Bauwelt

Der Inselbaumeister

Text: Knuth, Wolfgang, Morsum

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Die Dünen und der Leuchtturm von Kampen auf Sylt; links im Hintergrund reetgedeckte Ferienhäuser
Daniel Jäger

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Die Dünen und der Leuchtturm von Kampen auf Sylt; links im Hintergrund reetgedeckte Ferienhäuser

Daniel Jäger


Der Inselbaumeister

Text: Knuth, Wolfgang, Morsum

Seit 1981 ist der Autor dieses Beitrags Bauamtsleiter von Westerland auf Sylt und seit 2009 Inselbaumeister. Im November dieses Jahres scheidet er aus dem Amt. Sein Resümee der Entwicklungen in dieser langen Zeit fällt äußerst kritisch aus. Vor allem beklagt er, dass es kein baurechtliches Instrumentarium zur besseren Steuerung der Planungen gibt.
„Herr Knuth, wem gehört Sylt?“ Mit dieser bewusst provokant formulierten Frage hielt mir vor einigen Jahren ein NDR-Reporter einer Radio-Live-Übertragung von der Seepromenade Westerland das Mikrofon unter die Nase. Man sagt mir durchaus eine gewisse Schlagfertigkeit nach. Doch bevor sich diese Gabe des Verstandes in Bewegung setzen konnte, wurde sie von einem Geistesblitz überholt, und der trug die eindringliche Botschaft vor: „Dem, der sie gemacht hat!“ An diesem Morgen erfuhr ganz Norddeutschland aus dem Radio, wem Sylt gehört. Geändert hat das allerdings nichts. In Zeiten der Finanzkrise ist der Ausverkauf der Insel an ortsfremde Investoren noch einmal angekurbelt worden, und die Preise sind ins Astronomische gestiegen. Warum? Aus Investorenkreisen ist zu hören: „In diesen Tagen ist das Kapital besser aufgehoben in einer Immobilie auf Sylt als auf der Bank.“
Insel ohne Insulaner
Als Leiter des Inselbauamtes schaue ich von Zeit zu Zeit ins Baugesetzbuch; gleich bei §1 springen mir dann Sätze ins Auge wie: „Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige Entwicklung (…) und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. Außerdem sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne insbesondere die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung zu berücksichtigen.“ Dann vergewissere ich mich noch einmal und denke: Ja klar, das gilt doch auch für Sylt, oder? Aus dem „oder“ wird dann allerdings schnell ein „aber“: Angesichts der exorbitant gestiegenen Preise bleibt selbst den Einheimischen mit sehr hohem Einkommen, wovon es viel weniger gibt, als es das Image von Sylt suggeriert, die Eigentumsbildung weitgehend versagt. Der SPIEGEL formulierte im August 2010 unter dem Aufmacher „Promi-Hochburg Sylt: Insel ohne Insulaner“ eine ernüchternde Bilanz: „Die Sylter sterben aus, weil sich die Einheimischen die Insel nicht mehr leisten können.“ Nun könnte ich den Faden aufnehmen und in das allgemeine Lamento von der Vertreibung „armer Einheimischer“ durch „böse Reiche“ einstimmen, aber das wäre fachlich nicht sauber. Die Strukturprobleme hochintensiver Fremdenverkehrsgemeinden sind weltweit die gleichen: Das Wohnen der Einheimischen wird durch das touristische Wohnen und das touristische Wohnen durch eigengenutzte Zweitwohnungen verdrängt, die sich ausgerechnet in den Lagen etablieren, die von besonderer Bedeutung für den Tourismus sind. Dieser zweifache Verdrängungsprozess gefährdet die Strukturen des örtlichen Zusammenlebens sowie die gewachsene Infrastruktur und höhlt in einem schleichenden Prozess die Fremdenverkehrsfunktion und damit die wirtschaftliche Existenzgrundlage aus, was schließlich zur Verödung ganzer Ortsteile bzw. Orte führt. In der Schweiz spricht man in diesem Zusammenhang von „kalten Betten“. Verdrängungsprozess? Das ist nicht die ganze Wahrheit! Mir ist kein Fall bekannt – und immerhin verfüge ich als gebürtiger Sylter, der seit über drei Jahrzehnten für das Baugeschehen in Westerland und auf Sylt an entscheidender Stelle mitverantwortlich ist –, wo ein Sylter Eigentümer durch einen „reichen Festländer“ von Haus und Hof getrieben wurde. Also stimmt es doch? Die Sylter sind „geld-geil“, verkaufen ihre Heimat, um irgendwo auf dem „Kontinent“, so nennen wir das Land, das auf der anderen Seite des Hindenburgdamms beginnt, in „Saus und Braus“ zu leben! Schade, auch dieses Klischee kann hier nicht bedient werden.
