Bauwelt

Berliner Mitte – neue Liebe?

Im April startet eine „Stadtdebatte“ zur Zukunft von Rathaus- und Marx-Engels-Forum

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Blick vom Berliner Dom auf den Freiraum zwischen Spree und Fernsehturm; links die Marienkirche, mittig das Rote Rathaus, davor die U-Bahn-Baustelle, rechts St. Nikolai

Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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Blick vom Berliner Dom auf den Freiraum zwischen Spree und Fernsehturm; links die Marienkirche, mittig das Rote Rathaus, davor die U-Bahn-Baustelle, rechts St. Nikolai

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Berliner Mitte – neue Liebe?

Im April startet eine „Stadtdebatte“ zur Zukunft von Rathaus- und Marx-Engels-Forum

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Gibt es Räume, so weit, dass sich die Phantasie an nichts entzünden kann? Die nur Hilflosigkeit produzieren? Mit Blick auf das Berliner Zentrum, genauer: auf den großen Freiraum zwischen Spree und Fernsehturm, stellt sich mir diese Frage immer wieder. Für die einen ist dieser Teil der Stadt, der früher mal zur Altstadt gehörte – die gotische Marienkirche kündet noch davon –, in seiner derzeitigen, auf die DDR zurückgehenden, gleichwohl seit dem Untergang dieses Staates bereits in vielen Punkten veränderten Fassung ein selbstverständlicher Anblick; eine Normalität, die sich, wie jeder Straßenzug, jeder Platz, zwar nach und nach entwickeln kann, aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Für die anderen ist er so, wie er jetzt da liegt, eine reine Provokation; ein Schmerzauslöser, der ab-geschaltet gehört – und zwar durch eine mehr oder weniger kritische Rekonstruktion der bis zum Zweiten Weltkrieg existierenden Struktur. An diesem Frontverlauf hat sich im vergangenen Vierteljahrhundert nicht viel veändert. Gut, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte vor fünf Jahren einmal versucht, die Flucht nach vorne anzutreten, und fünf „Testentwürfe“ lanciert; fünf gut gemeinte Illustrationen einer möglichen radikalen Veränderung jenseits des festgezurrten Konflikts, aber auch ein Ausweis der Hilflosigkeit diesem Ort gegenüber. Denn so viel Übereinstimmung ließe sich vielleicht auf Seiten der Anhänger wie der Gegner dieses Freiraums wohl noch erzielen – das Problem dieses Areals ist ganz bestimmt nicht, dass es zu eng und zu kleinteilig wäre. Woraus sich ableiten lässt, dass sein Maßstab nicht noch weiter gedehnt werden muss. Das genau aber unternahmen die Testentwürfe – erinnert sei nur an den Vorschlag, das Ganze der Einfachheit halber zu fluten (Bauwelt 5.2010).
Weiter reichende Klarheit über die Zukunft des Geländes hat sich (außerhalb der Schützengräben und den darin gepflegten Feindbildern) seitdem nicht eingestellt. Das ist umso verwunderlicher, als sich der Status quo, selbst an Berliner Maßstäben gemessen, als unbefriedigend darstellt: Die westliche Hälfte des einst repräsentativen Staats-Stadtraums, das also, was in den 1980er Jahren zum Marx-Engels-Forum wurde, wird seit Jahren von der Baustelle der U-Bahn-Linie 5 okkupiert und bleibt dem städtischen Hin und Her entzogen; die östliche Hälfte mit ihrer Prägung aus den sechziger Jahren wird peu à peu nach Plänen der Landschaftsarchitekten Levin Monsigny erneuert. Dass sich an diesem Zustand auf absehbare Zeit etwas ändert, war vor kurzem noch nicht unbedingt zu erwarten – der seit Dezember Regierende Tempelhofer Müller ließ schon