Bauwelt

Urbanität und Dichte im Städtebau des 20. Jahrhunderts

Text: Hotze, Benedikt, Berlin

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Urbanität und Dichte im Städtebau des 20. Jahrhunderts

Text: Hotze, Benedikt, Berlin

Ein Axiom ist eine Feststellung, die so grundlegend ist, dass sie nicht mehr hergeleitet oder bewiesen werden muss. Das Axiom dieses Buches ist die Feststellung, dass der Städtebau der Moderne antiurban ist und die Auflösung der Stadt zum Ziele hat. Urban hingegen ist in der Diktion des Autors die „kulturell verfeinerte“ Stadt, und die Mittel dazu sind: Straße, Platz, Block. Dazu später mehr.
Der Dortmunder Professor Wolfgang Sonne und seine Mitstreiter für die „Schönheit der Stadt“ (so der Titel ihrer alljährlichen Konferenz) sind natürlich nicht die Ersten, die grundsätzliche Kritik am Städtebau der Moderne üben. Schon in den sechziger Jahren haben sich sowohl bürgerliche Autoren wie Mitscherlich und Siedler als auch die Theoretiker der aufkommenden Postmoderne daran abgearbeitet; Aldo Rossis „L’architettura della città“ erschien 1966. Spätestens mit dem Denkmalschutzjahr 1975 wurde die Kritik am autogerechten, funktionsgetrennten und historischen Städtebau der Moderne dann zum fachlichen Allgemeingut. Die „kritische Rekonstruktion“ der Berliner IBA ist mittlerweile auch schon wieder über dreißig Jahre alt.
Wolfgang Sonne gelingt das Kunststück, sein Axiom von der antiurbanen Moderne einerseits unaufhörlich zu wiederholen und doch fast das ganze Buch lang das Gegenteil zu beweisen. Wie das?
Er hat sich als Historiker auf den durchaus verdienstvollen Weg gemacht, Rand-Phänomene des modernen Städtebaus herauszuarbeiten, die sich abseits der Charta von Athen, der „Gegliederten und aufgelockerten Stadt“ und der „Urbanität durch Dichte“ bewegen – vom Reformblock eines Alfred Messel (1890) bis zum Kolonnadenplatz eines Hans Kollhoff (2000). Sonne breitet Projekte und Theorien einer „urbanen und dichten Stadt“ aus – eine Auswahl nach eigenen Kriterien. Zu Beginn definiert er die beiden Begriffe, und es wird schnell klar, dass Dichte kulturell gemeint ist – und dass Hochhaussiedlungen, deren Dichte durch ungestaltete Abstandsgrünflächen rechnerisch wieder „aufgefressen“ wird, darunter eben nicht zu verstehen sind.
Greifen wir als typisches Positiv-Beispiel in Sonnes Sinne die „Italienischen Plätze“ heraus, die der Architekt Marcello Piacentini zwischen zwischen 1906 und 1950 realisieren konnte und denen ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Über die Piazza della Vittoria in Brescia (1928–32) schreibt Sonne: „Tatsächlich operierte Piacentini mit wohlbekannten städtebaulichen und architektonischen Elementen wie Platz, Straße, Arkade, Galerie, Palast, Turm oder Brunnen, die er aber ohne jeden ornamentalen Historismus neu zueinander gruppierte und dabei auch neue Bautypen wie das Bürohochhaus integrierte.“
Piacentini, der in der bisherigen Rezeption der Architektur aus der Zeit des italienischen Faschis-mus gern als der traditionalistische Gegenpart der „modernen“ Rationalisten um Terragni verortet wird, wurde hier von der zeitgenössischen Kritik ob der Modernität seines Entwurfes hoch gelobt. So etwas kos-tet Sonne natürlich aus: Seht her, der Traditionalist kann sogar modern! Aber eben modern im Sinne ei-nes Städtebaus als kontext- und geschichtsbezogene Stadt­baukunst. Man wird Sonne zustimmen müssen, wenn er zu Brescia erst einen Zeitzeugen zitiert: „Es ist eine Freude, über diesen Platz zu wandern“, und dann feststellt: „Eine Einschätzung, der man heute noch folgen kann – und die auf nicht viele radikale Innenstadtsanierungen des 20. Jahrhunderts zutrifft.“
Das Buch ist kein eilig zusammengestelltes Pamphlet, sondern ein ambitioniertes opus magnum, das wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und sich mit einem enormen Fußnotenapparat absichert. Dennoch transportiert es eine klare Botschaft: Es gab und gibt eine Nebenlinie des modernen Städtebaus, die der Forderung nach Urbanität und Dichte standhält.
Das schließt eine wohl unfreiwillige Schlusspointe ein: Die vorgestellten Projekte werden umso unplausibler und dünner, je näher sie an die Gegenwart reichen. Postmoderne und New Urbanism; Krier, Kahlfeldt, Mäckler und Lampugnani: Das können nicht wirklich die einzigen gültigen Antworten der Gegenwart auf die Frage nach Urbanität sein.
Fakten
Autor / Herausgeber Wolfgang Sonne
Verlag Dom Publishers, Berlin 2014
Zum Verlag
aus Bauwelt 36.2014
Artikel als pdf

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