Berge, Küste, Koolhaas
Jan Friedrich gibt die Hoffnung nicht auf, eines Tages der Architektur zu entkommen
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Berge, Küste, Koolhaas
Jan Friedrich gibt die Hoffnung nicht auf, eines Tages der Architektur zu entkommen
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Jedes Jahr, wenn die Urlaubsplanung ansteht, stellt sich diese Frage: Werde ich, der ich Woche für Woche in Architekturdingen unterwegs bin, auch meine Ferien der Architektur widmen? Es gibt schließlich so viel bisher Ungesehenes anzuschauen. Und jedes Jahr kommt Unzähliges hinzu. Zum Beispiel hat es sich für mich – ganz ohne Witz jetzt – noch nie ergeben, eine Architekturbiennale in Venedig zu besuchen. Ob ich das hier überhaupt so Schwarz auf Weiß bekennen sollte? Nun, jetzt wissen Sie’s.
Dann ist das wohl auch der richtige Augenblick, um in der Urlaubsfrage geständig zu sein: Ich entscheide mich in den Ferien stets für den größtmöglichen Kontrast zum Alltag. Gegen die Architektur. Für die Berge. Fürs Meer. Wenigstens einmal im Jahr will ich mich ganz ungebremst dem Einfluss von Orten hingeben, die ihre Gestalt wesentlich älteren und stärkeren Kräften verdanken als dem Beziehungsgeflecht aus Architekten, Bauherren, Behörden und kritischer Öffentlichkeit.
In diesem Jahr waren die großartigen Landschaften des amerikanischen Nordwestens an der Reihe. Die Küste Washingtons und Oregons, die Vulkankette der Cascades, Regenwälder, Redwoods – das ganze Erhabenheitsprogramm. Wenn mich nun aber nach meiner Rückkehr Freunde fragen, was davon mich am meisten beeindruckt hat, kommt mir jedes Mal etwas ganz anderes in den Sinn: Rem Koolhaas’ Zentralbibliothek in Seattle, dem Startpunkt der Reise. Ich versuche mich dann damit herauszureden, dass das Gebäude aus gegeneinander verschobenen Geschoss-Stapeln eigentlich mindestens genauso Landschaft sei wie Architektur. Aber in Wahrheit hat mich etwas anderes daran so fasziniert: Nie habe ich ein öffentliches Gebäude gesehen, das den Namen öffentliches Gebäude mit mehr Berechtigung trägt als diese Bibliothek. Koolhaas hat mit dem inzwischen zehn Jahre alten Haus einen Ort geschaffen, an dem sich wirklich alle Bevölkerungsgruppen – von der Kunstzeitschriften lesenden älteren Dame bis zum jungen Obdachlosen – begegnen, sich unweigerlich gegenseitig wahrnehmen, ohne sich zu stören. Eindrucksvoll.
Für nächstes Jahr sollte ich doch einmal die Sahara in Betracht ziehen.
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