Das Berliner Architektennetzwerk Die Zusammenarbeiter steht nach Jahren der Vorbereitung vor der Realisierung eines neuen Studentendorfs in Berlin-Adlershof – ein Projekt, bei dem es auch darum geht, Ideale der fünfziger und sechziger Jahre auf ihre heutige Gültigkeit zu prüfen und weiterzudenken.
Die Fahrt vom Studentendorf Schlachtensee im äußersten Südwesten Berlins zur Wissenschaftsstadt Adlershof im tiefsten Südosten führt quer durch die Stadt und vorbei an der Freien Universität in Dahlem. Wer hier einen Zwischenstop einlegt, hat am Ende nicht nur rund 25 Kilometern zurückgelegt, sondern auch eine Zeitreise durch sechzig Jahre Wissenschaftstadt Berlin hinter sich – und dabei auch deren Architektur besichtigt. Während die Lehrgebäude der jüngeren Vergangenheit durchweg räumlich-gestalterische Ambition aufweisen (
Bauwelt 42 und
27–28.2003,
28–29.1998), gilt das nicht für die Wohngebäude. Studentisches Wohnen war in den letzten Jahren nicht nur in Berlin selten eine Aufgabe, mit der man sich architektonisch beschäftigt hätte. Dabei ist die Nachfrage, zumindest in den klassischen deutschen Universitätsstädten, stabil – allein schon aufgrund des Zustroms aus dem Ausland. Neue Angebote auf dem studentischen Wohnungsmarkt sind heute in der Regel privat finanziert, unterscheiden sich aber in der Ausstattung. In Berlin gibt es Projekte, die die reinen Grundbedürfnisse befriedigen, und es gibt andere, die im „Luxus“-Segment angesiedelt sind und von vermögenden Eltern als Anlageobjekte finanziert werden: zunächst als Unterkunft für den eigenen Nachwuchs und danach als vermietete oder selbstgenutzte Ferienwohnung für den Besuch in der Hauptstadt. Beide Angebote, so unterschiedlich sie auch sind, spiegeln auf erhellende Weise gesellschaftliche Zustände, wie etwa die im Zuge der Bologna-Reform ebenfalls immer mehr konfektionierte und konsumorientierte Lehre. Nun soll in Adlershof eine Wohnanlage entstehen, die an den Geist von Schlachtensee anknüpfen und die den Studenten mehr bieten will als nur Unterkunft: eine Heimat auf Zeit in einer Art von Gemeinschaft, die sich zu mehr als dem bloßen Zweck verpflichtet fühlt.
Ein neues Studentendorf für Berlin, am Rand der Wissenschaftsstadt Adlershof – wie kam es dazu?Christian Schöningh | Im Jahr 2006 hat unser Büro eine Machbarkeitsstudie für studentisches Wohnen auf dem Campus Adlershof erarbeitet. Anlass war die Aussichtslosigkeit der Studierenden, in Fuß- oder Fahrradentfernung zum naturwissenschaftlichen Campus der Humboldt-Universität wohnen zu können. Für das städtebauliche Entwicklungsgebiet war das Wohnen als Erfolgskriterium und Voraussetzung für einen gelungenen Hochschulstandort erkannt worden.
Claudia Sieper | 2010 wurde das Grundstück dann von der landeseigenen Adlershof Projekt GmbH ausgeschrieben. Es ging dabei nicht nur um einen Architekturentwurf, sondern auch um ein Betreibermodell. Mit der Studentendorf Schlachtensee eG als potenziellem Betreiber haben wir daran teilgenommen und den Zuschlag erhalten. Inzwischen ist das Grundstück gekauft, die Finanzierung steht. Mitte August war offiziell Start für die Realisierung, und wir überarbeiten aktuell den Vorentwurf. Erst jetzt scheint die Zeit reif dafür.
Woran mag das liegen?Claudia Sieper | Das Thema ist gerade sehr präsent. Überall hört man von Initiativen und Projekten mit „studentischem Wohnen“. Investoren haben jetzt diese Nische des Wohnungsmarktes als recht lukrativ entdeckt.
Christian Schöningh | Und die Randbedingungen, die für diese Entwicklung gelten, haben auch für unseren Ansatz erst einmal wirken müssen. Das sind die ungebrochene und immer noch steigende Anziehungskraft Berlins und die auch daraus entstehende Enge auf dem Wohnungsmarkt. Wir verstehen das Bauen für Studierende deshalb auch als einen Beitrag zur Wohnungsbaupolitik. Je weniger Studierende inzwischen selbst mit Gutverdienern um WG-taugliche Wohnungen konkurrieren, desto besser für alle.
