Zwei Wege in die Moderne
Ausstellungen zu Henry van de Velde und Peter Behrens in Weimar und Erfurt
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Zwei Wege in die Moderne
Ausstellungen zu Henry van de Velde und Peter Behrens in Weimar und Erfurt
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
In den so fruchtbaren Jahren des wilhelminischen Deutschland nach 1900 gab es eine ganze Reihe von „Malerarchitekten“, ausgebildete Künstler, die als Gestalter und Architekten Autodidakten waren. Bruno Paul, Richard Riemerschmid, vor allem aber Henry van de Velde und Peter Behrens.
Sie wagten sich auf dem Weg über das kunsthandwerkliche Gestalten ans Bauen und schufen auf je eigenen Wegen eine Sprache der Moderne, vereint in der Absicht, das Formenwirrwarr des Historismus zu überwinden.
Dem gebürtigen Antwerpener van de Velde richtet das Land Thüringen zum 150. Geburtstag ein „Van-de-Velde-Jahr 2013“ aus. Kernstück ist die Ausstellung „Leidenschaft, Funktion und Schönheit. Henry van de Velde und sein Beitrag zur europäischen Moderne“ im Neuen Museum Weimar – eine Schau, die ebenso in kunsthandwerklichen Objekten schwelgt wie eine weitere, quasi kontrapunktische dieses Themenjahrs zu Peter Behrens in der Kunsthalle Erfurt.
Schönheit und Harmonie
In Weimar verbrachte van de Velde seine künstlerisch produktivsten Jahre (1902–1917). Seine Bauten für die Großherzogliche Kunstschule und die auf Anregung des umtriebigen Harry Graf Kessler gegründete Kunstgewerbeschule, der der Flame bis 1915 als Direktor vorstand, sind eher als Erstlingsheimat des 1919 gegründeten Bauhauses im Bewusstsein geblieben. Mittlerweile ist der Ursprungszustand, den schon das Bauhaus überformt hatte, weitgehend restauriert. Van de Velde entwarf schlichtweg alles, um das Leben durch Schönheit und Harmonie zu erheben; von Möbeln bis zu Reformkleidern für die Gattin, von Silberbesteck bis zu Kinderbetten oder Bucheinbänden. Herrlich in der Weimarer Ausstellung die Tafel für zehn Gäste, die mit originalem Geschirr, abstrakt und sparsam mit blauen Linien dekoriert, und 14-teiligem Silberbesteck an jedem Platz auf die Gäste des Gestalters wartet.
Neben den Bauten für die beiden großherzoglichen Kunstschmieden kann Weimar mit Privathäusern aufwarten, die van de Velde entwarf. Unter ihnen ist sein eigenes, das „Haus Hohe Pappeln“, 1907/08 geradezu als Trutzburg gegen die zunehmenden Anfeindungen in der Residenzstadt errichtet, das schönste – gerade weil es mit seinen wehrhaften Travertinfassaden nicht eben harmonisch wirkt. Erst im Inneren entfaltet es einen bezwingenden Charme als wohnliche Behausung. Van de Velde baute konsequent von Innen nach Außen, musste aber bei einigen Weimarer Auftraggebern wie dem Grafen Dürckheim erhebliche Zugeständnisse an deren Vorstellungen von Repräsentation und an Axialsymmetrien machen.
Dem späteren Werk nach dem Ersten Weltkrieg, erst in den Niederlanden und ab 1925 als Professor in Gent, widmet die Ausstellung ein auf Fotografien gestütztes Schlusskapitel. Van de Velde bewegte sich in verschiedene Richtungen, für seine eigene „Maison Moderne“ nahm er Anregungen des Art déco auf, für den Bibliotheksturm in Gent von 1936 hingegen solche des zeittypischen Neo-Klassizismus. In den Entwürfen für den Belgischen Pavillon auf den Weltausstellungen von Paris 1937 und zwei Jahre später in New York schwenkte er wieder auf eine gemäßigte Moderne um, die seiner Vorliebe für die elegant geschwungene Linie entsprach. Ein Schlüssel zum Verständnis ist der von van de Velde komplett gestaltete Ozeandampfer „Prince Baudouin“: Wie seit Le Corbusier üblich, dient der schnittige Ocean Liner als Signum von Modernität.
Corporate Design avant la lettre
Anders als bei Henry van de Velde kann man bei Peter Behrens kaum darüber streiten, ob der Produktgestalter bedeutender ist als der Architekt. Die Architektur bildet den gewichtigsten Teil seines Œuvres, von seinem Haus in der Darmstädter Künstlerkolonie im Jahr 1901 über die Bauten für die AEG, mit denen er Architekturgeschichte schrieb, bis zu seinen Entwurf gebliebenen Großbauten für das Berlin der Nazizeit. „Behrens hatte ein großartiges Gefühl für die Form“, so rückblickend Mies van der Rohe, der vor dem Ersten Weltkrieg in Behrens’ Büro gearbeitet hatte, und dieses Formgefühl bewahrte er durch alle stilistischen Wandlungen hindurch.
Der lebensreformerische Impuls van de Veldes ging Behrens zunehmend ab, auch wenn seine Entwürfe für Geschirr und Gläser, für Vasen und Bestecke an Feinheit und Eleganz denen des Belgiers nicht nachstehen. Doch vertiefte er sich ab 1907 in die Gestaltung von neuartigen – und entsprechend kostspieligen – Konsumgütern: elektrische Tischventilatoren, Lampen, Wasserkessel. Für die AEG entwickelte er ein vollständiges Corporate Design, lange bevor der Begriff überhaupt aufkam. Die Erfurter Behrens-Schau beginnt mit Fotografien seiner Bauten und führt danach auf die AEG-Produktpalette hin: So wird als Lebensleistung des gebürtigen Hamburgers die Verbindung von Industrie und Ästhetik herausgestellt.
Die Gleichzeitigkeit der Ausstellungen zu den Zeitgenossen van de Velde und Behrens ist ein großes Glück. Zwei Wege in die Moderne werden nachgezeichnet – und so unterschiedlich die Protagonisten auch sein mochten, offenbaren sie in ihrem Werk doch aufschlussreiche Parallelen.
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