Bauwelt

Weder Kunstgewerbe, noch Frauen­kunst

Bielefeld und Wolfsburg widmen sich dem Textil in der Kunst

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Peter Kogler, Ohne Titel, 2008 (Sound: Franz Pomassl), derzeit zu sehen in Wolfsburg
Foto: mumok/Lisa Rastl

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Weder Kunstgewerbe, noch Frauen­kunst

Bielefeld und Wolfsburg widmen sich dem Textil in der Kunst

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Nein, die Volkshochschulen in Wolfsburg und Bielefeld bieten noch kein urban knitting an, jenes guerillahafte Bestricken städtischer Kleinarchitekturen. Aber die Ausstellungshäuser beider Städte, das Kunstmuseum Wolfsburg und die Kunsthalle Bielefeld, spü­ren zurzeit der Beziehung zwischen dem Textil – dem gemeinhin der Ruch des minderen Kunstgewerbes anhaftet – und Tendenzen in der Kunst der Moderne nach.
An dem Thema gibt es durchaus internationa­les Interesse. Friedrich Meschede, Leiter des Bielefelder Hauses, verweist auf das mehrjährige Forschungsprojekt der Allianz-Stiftung Textiles: Open Letter; es untersucht die Rolle des Textils in der Geschichte der Industrialisierung und Globalisierung, aber auch bei der Herausbildung ästhetischer Codes, nicht nur in der Mode. Zudem hätten Sammler und Galeristen seit den 1970er Jahren systematisch Belege textiler Ausdrucksformen zusammengetragen.
Aus dem Textil hat sich seit geraumer Zeit ein künstlerisches Medium entwickelt, das den Material- und Objektbegriff neu erörtert – als sinnenfrohe Gegenposition etwa zu Video oder digitalisierter Fotografie. So erklärt sich wohl wenigstens zum Teil der kuratorische Hype um die Schnittmenge von Kunst und Textil. Die Bielefelder Ausstellung To Open Eyes: Kunst und Textil vom Bauhaus bis heute bleibt stringent am Thema, zeichnet den Weg des Textils von der angewandten Kunst – und sei es das intellektuell durchkomponierte Unikat aus der Handweberei des Bauhauses – bis zur autonomen Kunstform ab den 50er Jahren nach. Aus räumlichen Gründen wird auf installative Arbeiten verzichtet, alle Exponate unterliegen der klugen Selbstbeschränkung auf die Flachware. Und es werden Schätze gehoben wie zum Beispiel Firmenarchive, die auch die lange Tradition des Leinenweber- und Textilstandorts Bielefeld würdigen.
Benita Koch-Otte
Oder die Biografie und das Werk von Benita Koch-Otte (1892–1976). Die Handarbeitslehrerin gab 1920 ihre sichere Stelle auf, um am Bauhaus erneut zu studieren. Dort wurden Studentinnen in die Frauenklasse oder die Weberei gedrängt – letztere hatte wirtschaftlichen Erfolg und bot deswegen experimentelle Freiheit. Aufgrund ihrer Vorbildung nahm Otte eine Position zwischen Schülern und Lehrern, auch anderer Disziplinen, ein. Sie zeichnete beispielsweise die Farbfassung des Musterhauses am Horn in Weimar von Georg Muche für die Bauhausausstellung 1923. 1925 folgte sie dem Ruf als Leiterin der Weberei an die Burg Giebichenstein in Halle. Sie arbeitete weiter mit Architekten, entwickelte unter anderem die Textil-Ausstattung für den Flughafen Halle-Schkeuditz von Hans Wittwer (1931). Durch ihre Heirat mit dem tschechischen Fotografen Heinrich Koch verlor sie 1929 die deutsche Staatsbürgerschaft und 1933 als „Bauhäuslerin“ zudem ihre Stelle.
