Zeichen des Unvollkommenen
Istanbuls erste Design Biennale blickt auf die Stadt
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Zeichen des Unvollkommenen
Istanbuls erste Design Biennale blickt auf die Stadt
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Zum ersten Mal findet in Istanbul eine Design Biennale statt. Kritisch setzen sich die Teilnehmer mit der Millionenmetropole auseinander und formulieren in ihren Beiträgen den Wunsch nach einer sozialen, dynamischen und kleinteiligen Stadt.
Das weltweite Interesse für die prosperierende Metropole am Bosporus gewinnbringend zu nutzen mag Anlass gewesen sein, in Istanbul eine Design Biennale zu starten. Im Wechsel mit der etablierten Kunstbiennale sollen sich hier künftig die Gestaltungsdisziplinen präsentieren. Das Motto des Auftaktes – „Imperfection“ – klingt nicht gerade überraschend, meint aber doch viel mehr als die seit langem in der Kritik stehende unstrukturierte Stadtentwicklung, für die Istanbul unter anderem bekannt ist (Bauwelt 40.1988): Die beiden Ausstellungen, die am 13. Oktober eröffnet wurden, sind eine kritische Reflexion der Stadt als solche.
In Istanbul Modern, dem zum Museum ausgebauten Hafenlager, hat der Istanbuler Architekt Emre Arolat eine Ausstellung konzipiert, die sich unter den Stichworten „Transformation“ und „Anti-Kontext“ mit dem Wandel und dessen Folgen auf die sozialen Zusammenhänge nicht nur in Istanbul, sondern auch in anderen Städten befasst. Wie man sozialverträglich sanieren kann, stellt die Architektin Esre Akcan am Beispiel der Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/1987 dar. Mit Fotos, Interviews und Filmen über türkische Gastarbeiter und Alvaro Sizas Wohnhaus Bonjour Tristesse erinnert sie an die Integrationsleistung der „Behutsamen Stadterneuerung“ im Berlin der 80er Jahre, das mit „Zuzugssperren“ den Ausländeranteil in den Bezirken reglementieren wollte. Akcan würdigt die Partizipation türkischer Bürger an der Entwicklung ihres Umfelds als Schritt zu ihrer gesellschaftlichen und persönlichen Selbstbestimmung in Deutschland. Die findet später, wie sie zeigt, mit dem erfolgreich eingeforderten Recht, Satellitenschüsseln zum Empfang türkischer Sender an der Hausfassade anzubringen, einen nicht unumstrittenen Ausdruck.
Die Auswirkungen unterschiedlicher Interessen in der Stadt veranschaulicht die Rauminstallation von Cem Kozar und Işıl Ünal vom Büro Pattu Architecture. Tritt der Besucher auf einen grünen Kreis, wachsen an der Leinwand Bäume empor, tritt er auf einen roten, schießen Geschäftshäuser in die Höhe, tritt er auf einen blauen, poppen Touristenattraktionen auf und so weiter. Erst ein dynamischer Interessensausgleich garantiert, so die Botschaft von Pattu, die gewollte Vielfalt. Ihre Kritik richtet sich gegen die staatlichen Erlasse, die die Existenz der Istanbul kennzeichnenden Kleinstökonomien, wie zum Beispiel das Sammletaxisystem (siehe Seite 8 und 10) gefährden. Ebenso erhellend sind die Montagen des belgischen Fotografen Xavier Delory, der unter dem Titel „Urban Forms“ typologische Serien erstellt. Mit grotesken, aus Brüsseler Häusern zusammengesetzten Türmen reflektiert er zum Beispiel über Brüche des städtischen Blocks. Er zeigt das Verschwinden der Idee Le Corbusiers vom freien Grundriss hinter den nichts sagenden Fassaden profitabler Architektur und persifliert die funktionsfreie Verwendung historischer Fassaden.
Die zweite Ausstellung – „Adhocracy“ – konzipierte der Architekt und Chefredakteur der italienischen Zeitschrift DOMUS Joseph Grima. In den Klassenräumen der ehemaligen Griechischen Grundschule Galata, einem neoklassizistischen Bau aus dem einstigen Konstantinopel des 19. Jahrhunderts, hat er Möglichkeiten selbständigen, möglichst unverzüglichen Handelns versammelt. Zum Beispiel den „Kiosk 2.0“ des belgischen Designstudios Unfold. Auf den ersten Blick meint man vor einem mobilen Verkaufsstand für Würste und Getränke zu stehen. Doch das Gefährt hat eine Design Funktion: Objekte werden gescannt und als 3-D-Kopien in Kunststoff ausgedruckt, die Vase von Alvar Aalto ebenso wie die Saftpresse von Philippe Starck. Ein cleverer Angriff auf den Markenfetischismus. Als politisches Statement ist das unbemannte Fluggerät „Drone Journalism“ der polnischen Firma Robokopter zu sehen. Der aus der Vogelschau gedrehte Film von einem Polizeieinsatz bei einer Demonstration in Warschau stellt das intransparente Handeln von Autoritäten in Frage.