Was waren die Vorstellungen des Betreibers?Claudia Sieper | Wir haben ein relativ grobes Raumprogramm bekommen mit ungefährer Zimmeranzahl, in dem aber auch beschrieben war, welche gemeinschaftlichen Nutzungen es geben soll – Studenten-Club, Gemeinschaftsräume, Fitnessmöglichkeiten, Kindertagesstätte, Kiosk, Büro der studentischen Selbstverwaltung etc.. Also all die Dinge, die in Schlachtensee so erfolgreich sind und die dazu geführt haben, dass man wirklich von einem Dorf sprechen kann.
Sonia Sandberger | Die Vorstellungen haben wir gerade erst auf einen Nenner gebracht: beim gemeinsamen Besuch des neuen Studentenwohnheims Tietgen Colleg in Kopenhagen. Das war sehr anregend und hat bestätigt, dass das gemeinschaftliche Wohnen wunderbar funktioniert und dass neben Schlafen, Essen, Lernen und Körperpflege auch räumlich Anderes nötig ist, um gute Rahmenbedingungen für begeisterte studentische Bewohner zu schaffen.
In Schlachtensee wurden ja nicht nur Wohnräume geschaffen, vielmehr sollten Räume entstehen, die die Studenten anregen, eine Art von demokratischem Handeln zu üben, die sie zu fähigen Bürgern einer Demokratie reifen lässt. Gibt es solche Ideale heute noch auf Seiten Ihres Betreibers?Christian Schöningh | Ja, eindeutig. Es gab beim Kampf um den Erhalt des Studentendorfes Schlachtensee seit 1999 zwei bestimmende Motivationen: den Erhalt des Denkmals und, für viele Beteiligte noch mit Vorrang, den Erhalt dieser gemeinschaftlichen Wohnformen, die in einer zu den Idealen der Stifter kongenialen Architektur seit fünfzig Jahren hervorragend funktionieren. Ging es den US-amerikanischen Stiftern in den fünfziger Jahren um Resozialisierung, Völkerverständigung und Demokratisierung der zukünftigen Elite nach dem Faschismus, steht heute eher im Vordergrund, in einer sich individualisierenden Gesellschaft Fähigkeiten zum Gemeinsamen zu erhalten und aus kultureller Vielfalt kreatives Potenzial zu schöpfen. Konkret für Adlershof bedeutet das, Häuser für gemeinschaftliches Wohnen und – wörtlich zu verstehen – Begegnung zu entwerfen. Wichtig ist auch, dass Bauherren und Betreiber das Projekt nicht mit vordergründigem Rendite-Interesse betreiben, sondern sich als Anbieter guter Rahmenbedingungen für Studierende verstehen, die solche nun mal benötigen; damit die Wissensgesellschaft, in der wir ja angeblich leben, auch erfolgreich und respektvoll gegenüber den Wissenden sein kann.
In den letzten Jahren sind viele Studenten aus Südeuropa nach Berlin gekommen, aber auch aus Asien und den arabischen Ländern. Spielen deren Erwartungen und Gewohnheiten eine Rolle? Sonia Sandberger | Es gab Hinweise vom Betreiber, dass unterschiedliche Gewohnheiten sich auch in verschiedenen Erwartungen ausdrücken, denen man baulich entsprechen könnte. Wir haben uns aus mehreren Gründen dagegen entschieden. Einer ist, dass es zu organisatorischen Verrenkungen oder auch Mietverlusten führen könnte, wenn man zum Beispiel sanitäre Ausstattungen für bestimmte Kulturen entwirft. Vielleicht gelingt es statt dessen, in Gemeinschaftsbereichen einige spezielle Attribute zu installieren, etwa für verschiedene Koch- und Essgewohnheiten. Dies wirkt dann im besten Fall bereichernd, fördert den Austausch und erleichtert das Kennenlernen.
Wie balancieren Sie das Verhältnis von privaten und gemeinschaftlichen Räumen aus?Claudia Sieper | Uns ist es wichtig, dass jeder seinen Rückzugsort hat. Das ist natürlich das Studentenzimmer, fast immer auch mit integriertem Duschbad. Vielleicht sind die Betreiber auch ein bisschen traumatisiert durch die Erfahrungen bei der Vermietung der noch nicht sanierten Häuser in Schlachtensee, wo sich bis zu zwölf Bewohner ein Bad teilen. Das eigene Bad scheint ein wichtiges Thema zu sein, um alltägliche Konflikte zu vermeiden. Die Betreiber versprechen sich davon ein entspannteres Zusammenleben für die künftigen Bewohner.
Christian Schöningh | Oder auch mal gespannt. Wenn in einem Haus 12 Kulturen zusammenkommen, ist es nicht immer spannungsfrei. Und auch das ist durchaus Programm: eben auch die mal konfliktträchtige Begegnung zu fördern. Deshalb gibt es keinen Mittelgang, den man vielleicht außerhalb einer Raumeinheit aus Zimmer und Bad vermuten könnte, sondern einen großen Raum, in dem das gemeinschaftliche Wohnen einschließlich des Kochens stattfindet. Eine Variante, die mit sehr geringem baulichen Aufwand möglich ist, sowohl für die Planungs- als auch die Nutzungsphase, ist die Umorganisation der Raumfolgen zu mehreren kleineren Wohngemeinschaften. Und schließlich bietet das Konzept die Möglichkeit, Einzel- und auch Doppelappartements anzubieten. Der Mix aus diesen Möglichkeiten für den Erstbezug ist noch nicht endgültig festgelegt.