 Ab 1934 baute Koch-Otte die Weberei in den von Bodelschwinghschen-Anstalten in Bethel bei Bielefeld aus, erhoffte sich eine politikferne Ruhe für ihre Arbeit, fügte sich der christlichen Ausrichtung. Parteiaufträge wie zwei nachgewiesene Wandbehänge mit Hakenkreuz waren wohl nicht abzulehnen; es gelang der Anstalt aber, die entschiedene Zurückweisung des Euthanasieprogramms durchzuhalten. Fotoserien von Albrecht Renger-Patzsch trugen die gelebte Inklusion psychisch kranker und ­behinderter Menschen im künstlerischen Webereihandwerk bereits 1937 selbstbewusst nach außen. Koch-Ottes pädagogisches Konzept ist bis heute in Bethel präsent, ihre Entwürfe werden nach wie vor produziert.
Benita Koch-Ottes Bauhauskolleginnen Gunta Stölzl und Anni Albers begegnet man wieder in der Ausstellung Kunst & Textil. Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klimt bis heute im Kunstmuseum Wolfsburg. Das Haus unternimmt erwartungsgemäß eine opulente kulturgeschichtliche Sondierung: 200 Exponate von über 80 Künstlern werden aufgefahren, dazu rund 60 anonyme Artefakte aus Ethnolo-gie und Kunsthandwerk, arrangiert auf 2700 Quadratmetern Ausstellungsfläche, gegliedert in elf Kapitel.
Weltumspannende Urkunst
Textilien bildeten die zweite Haut des Menschen, kämen seinem Körper so nahe wie sonst kein Artefakt. So sehen es jedenfalls die Kulturwissenschaftler Bazon Brock und Ulrich Heinen in ihrem Katalogbeitrag. Das gewebte Textil aus orthogonalem Fadenwerk sei aber auch Grundbild einer anthro­pologischen Konstante aus Horizontalität und Vertikalität. Es verhelfe mittels eines universellen Ordnungssystems auch zu einer stabilen Seelenlage. Das generische Prinzip der Wiederkehr des immer Gleichen im Webprozess sei zudem die Urerfahrung menschlicher Weltbewältigung, das textile Artefakt somit die weltumspannende Urkunst schlechthin.
Dieser theoretische Überbau soll die These der Wolfsburger Ausstellung tragen, das Textile sei maßgeblich am Abstraktionsverlangen der modernen Kunst beteiligt und darüber hinaus ein Generator dreidimensionaler Ausdrucksformen. Zur Genese des Räumlichen wird auf Gottfried Semper und sein um 1860 formuliertes „Prinzip der Bekleidung“ verwiesen: Alle Baukörperhüllen seien Ableitungen aus archaisch textilen Behängen wie Zelt oder Wandteppich. Als spätes Echo griff das Bauhaus in seinem Gründungsmanifest die Funktion des Stoffes zur Ausstattung des architektonischen Raumes auf. In Dessau dann verschob sich der Schwerpunkt der Weberei zudem vom handwerklich-künstlerischen Unikat hin zum industriell herstellbaren Gewebe. Und diese technisch optimierte Textilie konnte, auf dem befreiten Grundriss der Architektur der Moderne, nun auf vollkommen neue Weise einen raumbildenden, wie auch atmosphärisch hüllenden Charakter entfalten: als flexible, transluzente oder auch als metallisch schimmernde Stoffwand. In Wolfsburg ist ein Ausschnitt des „Cafés Samt und Seide“ von Mies van der Rohe und Lilly Reich nachempfunden, ihr Ausstellungsbeitrag für eine Damenmodenschau 1927.
Mit dem Informel und dem konzeptionellen Minimalismus entstand ab 1950 die autonome Textilkunst. Beide Ausstellungen benennen teils identische Protagonisten. In Bielefeld sieht man mit Sheila Hicks aus Paris, die noch bei Anni Albers studiert hat, die Bauhausweberei als Quelle. In Wolfsburg hingegen wird mit großen Installationen der dritten Dimension der Textilkunst nachgegangen, auch in aktuellen, abwegigeren Positionen. Wie etwa bei Peter Kogler: Der Österreicher lässt in seiner Video-Sound-Montage rund um den Betrachter ein akkurates Raumgitter auflaufen, das sich kontinuierlich bis zu amorphen Defektmutanten verzerrt. Alle Stofflichkeit ist wieder aufgegeben, das Netz des Textils: Ornament und projiziertes Lichtphänomen.

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