als Senator für Stadtentwicklung größeres Interesse an der Entwicklung der Großsiedlungen am Rande der Stadt erkennen denn an ihrem historischen Kern. Nun aber startet seine ehemalige Verwaltung, inzwischen unter Leitung des Lichtenbergers Andreas Geisel, eine „Stadtdebatte“, um von April an Volkes Stimme zu hören und zu einer Art Manifest zu destillieren, das Ende des Jahres dem Berliner Abgeordnetenhaus übergeben werden soll – auf dass sich nicht das nächste Volksentscheid-Waterloo einstelle. Bereits seit Mitte Februar können auf der zugehörigen Homepage www.altemitte-neueliebe.de persönliche Eindrücke des Bereichs geschildert werden. Diese sind freilich mit Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen: Auf den einschlägigen Foren der Reko-Freunde wird schon kräftig zur Schlacht getrommelt. Das, was große Freiheit bedeuten könnte, scheint also zunehmend Zwang auszuüben, Druck aufzubauen. Doch das kennt Berlin bereits – zum Beispiel aus der Erfahrung mit dem Grundstück auf der anderen Seite der Spree.
Eine Lehre aus dem Humboldt-Forum zu ziehen, liegt nahe. In den neunziger Jahren mühten sich Heerscharen von Architekten hier, den im Hintergrund herumspukenden Barockfassaden etwas Gegenwärtiges, manchmal auch nur Zeitgeistiges entgegenzustellen; etwas, auf das sich Politik und Bürger vielleicht einigen könnten, um die Rufe nach Rekonstruktion abzuwehren. Sie alle scheiterten – sicher auch, weil es keine tragfähige inhaltliche Idee als Grundlage für ihre Entwürfe gab. Ob sich die Reko-Fraktion auch durchgesetzt hätte, wenn es ein Konkurrenzprojekt als Resultat eines „echten“ Architekturwettbewerbs gegeben hätte, ist eine hypothetische Frage, doch bei all den absehbaren funktionalen Zwängen, die das Projekt von Schlüter/Stella mit sich bringt, werden zumindest die Nutzer dieser ausgelassenen Chance vielleicht noch nachtrauern, wenn der Komplex in ein paar Jahren erst in Betrieb gegangen ist. Das Humboldt-Forum als Lehrstück für die Weiterentwicklung von Rathaus- und Marx-Engels-Forum zu nehmen, hieße also, zunächst Grundsätzliches zu klären: Steht das Verhältnis von öffentlichem und privatem Grundbesitz zur Disposition? Wäre eine (Teil-)Bebauung mehrheitsfähig? Welche Elemente der heutigen Struktur könnten als Maßstab für die Weiterentwicklung taugen: außer der Gliederung der Fläche etwa auch das Höhen- und Tiefenprofil des Raums und seiner angrenzenden Bereiche? Wie groß ist der Handlungsbedarf überhaupt – könnte es nicht ratsam sein, auf die absehbare Fertigstellung von Humboldt-Forum und U-Bahn zu warten, um die Wirkung dieser beiden Projekte auf den Freiraum prüfen zu können? Und besteht nicht mit der Verkehrsschneise am Molkenmarkt ein nahe gelegener Bereich mit noch größerem Entwicklungspotenzial, dessen schon lange anvisierte Umgestaltung ebenso auf die Beurteilung des Freiraums einwirkt? Ist hier überhaupt von einem Freiraum zu reden; handelt es sich nicht um zwei Areale? Liegt darin möglicherweise gar ein Schlüssel, um das Gebiet mit Blick auf beide Idealvorstellungen weiterzudenken? Denn so viele Fragen auch noch offen sind – schon heute dürfte klar sein, dass eine Öffnung der Situation ohne Identifikationsangebote in Richtung der Altstadtfreunde wie der Freiraumfans schwierig wird. Das aber könnte, wenn der Gemeinsinn reicht, um von persönlichen Maximalvorstellungen abzusehen, durchaus als Chance für die weitere Entwicklung der Stadtmitte begriffen werden.

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