Wohnhochhäuser auf dem Eilandje in Antwerpen
Auf den ehemaligen Dockanlagen im Norden Antwerpens erheben sich sechs neue Wohnhochhäuser. Die beiden Türme von Tony Fretton komplettieren jetzt den 2002 verabschiedeten Masterplan.
Text: Fischer, Ludger, Brüssel
Wohnhochhäuser auf dem Eilandje in Antwerpen
Auf den ehemaligen Dockanlagen im Norden Antwerpens erheben sich sechs neue Wohnhochhäuser. Die beiden Türme von Tony Fretton komplettieren jetzt den 2002 verabschiedeten Masterplan.
Text: Fischer, Ludger, Brüssel
Historische Bauten in Antwerpen sind üblicherweise prächtig: der Hauptbahnhof, das Rathaus, die Kontorgebäude. Die Wohnhäuser hingegen sind wenig auffällig; die meisten sind klein und unspektakulär. Dennoch ist die Architektur in Antwerpen vielfältig: Keine zwei Häuser sehen einander ähnlich, Bauhöhen und Baustile, Gebäude aus allen Epochen sind bunt gemischt. Wohnhochhäuser gehörten bisher nicht dazu, in der 517.000 Einwohner-Stadt fand man sie kaum. Auf dem ehemaligen Hafengelände, dem Eilandje, das mit der Umstrukturierung des Kattendijkdok nördlich der Altstadt erweitert wird, kommen sie jetzt doch zum Einsatz. Man realisierte dort in den letzten zehn Jahren sechs solcher Wohntürme. Aufgabe der Architekten war es, bei ihren Entwürfen die Bauten der Umgebung in Materialwahl und Formgebung „einzubeziehen“. Auf der ehemaligen Hafeninsel standen bisher fast nur eingeschossige Lagerhallen. Die dort verwendeten Baumaterialien sind für den Bau von Türmen also ungeeignet. Anpassung bedeutete dann: Anpassung an die Vielfalt der Architektur von Antwerpen.
Drei Zwillinge
Jedes der sechs Hochhäuser wurde individuell gestaltet, doch die ähnlichen Abmessungen lassen sie trotzdem als Einheit erkennen: Sie beherbergen jeweils 15 Wohngeschosse und erreichen eine Gesamthöhe von knapp 60 Metern. Der Auftrag für je zwei benachbarte Türme ging an das Baseler Büro Diener & Diener Architekten, sowie an die Londoner Architekturbüros von David Chipperfield und Tony Fretton. Gebaut wurden alle sechs vom Antwerpener Bauunternehmen MBG. Nach Fertigstellung der ersten beiden Türme von Diener & Diener 2008 erzwang die Finanzkrise eine Baupause bis 2011. Erst dann wurden die beiden von Chipperfield entworfenen Türme 3 und 4 gebaut. In den letzten beiden Jahren sind nun auch die zwei Wohnhochhäuser von Tony Fretton fertiggestellt worden.
Frettons Türme sind Zwillinge. Sie weisen viele Parallelen auf, die Detaillierung verleiht ihnen aber eine je eigene Erscheinung. Auffällig sind die drei Meter tiefen Loggien, die sich bis ins oberste Geschoss durchziehen. Insbesondere der Turm 6 bekommt dadurch eine ungewöhnliche Kontur. Es wirkt als würde er „ausfransen“. Er bildet nördlich den Abschluss des Ensembles. Hier bezog sich Tony Fretton auf das am Ende des Hafenbeckens stehende, von Zaha Hadid aufgestockte Havenhuis, das wie eine gläserne Yacht den Altbau überragt. Das Dach des Turms, das keine durchgängige Attika bekommen hat, sondern zinnenartige Mauerstücke und einen Metallzaun, wächst optisch in den Himmel. Bei Dunkelheit wird dieser Effekt über das geschickt platzierte Kunstlicht noch deutlicher und lässt das Wohnhochhaus zum Leuchtturm werden. Das Streben in die Höhe wird auch durch die vertikal verlaufenden Friese der Ziegelfassade unterstrichen. Turm 5, der statt einem quadratischen einen rechteckigen Grundriss aufweist, wirkt dagegen eher wie geschichtet. Sowohl die geschlossene Attika als auch die horizontal verlaufenden Ziegelfriese unterstreichen dies.
