Bauwelt

Wissenschaft als Entwicklungsmotor

IBA Heidelberg 2022

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

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Wissenschaft als Entwicklungsmotor

IBA Heidelberg 2022

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

„Wissenschafft-Stadt“ lautet das Motto der Internationalen Bauausstellung, das der Heidelberger Gemeinderat am 15. Dezember 2011 beschlossen hat. Vorausgegangen war eine dreijährige Diskussion.
Ein Weltstädtchen letztlich. Die Heidelberger Schlossruine über dem Neckar ist weithin gerühmt als Sinnbild deutscher Romantik. Nahezu unkaputtbar der gute Ruf der alten Universität. Ist es da anmaßend, wenn eine so nette kleine Großstadt mit dem ausgreifenden Motto „Wissenschafft-Stadt“ eine Internationale Bauausstellung veranstaltet, um damit auf geläufige Herausforderungen zu reagieren: Neuordnung eines chaotisch gewachsenen Uni-Campus’ in der westlichen Vorstadt mit der rustikal anmutenden Adresse „Im Neuenheimer Feld“, Vernetzung der Stadtteile und Wissenschaftseinrichtungen über den Neckar hinweg und Flächenkonversion im brachfallenden US-Militärhauptquartier draußen in der Rheinebene? Oder sollte das Großformat IBA besser den Kommunen vorbehalten bleiben, die schwer angeschlagen in der Notaufnahme der Urbanistik landen: heimgesucht vom Niedergang alter Industrien, von wirtschaftlicher Auszehrung, vom Verfall vernachlässigter Stadtquartiere? Gut, dass nicht alle früheren Bauausstellungen als Reparaturfestivals angelegt waren. Politik darf nicht nur die eigenen Versäumnisse thematisieren; sie muss von Zeit zu Zeit auch beweisen, dass sie Zukunft gestalten kann. Bauausstellungen, heißt es in Werner Durths „Memorandum zur Zukunft Internationaler Bauausstellungen“ (2010), seien künftig als „Bau-Kultur-Ausstelllungen“ ins Werk zu setzen, die neben technisch-ästhetischen Aspekten eben auch soziale wie wirtschaftliche Fragen und Modelle bürgerlicher Mitsprache thematisieren sollten.
In Heidelberg herrschet in Sachen Stadtentwicklung derzeit weder Krise noch Leidensdruck. Aber man hat ein großes Thema gefunden – die Positionierung des Standorts in einer globalisierten Wissenslandschaft. Wie sorgt man dafür, dass die Brillantesten unter den modernen Nomaden der „Scientific Community“ für ein paar Jahre in Heidelberg Station machen? Lassen sich neue „Bildungsarchitekturen“ so mit gewachsenen Strukturen verknüpfen, dass der „lebendige Geist“, dem sich die Heidelberger Alma Mater verschrieben hat, nicht nur in der Altstadt zu spüren ist, sondern in allen Vierteln? „Draußen“, vor der Altstadt, im Bergheimer Altklinikum logieren heute die Sozialwissenschaften; ins „Neuenheimer Feld“ jenseits des Neckars werden seit Jahrzehnten immer mehr In­stitute der Medizin und der Naturwissenschaften ausgelagert; auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs wächst die „Bahnstadt“ heran, ein noch etwas abgehängter Mix aus großen Wohn­anlagen und Bauten für die Wissenschaft; der zweite Bauabschnitt könnte zur planerischen Projektmasse der IBA werden.
Seit ein paar Jahren denkt man in Heidelberg über diese Bauausstellung nach. Inzwischen sind sich die Akteure einig, einer IBA Heidelberg zum Erfolg zu verhelfen. In früheren Jahrzehnten hatte das 1957 etablierte Universitätsbauamt die Besiedelung des Neuenheimer Felds mit Wissenschaftseinrichtungen planerisch fast allein verantwortet. Ein erster Bebauungsplan datiert sogar aus dem Jahr 1932 – er umfasste 45 Hektar. In der Nachkriegszeit schwoll das Plangebiet auf 68, dann auf 140 Hektar an. Intensiv bebaut wurde es erst in den Sechzigern und Siebzigern: auf der Basis typisierter Raumprogramme und Systembauweisen. Eine erste schematische Planfigur für den Campus wurde zugunsten flexiblerer Konzepte aufgegeben. Erwähnenswert sind die Entstehung einiger moderat dimensionierter Punkt-Hochhäuser und der in den sechziger Jahren noch exzentrisch wirkende Beschluss, den Campus von individuellem Fahrverkehr freizuhalten.
Das ehedem tendenziell konservativ gestimmte Planungsdezernat der Stadt nahm auf all diese Entwicklungen wenig Einfluss. Heute präsentiert sich der Neuenheimer Campus als mäßig charmante Collage von Seminar-, Labor-, Mensa- und Klinikbauten unterschiedlicher Baustile. Bei einer Erweiterung bzw. Arrondierung des Areals im Rahmen der IBA sollten das Universitätsbauamt und die planenden Instanzen der Stadt Heidelberg nun jedenfalls intensiver kooperieren als das früher je der Fall war.