Der Radius
Das, was ich für mich in Jahrzehnten als „Wahrheit“ herausgearbeitet habe, ist subtiler. Je stärker sich die Wohnungsnot ausbreitet, desto emotionaler und leider auch klischeebeladener werden die Diskussionen, bis hinein in die Lokalpolitik: Ein Nährboden für populistische Parolen! Beim jährlichen Biikefeuer wird die Überfremdung der Insel beklagt, am liebsten unverständlich, aber dafür umso vehementer in der friesischen Heimatsprache, denn ... schließlich hören ja auch Kühe zu, die wir Sylter am nächsten Tag wieder melken wollen. Wenn mal wieder eine solche Diskussion ansteht, stelle ich häufig eine Einstiegsfrage: „Wo in Deutschland zieht ein Kind heute noch in das Haus seiner Eltern ein?“ Im weiteren Gespräch erhalte ich oft Zuspruch, wenn ich darauf hinweise, dass sich der Radius der Menschen in den letzten Jahrzehnten rasant erweitert hat. Was für mich als gebürtigen Rantumer während meiner Jugendzeit das sechs Kilometer entfernte Westerland war, war für unsere Kinder das ca. 250 Kilometer entfernte Hamburg. Nicht nur die Sylter Kinder verlassen ihre Insel, auch aufgrund ihrer Monostruktur, in großer Zahl. Sie studieren oder erlernen anspruchsvolle Berufe und könnten, was viele aber gar nicht wollen, beim besten Willen nicht alle nach Sylt zurückkommen: So viele Intellektuelle können wir hier nicht brauchen! Ein zweiter Gesichtspunkt ist, dass ihre auf Sylt verbliebenen Eltern aufgrund der gesunden Sylter Luft ein hohes Lebensalter erreichen und häufig über 80 Jahre alt werden. Wenn der Erbfall eintritt, sind ihre Kinder selber schon zwischen 50 und 60 und haben sicherlich nicht ihr ganzes bisheriges Leben darauf gewartet, in das Haus der Eltern zu ziehen. Sind sie auf dem Festland geblieben und haben sich dort etabliert, gibt der Erbfall nur sehr selten einen Anstoß, über eine Rückkehr auf die Heimatinsel nachzudenken. Und die auf der Insel Gebliebenen haben inzwischen ihr Nest gefunden. So kommt es immer häufiger vor, dass sich unter den Geschwistern Sylter Eltern niemand findet, in dessen Lebensplanung der Einzug in das elterliche Haus überhaupt passen würde.
Das Luxusproblem
Falls sich aber doch jemand findet, beginnt, je nach Sichtweise, ein „Leiden“ oder ein „Luxusproblem“. Wie soll eines der Geschwisterkinder die anderen auch nur annähernd angemessen auszahlen, wenn die angesichts der entstandenen Immobilienpreise mit in die Höhe geschossene Erbschaftsteuer in der Regel weit über den bis dahin mühsam zusammengebrachten Ersparnissen liegt? Aber: Es ist ja auch wirklich keine Stra-fe, unter diesen Rahmenbedingungen ein Haus auf Sylt zu er-ben! Welche Dramen oder Freudenzeremonien sich in den „betroffenen“ Familien auch immer abspielen mögen, Fakt ist, dass ca. 90 – 95 Prozent der in der Hand von Einheimischen befindlichen Immobilien im Erbfall in die Hand Auswärtiger gelangen. Im Reetdachortsteil meines Heimatdorfs Rantum gab es in den fünfziger Jahren noch ca. 50 einheimische Familien. Die Erwachsenen hießen nicht nur aufgrund verwandtschaftlicher Verhältnisse, sondern wegen der Vertrautheit alle „Onkel“ und „Tante“. Jeder vermietete an Gäste, die meist im nächsten Jahr wiederkamen, wodurch sich nicht selten tiefere Beziehungen ergaben. Auf den Dünen bauten erfolgreiche Unternehmer aus ganz Deutschland ihre Ferienhäuser an ihrem Lieblingsferienort, den sie zu­vor schon vielfach besucht hatten. Mit ihren Kindern spielten wir Fußball. Der Ort wurde von den Einheimischen getragen, die gute Gastgeber waren und ein sehr vertrautes Verhältnis entwickelten zu den fremden Hausbesitzern auf den Dünen, auf deren Besitz sie im Winter aufpassten. Der in nur wenigen Jahrzehnten eingetretene Wandel ist radikal: Aufgrund der oben beschriebenen Prozesse gibt es dort heute keine fünf einheimischen Familien mehr. Der Tourismus wird mehr oder weniger durch einen einzigen Unternehmer betrieben, über dessen Tresen die Schlüssel der Luxus-Ferienwohnungen gehen. Der Ort ist im Sommer überlaufen und im Winter mausetot.
