Zwischen den Zeilen
Europäischer Architekturfotografie-Preis 2011
Text: Kaps, Vera, Stuttgart
Zwischen den Zeilen
Europäischer Architekturfotografie-Preis 2011
Text: Kaps, Vera, Stuttgart
Distanziert und aufgeräumt ins rechte Licht gerückte Neubauten – darum geht es beim Europäischen Architekturfotografie-Preis nicht.
Der Europäische Architekturfotografie-Preis wird seit 1995 zweijährlich ausgeschrieben, seit 2005 vom Verein architekturbild e.V., der sich der Förderung einer „fotografisch-künstlerischen Auseinandersetzung mit der Umwelt“ verpflichtet hat. Nach Mein Lieblingsplatz vor vier Jahren (Bauwelt 23.07) und Neue Heimat vor zwei Jahren (Bauwelt 19.09) sollten die Teilnehmer diesmal zum Thema Dazwischen eine vierteilige Bildserie einreichen. 269 Fotografen aus 15 Ländern beteiligten sich. Die Jury unter Vorsitz von Christiane Gehner von der Deutschen Gesellschaft für Photographie vergab einen ersten Preis, zwei zweite Preise, sieben Auszeichnungen und 18 Anerkennungen. Zurzeit sind die prämierten Arbeiten im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main zu sehen.
Die Aufnahmen handeln von Blütezeit und Verfall, von Stagnation und Fortschritt, von Chaos und Ordnung; oder ganz simpel von Zwischenräumen wie Hinterhöfe oder Straßenschluchten. Die Fotografen haben die implizite Aufforderung des Auslobers, zwischen den Zeilen zu lesen, vielseitig interpretiert. Nils Clauss gewann mit seiner Bildserie „urban nature“ den ersten Preis. Der seit 2005 in Seoul lebende Fotograf dokumentiert die bisweilen skurril anmutende Sehnsucht der Megacitybewohner nach unberührter Natur. So sieht sich der Betrachter inmitten einer steinernen Hochhauswüste unvermittelt einer saftigen Wiese gegenüber, mit rosa Blumen und einem Bächlein, das sich seinen Weg durch die asiatische Berglandschaft sucht – eine Idylle, die sich freilich als riesiges Fassadenbild entpuppt.
Beim Flanieren in der Stadt konzentrieren wir uns meist auf den Weg vor uns, den First der Häuser, die wir passieren, beachten wir kaum. Dirk Brömmel hat seinen Blick genau darauf gelenkt, auf jenen hellen Streifen, der entsteht, wenn Licht in eine enge Gasse (in diesem Fall in Venedig) fällt und dabei nur den oberen Rand der Fassaden beleuchtet. Indem der Fotograf seine vier Aufnahmen aneinanderreiht, erzeugt er das Bild einer Straßenschlucht, die sich, perspektivisch stark verzerrt, langsam zu schließen droht. Für „Venedig“ gab es eine Auszeichnung.
Die Serie aus vier Bildern sei „eine kluge Vorgabe, schließt das doch einerseits die eher zufällig gelungenen Einzelbilder aus und zwingt andererseits zur Konzentration“, so Anna Gripp, Jurorin und Chefredakteurin der Zeitschrift Photonews. Auch Paul Duri Degonda spielt bei „l’unda – die Welle“ (ein 2. Preis) mit dem Potenzial der Serie. Die starken Spiegelungen auf seinen Fotos irritieren zunächst – bis der Betrachter in der Summe der Bilder Renzo Pianos Zentrum Paul Klee in Bern erkennt. Wen man in den Reflexionen nicht sieht: den Fotografen selber.
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