Campus-Boulevard ohne kritische Masse
Auch die Qualität öffentlicher Räume im Neuenheimer Feld lässt zu wünschen und ist eine wirkliche Herausforderung für die IBA. Von der alten Idee eines Fußgängerkreuzes wurde nur die Nord-Süd-Achse realisiert: leider kein „Boulevard“ – weder architektonisch noch städtebaulich. Ohne eine „kritische Masse“ intelligent gemischter Funktionen in den Erdgeschosszonen der die Achse flankierenden Gebäude und einer Reihe neuer architektonischer „Leuchttürme“ wird es schwer werden, IBA-Besucher und Touristen ins Neuenheimer Feld zu locken. Nützlich wäre da notabene eine neue Brückenquerung und etwas Neckarufer-Design.
Dass Michael Braum, Stadtplaner und der neue Geschäftsführer der Heidelberger IBA, richtig liegt mit seiner These, die Ressource Wissen sei ein Inkubator der Stadtentwicklung, in­dem sie Form und Konkretion gewinne in Gestalt von „Bildungsarchitekturen“ – diese These lässt sich empirisch schon am historischen Bild der Heidelberger Kernstadt belegen und dem Wandel ihrer Atmosphäre in den letzten Jahrzehnten. Mit dem Umzug etlicher Institute aus der Altstadt in den Stadtteil Bergheim ab 2008 (und zuvor der Kliniken von dort ins Neuenheimer Feld) veränderte sich auch die Atmosphäre in einzelnen Quartieren. Dem Verlust an „authentischer“ Vitalität der Altstadt steht heute ein Gewinn an Atmosphäre im ehemals recht spröden Stadtteil Bergheim gegenüber. Dort manifestierten sich studentische Lebensstile, verdichtet zu einer neuen Stimmungsvariante von Urbanität – nicht messbar, doch evident. „Kerne“ dieser Szene sind ein schönes altes Hallenbad in Bergheim, das zur Öko-Mall wurde, und das Areal um eine ehemalige Zigarrenfabrik in Bahnhofsnähe.
„Wissenschafft-Stadt“? Gewiss doch, aber in bedächtigem Tempo. In den ersten Jahren wird die IBA Heidelberg wohl ohne spektakuläre Neubauten auskommen müssen. Deshalb wird sie zunächst mit anderen Qualitäten punkten wollen und auf entsprechende Kommunikationsstrategien und avancierte Medien vertrauen, die das Bauausstellungs-Bewusstsein in der Bevölkerung verankern. Mit dem Instrument neuer Medien ließen sich die abstrakten Plankonzepte der Baukunst auch für Laien verständlich und diskurstauglich machen – Stoff für Debatten und Workshops mit Bürgern, Planern, Po­litikern und Theoretikern.
Innovativ wäre vor allem, im Rahmen der IBA ernst zu machen mit dem Anspruch des Experimentellen bei der städtebaulichen Entwicklung und den architektonischen Typologien – also des freieren Denkens und Handelns unter räumlich und zeitlich begrenzten Ausnahmebedingungen. Die IBA-
Quartiere könnten so zu einer Art Labor werden, wo das rechtliche Korsett des Planens und Bauens zugunsten einer experimentellen Praxis für ein paar Jahre gelockert würde: freierer Umgang mit Nutzungsziffern, Abstandsregeln, Kubaturen, Höhenbegrenzungen etc. – vielleicht auch mit spannenden neuen Materialien und Techniken.
Gegenstand der Heidelberger IBA werden nicht nur gebaute Objekte sein, sondern Entwicklungsprozesse, die in die Zukunft weisen. Lange vor dem Sichtbarwerden gebauter Exponate im „Leitmedium“ Architektur, sind in Heidelberg Ideenfindung, konzeptuelle Arbeit und planerisches Handeln so zu gestalten, dass sie auch die Teilhabe ökonomisch schwacher Akteure möglich machen.
Der Anfang ist getan: Die „Heidelberger Schlossgespräche“ über Baukultur sind bereits etabliert und sehr gut besucht. Ende 2012 fand als IBA-Auftaktveranstaltung ein „IBA-BarCamp“ statt: Bürger, Vereine, Initiativgruppen und Institutionen konnten erste Projektvorschläge präsentieren. Die Debatten verliefen noch schüchtern. Salopp formuliert geht es den Bürgern erstmal um eine Extraportion Volkshochschule, um selbstorganisiertes, interkulturelles Lernen und um kleinere kulturelle Highlights. Immerhin trat klar die Erwartung zutage, das IBA-Motto „Wissenschafft-Stadt“ möge nicht nur dem akademischen Betrieb Heidelbergs zu weiterem Glanz verhelfen, sondern die so mobilisierten Kreativitäts- und Wissenspotenziale auch den Bürgern nutzbar machen. Konkret zur Sache kam der Vorschlag, in Bergheim ein Zentrum für Architektur und Design zu installieren: Es könnte als Brückenkopf zwischen dem Altstadt-Rummel im Osten und den Denkfabriken im Westen dienen. 

