Von der Leine an den Rio de la Plata
Deutsche Einflüsse in Argentinien
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Von der Leine an den Rio de la Plata
Deutsche Einflüsse in Argentinien
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Bereits 1536, bei der sogenannten „ersten Gründung“ von Buenos Aires (1580 erfolgte eine zweite), sind zwei Deutsche mit dabei: Hans Braumberger als Stadtplaner, Ulrich Schmidl als Chronist des Gründungsaktes. Bis heute ist die gesamte Region um den Rio de la Plata („Silberfluss“) von europäischen Wurzeln geprägt.
In der Struktur der argentinischen Städte und in den pompösen Bauten der Gründerzeitepoche sind sie allgegenwärtig. Eine vom Centro de Documentación de Arquitectura Latinoamericana konzipierte Ausstellung, die derzeit im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt zu sehen ist, beleuchtet speziell die deutschen Einflüsse.
Durch die starken Einwanderungsströme – Argentinien will sich durch gezielten „Import“ von Europäern und ihrer Kultur „zivilisieren“ – setzt vor allem in Buenos Aires ab 1880 ein enormer Entwicklungsschub ein. Aus der „Gran Aldea“, dem großen Dorf, wird eine Millionenstadt. Deutsche Architekten planen wichtige Bauten. Der zentrale Obst- und Gemüsemarkt in Avellaneda von Ferdinand Moog (1890) etwa ist die weltweit größte Hallenkonstruktion ihrer Zeit. Alfred Zucker baut mit dem Plaza-Hotel (1910) das erste Hochhaus der Stadt. Die Hannoveraner Architekten Karl Glade und Hermann Kuhr gewinnen den städtebaulichen Wettbewerb für die rund 60 Kilometer südwestlich von Buenos Aires ab 1873 neu geplante Provinzhauptstadt La Plata. Beim internationalen Wettbewerb für die öffentlichen Bauten der Stadt (1881/82) kommen weitere Kollegen aus Hannover zum Zuge. So zeichnen Georg Hägemann und Gustav Heine für das Parlamentsgebäude verantwortlich, Hubert Stier, u.a. Architekt der Bahnhöfe in Hannover und Bremen, entwirft das Rathaus.
Viele Projekte werden von deutschen Firmen finanziert. Geopé (Philipp Holzmann & Co. und Gebr. Goedhardt AG) ist bis Ende der 1930er Jahre das größte Bauunternehmen Südamerikas und realisiert in Buenos Aires zusammen mit deutschen Architekten nicht nur im großen Stil Dockanlagen, U-Bahn-Strecken und Hochhäuser, sondern (in der Rekordzeit von nur 36 Tagen) auch das wahrscheinlich bekannteste Bauwerk der Stadt, den Obelisken auf der Plaza de la República (1936).
Auch in Argentinien setzen sich nach und nach moderne Strömungen durch. Daneben finden sich aber immer wieder traditionelle Elemente der „alten Welt“. So lässt Jorge Bunge, der mit einem Stipendium der argentinischen Regierung an der TH München studiert hat, für das Atlantik-Seebad Pinamar eine ganze Dünenlandschaft mit Pinien aufforsten und darin lauschige Reetdach-Häuschen bauen.
Detailliert widmet sich die Ausstellung dem Werk von Willi Ludewig (1902–63), der 1935 über die Schweiz nach Buenos Aires emigriert. Dort stellt ihn der renommierte Ingenieur Antonio Ubaldo Vilar als Entwerfer ein. In dieser Zusammenarbeit realisiert Ludewig zahlreiche Bauten – moderne Bürohäuser (etwa für den Argentinischen Automobilclub „ACA“) und Villen, ebenso rustikale Häuschen im Alpen-Stil. Ludewig hat in Deutschland rund 2500 Wohnungen in genossenschaftlichen Siedlungen gebaut, doch in der neuen Heimat wird er, ohne argentinischen Abschluss, nicht in die berufsständischen Vereinigungen aufgenommen. Wie viele andere Einwanderer kann er nur unter dem Namen eines Kollegen arbeiten: ein Umstand, der bis heute die Zuordnung vieler Bauten erschwert – und eine objektive Bewertung des Einflusses der Emigranten auf die Architekturentwicklung in Argentinien.
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