Ein Konzept!
Und wie reagieren die Sylter Kommunen? Wie gehen sie mit dem bereits zitierten Auftrag des Baugesetzbuchs um? Es ist ein ungleicher „Kampf“! Auf der einen Seite „Feierabendpoli-tiker“, die in der Regel mit guten Absichten unterwegs sind. Auf der anderen Seite professionelle Investoren mit hoch bezahlten Beratern. An dieser Schnittstelle entsteht dann schon mal so etwas wie das Millionengrab der „Keitumer Therme“. Hinderlich ist nach wie vor auch, dass sich die Sylter Kommunen bis heute nicht wirksam zusammenschließen, sondern selbst nach der Fusion der Inselmitte immer noch als fünf eigenständige Kommunen häufig nach örtlichen Rezepten kochen. Erst im Jahr 2009 entschloss man sich, nicht ohne den sanften Druck der Landesregierung, ein insulares Entwicklungskonzept aufzustellen. Kernstück ist ein Wohnraumentwicklungskonzept, dass im Grunde 50 Jahre zu spät kommt – aber wer konnte die eingetretene Entwicklung damals voraussehen? Schon Anfang der siebziger Jahre hieß es in einem vom Land gesponserten Sylt-Gutachten: Sylt ist voll, wenn sich 100.000 Menschen gleichzeitig auf der Insel aufhalten! Heute sind es in der Saisonspitze sicherlich mehr als 150.000. Aber wie so oft fehlten die Handlungsanweisungen und, was viel wichtiger ist, die baugesetzlichen Instrumente. In den achtziger Jahren alarmierte die sich verschärfende strukturelle Schieflage der Fremdenverkehrsgemeinden, allen voran der Insel Sylt, sogar die Bundespolitik. Westerland wurde im Zuge der Novellierung des Baurechts vom BBauG zum BauGB eine von fünf Modellgemeinden, die in einem 1986 durchgeführten Planspiel vor dem Bundestagsausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Mängel des alten und die Notwendigkeit eines neuen Baurechts „vorspielten“. Der damalige „Vater“ der Baugesetzgebung, Professor Bielenberg, sah voraus, wohin die Fremdenverkehrsgemeinden steuern, wenn ihnen kein wirksames baurechtliches Instrumentarium zur bauleitplanerischen Steuerung in die Hand gegeben wird. Bei einem seiner zahlreichen Besuche auf Sylt kam ihm zunächst der Gedanke, dass der „Milieuschutz“ des § 172 BauGB (früher § 39h BBauG), mit dem ursprünglich der Verdrängung von Wohnraum aus den Innenstädten entgegengetreten werden sollte, auch auf die vergleichbaren Effekte in Fremdenverkehrsgemeinden Anwendung finden kann. Seitdem ist es durch den Erlass entsprechender Satzungen rechtlich möglich, im Zuge von Abrissen und Umnutzungen von Gebäuden zu fordern, dass mindestens eine Wohnung vorgehalten werden muss, die zum Daueraufenthalt einer Familie geeignet ist. Darüber hinaus wurde der § 22 BauGB (Schutz der Fremdenverkehrsfunktion) geschaffen, mit dem verhindert werden sollte, dass intakte Einfamilienhäuser abgerissen und kleinteilig, mit separaten Grundbuchblättern versehen, als tendenziell eigengenutzte Ferienwohnungen vermarktet werden. In dem darauf folgenden halben Jahr, in dem das zuständige Grundbuchamt auch die legale privatrechtliche Unterlaufung durch Bildung von „Bruchteilseigentum“ verhinderte, geriet die Sylter Vermarktungsmaschine erstmalig seit Jahrzehnten in eine Schockstarre. Aber dieses Hindernis wurde genauso schnell beiseitegehoben, wie sich Schlupflöcher fanden, um die zu Recht geforderten Dauerwohnungen für Einheimische zwar einerseits in den Bauanträgen nachzuweisen, aber andererseits die tatsächliche Belegung mit dauerhaft ansässigen Bewohnern „trickhaft“ zu umgehen.