8 Fragen zur IBA Heidelberg | beantwortet von Annette Friedrich, Michael Braum und Henning Krug
Was ist die Grundidee der IBFA Heidelberg?
Mit einer über Jahrhunderte gewachsenen Identität als Stadt des Wissens stellt sich Heidelberg der Aufgabe, die gesamte Stadt als Ort des Wissens und der Bildung spürbar werden zu lassen und so die Idee der Europäischen Stadt im 21. Jahr­hundert zu stärken.
Welche Probleme haben die Heidelberg bewogen, eine IBA zu initiieren?
Die drängenden Themen der Stadtentwicklung liegen auf der Hand. Wissen und Bildung müssen als Entwicklungstreiber für die Stadt erstmals bewusst und zielgerichtet in Aktion treten. Dieser Prozess muss zur Sache der gesamten Stadtgesellschaft werden. Zum Beispiel sind Verknüpfungen solitärer Orte des Wissens und ganzer Wissenschaftsareale wie das Neuenheimer Feld mit der sie umgebenden Stadt zum gegenseitigen Nutzen zu stärken. Neue urbane Quartiere wie die Bahnstadt sollen auch durch Orte des Wissen und der Bildung getragen werden. Nicht zuletzt verfügt Heidelberg mit seinen militärischen Konversionsflächen über eine Gebietskulisse und eine Entwicklungsdynamik, in der räumliche, kulturelle und soziale Ideen für die Stadt in der Wissensgesellschaft erprobt werden können.
Welche Leitprojekte sind vorgesehen?
Erste Projektideen wurden zur Auftakt­ver­anstaltung im Rahmen eines sogenannten BarCamps exemplarisch diskutiert. Sie zeigen das Potenzial weit über konven­tionelle Orte der Bildung und der Wissenschaft hinaus: ein Zentrum für Architektur und Design, ein Lernzentrum als Ort für übergreifende Arten von Bildungsprozessen, die Erweiterung der Sammlung Prinzhorn mit interna­tionalen Veranstaltungen und Forschungen zum Thema Kunst und Psychiatrie, ein regionales Bildungsnetzwerk, ein Zen­trum des interkulturellen Dialogs oder die Projektidee „Das Bio“, ein Haus, in dem das Wissen um die existenzielle Bedeutung der Biodiversität für das Leben in der Stadtgesellschaft aufgezeigt werden soll.
Mit welchen Instrumenten will die IBA ihre modellhaften Projekte umsetzen?
Im Rahmen eines stadtweiten Dialogprozesses sollen die Ziele und Inten­tionen der IBA mit der Stadtgesellschaft kontinuierlich operationalisiert werden. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei neben dem IBA- Büro das international besetzte Kuratorium ein, das über die eingereichten Projekte entscheiden wird.
Welchen Stand hat die IBA Heidelberg zurzeit? Was sind die nächsten Schritte?
Nach einer intensiven Vorbereitungszeit, seit 2008, die mit einem Beschluss des Heidelberger Gemeinderats 2012 ihren Abschluss fand, nimmt die IBA unter der Leitung von Michael Braum im März 2013 ihre auf zehn Jahre angelegte Arbeit auf. Nach der Konstituierung der IBA-Gremien, dem international besetzten Kuratorium und dem Aufsichtsrat, erfolgt die Konkretisierung der Ziele, die von Projektaufrufen und deren Akkreditierung durch das Kuratorium begleitet wird. Durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit mit öffentlichen Workshops und inter­nationalen Foren soll das Bewusstsein für die Laborsituation IBA in der Stadtgesellschaft verbreitert werden.
Gibt es Programme (Masterpläne, Leitlinien der städtebaulichen Planung), auf die die IBA Heidelberg aufbaut?
Die Konzeption der IBA baut zwar einerseits auf den Erfahrungen mit strategischen Planungen und Planungsprozessen sowohl für die Gesamtstadt (Modell Räumlicher Ordnung und Leitlinien zur Bürgerbeteiligung) als auch für städtische Teilräume (Rahmenpläne und Wettbewerbsergebnisse) auf. Andererseits gilt es im Rahmen der IBA, eine völlig neue Qualität an thematischer Konzentration und inhaltlicher Profilierung zu erreichen, die inter- und transdisziplinäre Prozesse umfasst.
Welche Partner sind beteiligt?
Gesellschafter der IBA GmbH ist die Stadt Heidelberg. In der Vorbereitungsphase der IBA bis 2012 wurde in verschiedenen Arbeitszusammenhängen Partnerschaften mit Wissensinstitutionen in Heidelberg vertieft und neu aufgebaut. Wichtigster Akteur und Kooperationspartner, etwa für die Auftaktveranstaltung, ist die Universität Heidelberg. Im Aufsichtsrat der IBA GmbH sind neben Vertretern des Gemeinderats und dem Ersten Bürgermeister der Stadt, die Kanzlerin der Universität sowie die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg vertreten.

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