Die Stadtpolitik Istanbuls hat auch die Design Biennale im Visier. Der wirtschaftliche Wohlstand der Türkei sowie die Partnerschaft mit der Europäischen Union sollen sich in der stärkeren Teilhabe aller Einwohner an der Stadtentwicklung Istanbuls niederschlagen, so die Botschaft der Veranstaltung. Die zweite Design Biennale wird zeigen, ob „Imperfection“ als Ansporn verstanden wurde.
In Istanbul Modern, dem zum Museum ausgebauten Hafenlager, hat der Istanbuler Architekt Emre Arolat eine Ausstellung konzipiert, die sich unter den Stichworten „Transformation“ und „Anti-Kontext“ mit dem Wandel und dessen Folgen auf die sozialen Zusammenhänge nicht nur in Istanbul, sondern auch in anderen Städten befasst. Wie man sozialverträglich sanieren kann, stellt die Architektin Esre Akcan am Beispiel der Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/1987 dar. Mit Fotos, Interviews und Filmen über türkische Gastarbeiter und Alvaro Sizas Wohnhaus Bonjour Tristesse erinnert sie an die Integrationsleistung der „Behutsamen Stadterneuerung“ im Berlin der 80er Jahre, das mit „Zuzugssperren“ den Ausländeranteil in den Bezirken reglementieren wollte. Akcan würdigt die Partizipation türkischer Bürger an der Entwicklung ihres Umfelds als Schritt zu ihrer gesellschaftlichen und persönlichen Selbstbestimmung in Deutschland. Die findet später, wie sie zeigt, mit dem erfolgreich eingeforderten Recht, Satellitenschüsseln zum Empfang türkischer Sender an der Hausfassade anzubringen, einen nicht unumstrittenen Ausdruck.
Die Auswirkungen unterschiedlicher Interessen in der Stadt veranschaulicht die Rauminstallation von Cem Kozar und Işıl Ünal vom Büro Pattu Architecture. Tritt der Besucher auf einen grünen Kreis, wachsen an der Leinwand Bäume empor, tritt er auf einen roten, schießen Geschäftshäuser in die Höhe, tritt er auf einen blauen, poppen Touristenattraktionen auf und so weiter. Erst ein dynamischer Interessensausgleich garantiert, so die Botschaft von Pattu, die gewollte Vielfalt. Ihre Kritik richtet sich gegen die staatlichen Erlasse, die die Existenz der Istanbul kennzeichnenden Kleinstökonomien, wie zum Beispiel das Sammletaxisystem (siehe Seite 8 und 10) gefährden. Ebenso erhellend sind die Montagen des belgischen Fotografen Xavier Delory, der unter dem Titel „Urban Forms“ typologische Serien erstellt. Mit grotesken, aus Brüsseler Häusern zusammengesetzten Türmen reflektiert er zum Beispiel über Brüche des städtischen Blocks. Er zeigt das Verschwinden der Idee Le Corbusiers vom freien Grundriss hinter den nichts sagenden Fassaden profitabler Architektur und persifliert die funktionsfreie Verwendung historischer Fassaden.
Die zweite Ausstellung – „Adhocracy“ – konzipierte der Architekt und Chefredakteur der italienischen Zeitschrift DOMUS Joseph Grima. In den Klassenräumen der ehemaligen Griechischen Grundschule Galata, einem neoklassizistischen Bau aus dem einstigen Konstantinopel des 19. Jahrhunderts, hat er Möglichkeiten selbständigen, möglichst unverzüglichen Handelns versammelt. Zum Beispiel den „Kiosk 2.0“ des belgischen Designstudios Unfold. Auf den ersten Blick meint man vor einem mobilen Verkaufsstand für Würste und Getränke zu stehen. Doch das Gefährt hat eine Design Funktion: Objekte werden gescannt und als 3-D-Kopien in Kunststoff ausgedruckt, die Vase von Alvar Aalto ebenso wie die Saftpresse von Philippe Starck. Ein cleverer Angriff auf den Markenfetischismus. Als politisches Statement ist das unbemannte Fluggerät „Drone Journalism“ der polnischen Firma Robokopter zu sehen. Der aus der Vogelschau gedrehte Film von einem Polizeieinsatz bei einer Demonstration in Warschau stellt das intransparente Handeln von Autoritäten in Frage.
Die Stadtpolitik Istanbuls hat auch die Design Biennale im Visier. Der wirtschaftliche Wohlstand der Türkei sowie die Partnerschaft mit der Europäischen Union sollen sich in der stärkeren Teilhabe aller Einwohner an der Stadtentwicklung Istanbuls niederschlagen, so die Botschaft der Veranstaltung. Die zweite Design Biennale wird zeigen, ob „Imperfection“ als Ansporn verstanden wurde.
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