When Attitudes Become Form
Remake von Harald Szeemanns legendärer Berner Schau in Venedig
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
When Attitudes Become Form
Remake von Harald Szeemanns legendärer Berner Schau in Venedig
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Wenn es analog zum „Regietheater“ die „Kuratorenausstellung“ gibt, so lässt sich deren allererster Auftritt genau datieren. Es handelt sich um Live in Your Head: When Attitudes Become Form, gezeigt in der Kunsthalle Bern im Frühjahr 1969 und ausgerichtet vom damaligen Direktor Harald Szeemann.
Die wenigsten haben die Ausstellung gesehen, Bern war seinerzeit alles andere als der Nabel der (Kunst-)Welt. Doch der Rest ist Geschichte: Szeemann wurde von seinen Schweizer Landsleuten aufs Heftigste befehdet und schmiss seinen Direktorenposten nach Ausstellungsende. Nie wieder hat er ein Amt angenommen, stattdessen gründete er die „Agentur für geistige Gastarbeit“ und erlebte drei Jahre später als Leiter der „documenta 5“ in Kassel den Aufstieg zum Weltstar und zum Rollenvorbild des Kurators, der die Kunst „macht“.
Die Mailänder Fondazione Prada hat die Berner Ausstellung nunmehr rekonstruiert, an ihrem venezianischen Sitz, dem Ca’ Corner della Regina, parallel zur Kunst-Biennale. Dass der italienische Groß-Kurator Germano Celant (er war 1969 in die Vorbereitung der Ausstellung involviert) den Großteil der ursprünglichen 148 Arbeiten tatsächlich herbeigeschafft hat, ist bemerkenswert genug. Geradewegs zum Modell einer solchen Zweitfassung gerät die Veranstaltung in Venedig aber durch die Tatsache, dass sie zugleich die Räume der ursprünglichen Schau reproduziert und in ihnen folgerichtig auch die exakte Anordnung der Arbeiten.
Möglich wurde die Rekonstruktion durch den Zugang zu Szeemanns gigantischem Archiv. Es gehört seit 2011 dem Getty Research Center in Los Angeles, das es unter Leitung von Glenn Phillips erschließen lässt. Der Chef-Archivar des Getty erläutert in dem seinerseits überwältigenden, 732-seitigen (!) Katalog die Schwierigkeiten dieses sehr persönlich strukturierten Archivs mit seinen unfasslichen 1000 Regalmetern. Immerhin birgt es Hunderte von Installationsfotos und zahllose Korrespondenzen – ein Archiv „in the making“ – genauso prozessual wie die Kunst, die Szeemann zeigen oder vielleicht genauer: entstehen lassen wollte.
Die Kunsthalle Bern ist kein überaus großes Gebäude. Für Attitudes standen damals das Hauptgeschoss mit seinen fünf Räumen zur Verfügung, dazu im Untergeschoss zwei weitere Räume sowie das enge Treppenhaus. Einige Arbeiten wurden zudem in einem Schulgebäude gegenüber der Kunsthalle gezeigt. Der Untertitel der Ausstellung besagte, was der verunsicherte Besucher zu sehen bekam: Works – Concepts – Processes – Situations – Information. Im Deutschen müsste man „Works“ mit „Arbeiten“ übersetzen, denn es ging eben nicht mehr um „Werke“ im herkömmlichen Sinne, die in der Einheit von Entwurf, Material und Ausführung ein in sich geschlossenes Ganzes bilden. Die Künstler, die Szeemann zuvor auf hektischen und – aus heutiger Sicht – rührend improvisierten Reisen, vor allem nach New York, ausfindig gemacht hatte, vereinte gerade, dass ihre Arbeiten im zeitlichen und räumlichen Mitvollzug durch den Betrachter entstehen und Bestand ha-ben sollten. Conceptual Art, Arte Povera, Land Art sind drei von mehreren Möglichkeiten, die damaligen Arbeiten zu kategorisieren und in einen größeren kunsthistorischen Zusammenhang zu stellen, wie er im Frühjahr 1969 begrifflich noch überhaupt nicht ausgebildet war.
