. Sie verändert sich in ihrer äußeren Erscheinung. Bei grauem Wetter wirkt sie wenig einladend. Dann gibt es aber auch Stimmungen und Lichtverhältnisse, bei denen sie eine interessante Lebendigkeit bekommt. Von innen ist die Fassade ein Erlebnis, denn bei entsprechendem Licht erlebt man die filigranen Elemente der Fenster als eine Art Schleier.
HPS | Ursprünglich gab es die Idee der Medienfassade. 2006 waren die ja sehr en vogue. Sie wäre ideal gewesen, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die der Bau braucht, um sich gegen diese Vielfalt und die Hochhäuser drum herum zu behaupten. Die Fassade wurde aus Kostengründen gestrichen.
Fakten
Architekten Meier, Thomas Dominik, Zürich; Schwarz, Hans-Peter, Zürich
aus Bauwelt 34.2014
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