Für die Fassaden wurde mit dem flämischen Ziegelhersteller Desta ein Ziegel in zwei Farbtönen entwickelt, mit dem sich die Reliefs realisieren ließen. Die Ziegel unterscheiden sich farblich nur in Nuancen, sie sind bei Turm 5 eher gelblich, bei Turm 6 rötlich. Von einer zentralen Errungenschaft des belgischen Jugendstils, dem Sichtbar machen der Baukonstruktion, ist hier nichts mehr zu spüren. Backstein ist ein in Belgien zwar weit verbreitetes Baumaterial, bei den beiden Türmen aber lässt die Anwendung keinen Bezug zur traditionellen Backsteinarchitektur erkennen. Die stählernen Stürze über Fenstern und Türen sollten nicht in Erscheinung treten. Unter sämtliche Stürze wurden deshalb Ziegel mit Silikonkleber angebracht. Die sehr sparsame Innenausstattung entwarf in beiden Hochhäusern das Büro De Architecten aus Mechelen. Den Bewohnern werden keine unkonventionellen Wohnformen aufgedrängt. Die kleinen Schlafzimmer, die sehr kleinen Badezimmer und die extrem kleinen Toiletten kennen sie vermutlich aus ihren vorherigen Wohnungen. Die Möglichkeit, die Räume ihrer Wohnungen nach dem Casco-Prinzip auszubauen – wie etwa bei dem Projekt in Kleiburg von NL Architects – haben die Bewohner nicht.
Die Wohnungen sind 63, 88 und 93 Quadratmeter groß und haben alle einen Balkon. In Turm 5 sind pro Geschoss sieben Wohnungen realisiert worden, im schlankeren Turms 6 sind es vier. Die meisten Wohnungen, insbesondere die der höheren Geschosse, wurden – dank der Ausstattung und angemessenen Wohnungsgrößen – bereits zu moderaten Preisen verkauft oder vermietet. Der Quadratmeterpreis liegt bei ca. 2800 bis 3100 Euro. Für das Quartier wäre es sinnvoll gewesen, die Bewohnerschaft noch deutlicher zu mischen und auch einen Teil geförderter Wohnungen zu integrieren.
Die Türme sind – trotz Zitaten aus den sechziger Jahren, wie die golden eloxierten Aluminiumfenster – eindeutig als Bauten des 21. Jahrhunderts zu erkennen. Avantgarde-Architektur in Antwerpen? Eher nicht. Dagegen spricht das Investorenmodell, das sichere Renditen erfordert. Boomtown Antwerpen? Auch nicht. Es geht voran, aber langsam. Das ist kein Nachteil für eine erfolgreiche Stadtentwicklung. Im alten Hafengelände nördlich der Altstadt wurde 2011 mit dem Museum aan de Stroom (MAS) von Neutelings Riedijk die städtebauliche Aufwertung des alten Hafengeländes eingeläutet (Bauwelt 26.2011).
Nach der Fertigstellung der sechs Wohntürme bleibt noch viel zu tun: Belebt ist das neue Stadtviertel nur tagsüber, wenn das Museum und die umliegenden Gasthäuser geöffnet sind. Die neue Straßenbahnlinie wartet auf ihre Inbetriebnahme, denkmalgeschützte Fassaden von Lagerhallen auf ein Sanierungskonzept, Verwaltungsbauten der Siebziger auf ihren Abriss. Das alles sind anstehende Aufgaben. Mit den vorerst letzten beiden Wohntürmen auf der Hafeninsel kommt die Stadtentwicklung keinen spektakulären, wohl aber einen signifikanten Schritt voran.
Die Türme sind – trotz Zitaten aus den sechziger Jahren, wie die golden eloxierten Aluminiumfenster – eindeutig als Bauten des 21. Jahrhunderts zu erkennen. Avantgarde-Architektur in Antwerpen? Eher nicht. Dagegen spricht das Investorenmodell, das sichere Renditen erfordert. Boomtown Antwerpen? Auch nicht. Es geht voran, aber langsam. Das ist kein Nachteil für eine erfolgreiche Stadtentwicklung. Im alten Hafengelände nördlich der Altstadt wurde 2011 mit dem Museum aan de Stroom (MAS) von Neutelings Riedijk die städtebauliche Aufwertung des alten Hafengeländes eingeläutet (Bauwelt 26.2011).
Nach der Fertigstellung der sechs Wohntürme bleibt noch viel zu tun: Belebt ist das neue Stadtviertel nur tagsüber, wenn das Museum und die umliegenden Gasthäuser geöffnet sind. Die neue Straßenbahnlinie wartet auf ihre Inbetriebnahme, denkmalgeschützte Fassaden von Lagerhallen auf ein Sanierungskonzept, Verwaltungsbauten der Siebziger auf ihren Abriss. Das alles sind anstehende Aufgaben. Mit den vorerst letzten beiden Wohntürmen auf der Hafeninsel kommt die Stadtentwicklung keinen spektakulären, wohl aber einen signifikanten Schritt voran.
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