Was von der Kunst bleibt, wenn sie Architektur wird
Thomas Schüttes Häuser im Kunstmuseum Luzern
Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm
Was von der Kunst bleibt, wenn sie Architektur wird
Thomas Schüttes Häuser im Kunstmuseum Luzern
Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm
Frauen und Häuser – das sind die Sujets von vier gleichzeitig laufenden Ausstellungen, die den Düsseldorfer Bildhauer Thomas Schütte (Jahrgang 1954) derzeit omnipräsent erscheinen lassen.
Im collectors room in Berlin wird Druckgrafik präsentiert, im Essener Folkwang-Museum klassische Frauenskulpturen, in der Fondation Beyeler in Basel Großskulpturen aller Schaffensperioden und in Luzern die Architekturmodelle. Man könnte meinen, hinter Schüttes geballter Ausstellungsaktivität stecke das Kalkül, es dem Kunstmarkt mal richtig zu zeigen. Doch das sei nicht seine Absicht gewesen, wie er bei der Vorstellung seiner Werke in Luzern beteuert. Vielmehr wolle er seine Arbeiten nicht länger dem unersättlichen Markt als Spekulationsobjekt überlassen, sondern sie so lange dem Kunstzirkus entziehen, bis es Gelegenheit zu einer konzertierten Präsentation gebe oder – wie bei den Architekturmodellen – die Entwürfe realisiert werden.
Ferienhaus für Terroristen wird Ferienhaus T.
Sammler müssen sich wohl ein „Teehaus“ oder einen „Tempel“ von Schütte in den Garten setzen lassen, sollten sie Gefallen an einem Architekturmodell finden. Dass nicht wenige dazu bereit sind, zeigt die Luzerner Schau, die ausschließlich Modelle von Projekten präsentiert, die realisiert wurden oder werden sollen. So ist das bereits vielfach gezeigte „Ferienhaus für Terroristen“, ein leichter Pavillon aus Holz und bunten Glaswänden – in Luzern im Maßstab 1:1 ausgestellt –, zum „Ferienhaus T.“ für einen österreichischen Galeristen geworden. Ein Film über dessen Bau zeigt im Zeitraffer die Verwandlung vom harmlosen, bürgerliche Wünsche symbolisierenden Modell, dessen Titel erst Assoziationen weckt, zum handfesten, durch Baunormen und Gesetze in der Realität angekommenen Haus, dem nichts Subversives mehr eingeschrieben ist.
Umgesetzt wird auch Schüttes „Tower of Talkers“, ein für die Kunstmeile der Hamburger HafenCity entworfenes, 25 Meter hohes Gebilde aus Stahlverstrebungen. Die Realisierung in Hamburg verzögert sich zwar, für den Campus des Clark Art Institut in Williamstown, Massachusetts, ist der Tower aber bereits projektiert. Das 1:10-Modell zeigt ein konvexes, oben spitz zulaufendes, luftiges Konstrukt von kathedralenhafter Höhe, ähnlich einem Vogelbauer. Die Bodenplatte des „Käfigs“ ist mit einer Bar ausgestattet, deren Theken wie bei einer Pro-und-Contra-TV-Schau angeordnet sind. Sollen sie den sakral anmutenden Raum auf die profane Ebene von Talk-Runden holen, wo die Protagonisten in ihrer eigenen Welt gefangen sind?
Der Maßstab der Modelle konzentriert die Aussage. Das wird besonders bei den „One-man-houses“ deutlich, der umfangreichsten Modellgruppe von Schüttes Architekturarbeiten. Die jüngsten Versionen aus Sperrholz im Maßstab 1:5 stehen wie Puppenhäuser, die der modernen Architektur verpflichtet sind, auf ihren Transportkisten und gewähren einen Blick in ihr wohlgestaltetes Inneres. Dort ist vom Designersessel bis zur Küchenarmatur alles nachgebildet, was der Einzelgänger fürs tägliche Leben am Rückzugsort so braucht. Die putzige Kleinteiligkeit im Innern wird durch die asketische Strenge des Äußeren konterkariert – genauso, wie das One-man-house zwar Schutz und Geborgenheit verspricht, aber auch Isolation bedeutet.
Raum für Hintersinn und Mehrdeutigkeit
Auch hier konnte Schütte den Schritt vom Modell zum Bauwerk realisieren: Ein Sammler aus Frankreich ließ sich ein One-man-house in den Garten stellen. Umgesetzt wurde auch das aus rauen Holzklötzchen gefügte Modell eines kubischen „Tempels“. Auf Mallorca wurde er zu „Ackermanns Tempel“, in dem der namengebende Sammler eine Frauenkopf-Skulptur von Schütte aufbewahrt. Dass der Tempel auch schon als Hochzeitskapelle und Pferdestall diente, zeugt von Multifunktionalität. Handelt es sich überhaupt noch um Kunst, die ja nach herkömmlichem Verständnis keinen Gebrauchswert hat? Und wenn aus einem Modell Realität wird, bleibt da noch Raum für Hintersinn und Mehrdeutigkeit, die das Kunstwerk auszeichneten?
Mit der „Skulpturenhalle“ macht Schütte das Prinzip der Grenzüberschreitung vollends zum Thema. Auf der Raketenstation der Museumsinsel Hombroich bei Neuss will er eine solche Halle für seine eigenen Werke errichten. Das Modell im Maßstab 1:20 zeigt ein Gebilde mit mächtigem Sockel und breiter, feierlich nach oben weisender Freitreppe, die die Halle zur Walhalla machen. Nimmt Schütte sich mit dieser Ruhmeshalle selbst auf die Schippe? Der Entwurf ist jedenfalls von irritierender Ambivalenz, die Schüttes Vorliebe für Symbolisches auf eine neue Ebene hebt.
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