Und außerhalb des einzelnen Hauses? Claudia Sieper | Zwei Häuser teilen sich eine offene Treppenanlage. Hier können mit überschaubarem Aufwand Kommunikationsflächen entstehen. Auch die Wegeverbindung durch die Häuser hindurch trägt zur räumlichen Vernetzung bei. Zentrum des Ganzen ist natürlich der „Dorfplatz“ mit den bereits genannten Einrichtungen, direkt an der Tram-Haltestelle.
Christian Schöningh | Die Anlage hat nicht die Größe und Vielfalt von Schlachtensee. Aber sie scheint uns mit knapp 380 Bewohnern an der unteren Grenze dessen, was wir ein „Dorf“ nennen können. Die Häuser in gebrauchsfähige Grünflächen einzubetten, wird dafür sehr wichtig sein. Das ist in Schlachtensee auch so. Der Garten dort ist jetzt 50 Jahre alt, von Mattern entworfen, ebenfalls ein Denkmal. Und der wird unheimlich intensiv genutzt.
Warum sind angesichts des ungebrochenen Zuspruchs zu Schlachtensee die früheren Anläufe für ein solches neues Studentendorf gescheitert?Christian Schöningh | Die Adlershof Projekt GmbH hat sich mit anerkennenswerter Ausdauer um die Betreiber bemüht, weil sie von Schlachtensee überzeugt war und Vergleichbares für Adlershof wollte. Dazu gehörte dann auch, uns mit potenziellen Investoren zusammen zu bringen. Mit denen sind wir aber einfach nicht klar gekommen. Die haben definitiv andere Ziele verfolgt. Ein Bauherr oder Finanzierungspartner, dem die inhaltliche Ausrichtung gar nichts bedeutet, kam nicht in Frage. Ursprünglich ging es um einen anderen Standort, noch näher am Campus; dort kann man jetzt bewundern, was jemand anderes baut. Das sind Ein-Zimmer-Apartments, die als Eigentumswohnungen verkauft werden. Das funktioniert zwar jetzt gerade in Kombination von Anlagedruck und Wohnungsengpass, hat aber nichts mit unseren Ideen zu tun.
Wer finanziert Ihre Ideen?Christian Schöningh | Für Adlershof wurde eine Objektgesellschaft gegründet mit zwei großen Gesellschaftern: der Genossenschaft aus Schlachtensee und der Schweizer Coopera Sammelstiftung PUK aus Ittigen, einer alternativ aufgestellten Pensionskasse, die den weitaus größten Anteil des Eigenkapitals stellt. Diese Pensionskasse wurde gegründet, als die private Altersversorgung in der Schweiz für jeden obligatorisch wurde. Der Ansatz war, dass man – wenn schon das Aufhäufen von Geld gesetzlich vorgeschrieben wird – wenigstens selber bestimmen und verantworten will, was mit diesem Geld passiert. Es gab mehrere solcher Gründungen in der Schweiz, mehrheitlich anthroposophisch oder politisch links orientiert. Die haben damals schon gewusst, was alle anderen jetzt erst in der Krise lernen: dass orientierungslos nach Anlagemöglichkeiten suchendes Kapital sehr zerstörerisch sein kann – auch selbstzerstörerisch. Deshalb investieren sie nur direkt in ganz konkrete Projekte, die im weites-ten Sinn nachhaltig sind: sozial, ressourcenschonend und wirtschaftlich solide. Die PUK hatte seinerzeit auch den Erwerb von Schlachtensee letztlich ermöglicht und damit geholfen den Abriss zu verhindern, den der Berliner Senat vor zwölf Jahren wollte. Das ist ein sehr partnerschaftliches Verhältnis zwischen Geldgebern und den Menschen im Projekt, die das Programm formulieren und umsetzen.
Mit welchen Preisen kalkulieren Sie? Christian Schöningh | Mit durchschnittlich 340 Euro pro Platz und Monat, und zwar „brutto-brutto“, also inklusive Strom, Internet und voll möbliert. Das erscheint vielleicht relativ viel; aber erstens fallen überdurchschnittliche Management- und Instandhaltungsaufwendungen an, bedingt durch den Studienverlauf mit relativ viele Leerstandswochen zwischen den Semestern und infolge der üblichen starken Fluktuation. Und zweitens können so in den ersten zehn Jahren hohe Summen der Co-Finanzierung durch die KfW getilgt und dieses Mietniveau dauerhaft gehalten werden. Unser Ziel ist es, dass die naturgemäß relativ teuren Neubauten von heute in Zukunft die günstigen Angebote bereitstellen.
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