Stadt im Griff der Kunst
raumlaborberlin eröffnet das Festival „Le Voyage à Nantes“
Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin
Stadt im Griff der Kunst
raumlaborberlin eröffnet das Festival „Le Voyage à Nantes“
Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin
Was mag es konkret heißen, die Stadt mit Hilfe der Künste umzustürzen, wie es sich "Le Voyage à Nantes" auf die Fahnen geschrieben hat?
Ein grauer Zylinder, von einem Kranz aus Stahlrohren bekrönt, eine Skulptur, die dem Periskop eines U-Boots ähnelt, ein mehrteiliger schwarzer Paravent. Das größte der insgesamt sechs Objekte ist ein fünf Meter hoher, mittelalterlichen Vorbildern folgender Sturmturm. Die auf dem Platz vor der Kathedrale von Nantes versammelten mobilen Architekturen – die sich gleich auf den Weg durch die Stadt machen werden – kontrastieren zu den umgebenden Gebäuden. Hat man die gotische Kathedrale im Rücken, deren geköpfte Skulpturen die Spuren der Französischen Revolution tragen, fällt der Blick auf die 1976 eröffnete Tour de Bretagne, das Emblem einer überholten Stadtpolitik. Die Flugzeuge am Himmel gemahnen an den nahe der Stadt gelegenen Flughafen Loire-At-lantique und die virulente Debatte um einen neuen Airport im Norden von Nantes.
Im Kampf um das Ideal der Schönheit
Die Architektengruppe raumlaborberlin hat die 1435 Kilometer von Berlin an die Westküste Europas allerdings mit dem Auto zurückgelegt, als Geste ei-ner Durchmessung des Raums, die mit einer Flugreise nicht zu haben ist. Mit dieser automobilen Odyssee haben die Architekten das Motto Le Voyage à Nantes wörtlich genommen und die Reise zu einem Teil ihrer Performance gemacht, mit der sie die diesjährige Ausgabe des Kunstsommers in Nantes eröffneten. Im Gepäck hatten sie keine fertige Arbeit, stattdessen Zeichnungen, Fotos und das Konzept eines Bauateliers im Hof der École des Beaux Arts, wo sie mit Studenten der Kunsthochschule die Erzählung ihrer Performance entwickelten und die mobilen Monumente aus Spanplatten zimmerten.
Zwar arbeitet die Intervention, die raumlaborberlin mit „28/06/2013, Monuments“ überschrieben hat, natürlich mit den räumlichen Gegebenheiten von Nantes, doch könnte sie im Prinzip überall durchgeführt werden: Sie hat keine historische Herleitung, reagiert nicht auf einen spezifischen kulturellen Kontext – es sei denn auf jenen einer architektonischen Weltkultur, die es von den Zwängen der Repräsentation zu entlasten gilt, wenn man sie zum Ort einer neuen Erkenntnispraxis machen möchte.
Die Intervention der Berliner – ein Umzug, der von der Kathedrale über die Cafés der Place du Pilori zum Kaufhaus Galeries Lafayette führt und nach diesen Stationen eine Achse quer zur belebten Einkaufsstraße der Stadt legt – hat einen weit gespannten Bezugsrahmen. Neben den Situationisten kom-men einem die Umzüge der russischen Futuristen in den Sinn. Zugleich hallt in dieser Performance einer der Gründungstexte der europäischen Kultur wi-der: Aus Homers Odyssee (um genau zu sein, aus einer Zeichnung des Architekten John Heyduk dazu) hat sich raumlaborberlin die Figur des Trojanischen Pferds geborgt, die listenreiche Befreiung Helenas, für die die Griechen in den Krieg zogen – in einen Kampf um das Ideal der Schönheit. Neben der Dimension der Reise haben die Architekten also auch das zweite Diktum des sommerlichen Kunstprogramms in Nantes ernst genommen und gefragt: Was mag es konkret heißen, die Stadt mit Hilfe der Künste umzustürzen, wie es sich Le Voyage à Nantes auf die Fahnen geschrieben hat?
Dem öffentlichen Raum auf den Zahn zu fühlen, das hat Tradition im Programm des Kunstparcours in Nantes, der jeden Sommer acht Wochen lang das Angebot macht, die Stadt und ihre Umgebung mit anderen Augen zu sehen: Mit einer grünen Linie auf dem Asphalt hat der künstlerische Leiter Jean Blaise (dem Paris bereits seine Nuit blanche verdankt) im Zentrum einen Spaziergang markieren lassen. Wenn man so will, ergänzt er die Werke aus den vergangenen Jahren, die außerhalb der Stadt entlang der Loire bis nach Saint Nazaire zu erkunden sind. Wie kaum eine andere Stadt in Frankreich setzt Nantes auf die Kultur als Mittel der Stadtplanung und auf die Künste als Teil der Erneuerung der Metropolregion. Die dortigen Kunstwochen sind mehr als eine weitere Station im Festival-Programm des französischen Sommers – sie sind eine konsequente Politik des öffentlichen Raums, verbunden mit Werken von Daniel Buren, Felice Varini, Roman Singer oder Tadashi Kawamata, denen in diesem Jahr eine Arbeit des spanischen Künstlers Isaac Cordal zur Seite tritt, der mit seinen im Stadtraum verteilten Miniaturskulpturen und einer Ruinenstadt auf der Place du Bouffay die Verfassung der Städte im Zeichen von Wirtschaftskrise und Revolte befragt.