Die Dauerwohnung
Der Erlass von „§172-Milieuschutzsatzungen“ zugunsten des Schutzes der einheimischen Dauerwohnbevölkerung setzt eine Prägung durch den Fremdenverkehr voraus, während für den Erlass von §22-iger-Satzungen eine Prägung durch den Fremdenverkehr vorliegen muss. Diese von den Fremdenverkehrsgemeinden angestrebte beiderseitige Prägung findet keine Entsprechung in den Gebietskategorien der Baunutzungsverordnung. So wurde, bezogen auf die Bauleitplanung, erstmalig für deutsche Fremdenverkehrsregionen in Westerland der Sondergebietstypus „Dauerwohnen und Touristenbeherbergung“ ins Leben gerufen und in den neunziger Jahren fast flächendeckend auf das gesamte Stadtgebiet angewandt. Mit dem hier beschriebenen Satzungswerk hat Westerland seinerzeit, verglichen mit anderen hochintensiven Fremdenverkehrsorten in Deutschland, sicherlich die kompakteste Umsetzung des einschlägigen Baurechts vorgenommen. Dennoch erhalte ich als Bauamtsleiter Anrufe wie diesen: „Herr Knuth, ich will eine Ferienwohnung in Westerland kaufen und bekomme laufend sogenannte Dauerwohnungen angeboten. Neun von zehn Maklern haben mir allerdings versichert, dass ich diese Auflage nicht ernst nehmen muss. Ist dem wirklich so?“ Erlebnisse wie diese, aber auch eine besondere Begegnung an einem meiner Lieblingsorte auf Sylt, dem Strandlokal „Grande Plage“ in Kampen, haben mir verdeutlicht, woran es auf Sylt im Wesentlichen hapert. Ich kam dort vor einiger Zeit mit einem Ehepaar aus der Schweiz ins Gespräch. Die Frau stellte sich als die Tochter des Stadtdirektors eines bekannten Schweizer Wintersportortes heraus. Schnell war uns klar, dass beide Regionen an den gleichen Strukturproblemen kranken, mit einem großen Unterscheid allerdings: In diesem Schweizer Nobelort gibt es eine große Solidarität, die Einhaltung des zugunsten des Dauerwohnraums der Einheimischen erlassenen Baurechts zu überwachen. Dort sprechen offenbar nicht nur Kommunalpolitiker und Mitarbeiter des örtlichen Bauamtes eine Sprache, sondern alle Beteiligten der Immobilienszene, Makler, Architekten, Banker, Notare, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit – sie alle verfolgen gemeinsam das Ziel der Erhaltung von „gesunden Bevölkerungsstrukturen“! Daran ist auf Sylt nicht im Entferntesten zu denken. Der „Zwang“, unrechtmäßig zu handeln, ist inzwischen so groß geworden, dass jeder, der überleben will, mitmachen oder eben aussteigen muss – so wie ich selbst, als ich nach fünf Jahren in einem Sylter Architekturbüro 1981 Bauamtsleiter von Westerland wurde. Bis dahin habe ich auch Keller und Spitzböden für eine widerrechtliche Wohnnutzung vorbereitet und Kochnischen oder Spitzbodenfenster vor der Schlussabnahme durch entsprechende Verkleidungen „unsichtbar“ gemacht. Wenn unser Büro das nicht mitgemacht hätte, wären andere an seine Stelle getreten. Kurz nach meinem Dienstantritt habe ich beim Besuch einer Handwerkerinnung, die den neuen Stadtbaumeister kennenlernen wollte, noch etwas vollmundig gesagt: „Ich werde dafür eintreten, dass die Stadtentwicklung von Westerland nicht länger den Maklern überlassen bleibt!