Die Liste der Beteiligten weist bekannte und heute in Vergessenheit geratene Künstler auf; wie das eben so ist bei einer im Entstehen begriffenen Strömung. Mario Merz zeigte einen Iglu aus – damals noch grob verleimten – Glasplatten. Bruce Nauman war mit eigenartigen Assemblagen vertreten. Richard Serra lehnte seine Bleiplatten und -rohre an die Wand (damals wie heute nicht ungefährlich – und in der gegenwärtigen Ausstellung mit einer Kordel vor allzu dichtem Herantreten gesichert). Carl Andre legte sein berühmtes Quadrat aus 36 Kupferplatten aus. Daniel Buren klebte seine Streifen als Plakate an die Wand. Lawrence Weiner hingegen kratze ein viereckiges Stück Putz weg und schuf so ein „ortsspezifisches Bild“. „Site-specific“ waren überhaupt etliche Arbeiten, die sich zum Teil nur mehr nachschöpfen, nicht aber aus einer Museumssammlung herbeibringen lassen. Und wer kennt noch Thomas Bang, Roelof Louw oder Paul Pechter?
Wenn Kunsthalle auf Palazzo trifft
Der Zusammenprall von Bleiplatten, Fettecken, Drahtgebilden, von Telefonen und Tonbandgeräten mit der schlichten, allerweltsklassizistischen Architektur der Berner Kunsthalle muss 1969 schockierend gewirkt haben. In Venedig ist dieser „Schock“ nochmals gesteigert: Die Volumina der Berner Räume wurden präzise mit Trockenbauwänden nachgebaut – einschließlich sorgfältig ausgeführter Fußleisten, an der Wand stehender Heizkörper und des korrekten Fußbodenbelags –, allerdings nur soweit sie nicht die stukkierten und freskierten Wände des Settecento-Palazzo angegriffen hätten. Überall ragen also Pfeiler, Kapitelle und Gesimse aus den weißen Nachbau-Wänden heraus, wenn nicht gar wie im nachemp- fundenen Hauptraum Pfeiler und Gewölbe die Illusion jäh durchkreuzen. Dass es gelang, die bereits in Bern eng aneinandergerückten Arbeiten auch um diese Hindernisse herum einigermaßen getreu zu arrangieren, spricht für den Genauigkeitsfuror, den Celant und sein Team der Rekonstruktion angedeihen ließen.
Man kann über diese, „im Dialog“ mit Rem Koolhaas und dem Berliner Fotokünstler Thomas Demand erarbeitete Konzeption geteilter Meinung sein. Es hat den Anschein, dass all der intellektuelle Aufwand, der um dieses dann doch nicht einhundertprozentig originalgetreue Konzept getrieben wird, allein dem Umstand geschuldet ist, dass die Prada-Stiftung an ihrem venezianischen Sitz zeigen wollte, was sie zu leisten imstande ist. Besser wäre es gewesen, die Rekonstruktion, wenn sie denn schon illusionistisch sein sollte, dann auch vollständig durchzuführen, als Kompletteinbau in eine entsprechend dimensionierte Halle. Die Haltlosigkeit beispielsweise, in die der Berner Hauptraum den damaligen Besucher aufgrund der Dichte der auf dem Boden verteilten Arbeiten versetzt haben muss, hätte sich so besser nachempfinden lassen. Denn mag die Ausstellung auch mit dem heute ins zweite Glied verwiesenen Haupttitel Live in Your Head geheißen haben, so war sie doch ebenso an die Gefühle gerichtet: als eine große Verwirrung. Leichte und schwere, starre und biegsame Materialien oder auch gar keine, wie in „Art by Telephone“ des jüngst verstorbenen Walter de Maria (der Künstler rief ab und an in der Ausstellung an) – das war 1969 fürwahr ein Kulturbruch.
Durch die Ausstellung in Venedig hallt die Stimme von Joseph Beuys: „Ja Ja Ja Ja Ja Nee Nee Nee Nee Nee“, heißt die Ton-Arbeit in Endlosschleife. Der rheinische Jupp dehnt das „Nee“ zum „Nää“. Aber immerhin ist es die authentische Stimme. Sie lässt die gelbe Margarine, die getreu den in Szeemanns Archiv reichlich vorhandenen Installationsfotos in die Ecke und entlang der Fußleiste hingeschmiert wurde, dann doch recht nachgemacht erscheinen.
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