Denkmal des mobilen Monuments
Ebenso wie die Performance von raumlaborberlin erproben diese Künstlerpositionen ein neues Wissen über das, was die Stadt ausmacht. Wir sind es gewohnt, Wissen in eigens dafür vorgesehenen Gebäuden zu begegnen, in Museen, Bibliotheken, Akademien. Aber im Stadtraum? Wie wäre es möglich, fragt man sich angesichts der in Nantes versammelten Arbeiten, das kulturelle Wissen einer Gesellschaft im Stadtraum weniger zu repräsentieren – etwa in Form von Denkmälern –, als es zu öffnen: einen Reflexionsprozess auszulösen, der die Seiten der Stadt aufschlägt, als sei sie ein Buch, einen Wahrnehmungsprozess zu unterstützen, der Formen der Visualität ermöglicht, die den Rahmen der Bilder sprengen?
Zum Beispiel mit dem ebenso konzentrierten wie spielerischen Eröffnungsumzug, der von der überbordenden Spektakelkultur, die allerorten um sich greift, nicht weiter entfernt sein könnte. Techniker in grauen Arbeitsoveralls bewegen die Skulpturen auf Rollen durch die Stadt. Angeführt wird der Zug von einem schwarzen Obelisken: Er ist mit der Losung beschriftet: „In memoriam monumentum motum.“ Hinter dem Obelisken ein beige verputzter Denkmalsockel. An was will er erinnern? „Am 28.06.2013 wurde die Stadt Nantes von der Kunst erobert“, steht darauf geschrieben. Aber hält die Aktion auch, was die Inschrift verspricht? Dichter weißer Rauch steigt aus dem Podest auf, verflüchtigt sich bis über die Traufe der umliegenden Häuser, ein Knall, und kleine schwarze Konfetti-Schnipsel flirren durch die Luft, werden in die Höhe getragen und wirbeln über das Pflaster – doch von Karneval keine Spur.
Hintergrund der Performance ist vielmehr die politische Gegenwart der Städte: die Tableaus, die raumlaborberlin inszeniert, leben nicht nur vom Kontrast zu den umgebenden Gebäuden, sondern auch von den Bezügen, die sie zu den Revolten in den Metropolen der Welt herstellen. Das schwarze Konfetti und die Rauchschwaden in Nantes erscheinen als Trauerflor des Aufbegehrens am Taksim-Platz in Istanbul und als Referenz an die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo – um nur diese beiden zu nennen. Sie rufen Plätze ins Gedächtnis, die wieder zu Bühnen des Politischen geworden sind und auf de-nen eine Aneignung des öffentlichen Raums mit ungleich größerer Dringlichkeit als in Nantes behaup-tet wird: als Verteidigung der Zivilgesellschaft.
Während das Periskop-Fahrzeug als Kundschafter die Bilder und Geräusche der Stadt registriert und in sie zurücksendet, der Paravent die Straße sperrt, setzt der Turm zum Sturm auf die Galeries Lafayette an. Vor dem Eingang bezieht er Stellung, entrollt einen zwölf Meter langen Plastikschlauch, der, aufgeblasen, bald die Türöffnung des von Henri Sauvage entworfenen Kaufhauses vollständig ausfüllt. Knisternd ergänzt eine amorphe Form die Inkunabel des architektonischen Modernismus der 30er Jahre. Mit Teppichen ausgelegt, bildet der Schlauch eine provisorische Passage, der andere Blicke auf die Kaufhauswelt ermöglicht, die durch die semi-transparente Folie schemenhaft wird: Bilder, an der Grenze von Straße und Gebäude, von Innen und Außen. Die Kunst, die Nantes in Besitz nimmt, ist eine ephemere, die sich jeder Verfestigung entzieht. Ihr Element ist die Luft.
Man wünschte sich, die Intervention wäre nicht auf einen Tag beschränkt gewesen, sondern es wäre über die gesamte Laufzeit der Voyage à Nantes an der Öffnung der Stadt gearbeitet worden. So aber hatte raumlaborberlin statt auf eine Kontinuität des Eingriffs auf die Kraft der Präsenz zu setzen. Und: Dokumentation und Musealisierung wurden kurzerhand zum Teil des Konzepts erklärt, wurde die Performance doch nicht nur durch Zeichnungen und Pläne vorbereitet, sondern auch in Fotos und Film dokumentiert. Die mobilen Architekturen sind bis September im Hof der École des Beaux Arts ausgestellt. Der Obelisk kommentiert die paradoxe Situation in seiner Formensprache und mehr noch durch seine Inschrift: Er ist Teil einer Repräsentationsarchitektur, die raumlaborberlin dementiert, aber zugleich auch Zeuge einer urbanen Intervention, die sich ihrer eigenen Musealisierung bewusst ist.
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