“ Da wusste ich noch nicht, dass man als Inhaber eines öffentlichen Amts immer und überall mit Presse rechnen muss. Dieser Satz fand über die „Sylter Rundschau“ schnell den Weg in den deutschen Blätterwald. Meinem damaligen Chef, Bürgermeister Hoppe, brachte das einen erbosten An­ruf aus der bundesdeutschen Zentrale des Rings deutscher Makler (RDM) ein. Das von uns angebotene Podiumsgespräch, bei dem wir unter anderem thematisieren wollten, mit welcher Berechtigung Käufer für nicht zum Daueraufenthalt bestimmte Kellerflächen annähernd gleiche Quadratmeter-Preise zahlen wie für „legale Wohnflächen“ und diesbezüg­liche Fragen der Kundschaft offenbar elegant umgangen werden, fand allerdings bis heute nicht statt. Die Sylter Immobilien sind heute durchsetzt von baurechtlichem Unrecht und die handelnden Akteure von fehlendem Unrechtsbewusstsein. Das soll jetzt nicht überheblich klingen und schon gar nicht menschlich abwertend. Ich wäre in den gleichen Zwängen verblieben, wenn sich mir damals nicht die Chance eröffnet hätte, mit meinem inzwischen ausgeprägten Röntgenblick für derartiges Unrecht auf die andere Seite zu wechseln. Dort gehöre ich als ehemaliger „68er“ auch hin, der danach zum Glauben an den kam, der alles gemacht und doch wohl ziemlich anders gedacht hat – auch und gerade, was Sylt angeht!
Quo vadis Sylt?
Das bundesdeutsche Baurecht mit seinen erwähnten Passagen einer „dem Wohl der Allgemeinheit dienenden sozialgerechten Bodennutzung“ und der besonderen Erwähnung der „Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und der Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung“ klingt für den Sylt-Kenner wie eine besonders pointierte Spitze unseres Karikaturisten Manfred Degen. Auf Sylt regelt die Marktwirtschaft eine ganze Menge, definitiv aber nicht den Wohnungsmarkt für Einheimische! Ein gerade durch ein Berliner Fachinstitut erarbeitetes Wohnungsmarktkonzept zeigt auf, dass die Insel bis 2025 unglaubliche 2850 neue Wohnungen benötigen wür-de, um die bevölkerungsmäßige Erosion aufzuhalten. Damit würden aber lediglich der heute schon als äußerst angespannt wahrgenommene Status quo erhalten und die hier besonders hohen Verluste aus dem demographischen Wandel ausgeglichen werden. Der sogenannte freie Markt leistet, angesichts der unverhältnismäßig höheren Renditen einer Vermarktung als touristische oder eigengenutzte Zweitwohnung, bezogen auf die Schaffung von neuem Dauerwohnraum so gut wie gar nichts! Es kommt also in dieser Frage nahezu ausschließlich auf den Staat bzw. hier auf die Sylter Kommunen an. Ich nenne die diesbezüglichen Anstrengungen der Sylter Kommunen von daher die „Teil-Wiedereinführung des Kommunismus“, eigentlich müsste es ja eher „Kommunalismus“ heißen – und das ausgerechnet auf Sylt! Ich gebrauche diese Ausdrucksweisen, um mich über die Erkenntnis hinwegzutrösten, dass mein, zugegeben von vornherein idealistisch angehauchtes Lebenswerk, „Sylt zu retten“, von den ortsüblichen Sturmfluten nahezu hinweggerafft und der Rest von Wanderdünen bedroht ist. Ich hätte das schon vor Jahren begreifen können, als meine damals 15-jährige Tochter bei einer dieser für Familien von Bauamtsleitern typischen häuslichen „Fachdiskussionen“ mit mitleidigem, aber klarem Blick zu mir sagte: „Papa, ich sehe dich vor einer Bücherwand stehen, und du versuchst zu verhindern, dass oben rechts die Bücher rausfallen. Aber während du das erfolgreich verhinderst, purzeln sie unten links heraus.“ Ich selbst wohne übrigens immer noch zur Miete, in einem historischen Friesenhaus in Morsum. Vor einigen Jahren telefonierte ein früherer Bürgermeister von Sylt-Ost der Reihe nach Grundstücksbesitzer ab, ob sie nicht ihre unbebauten Grundstücke für Wohnungsbau zur Verfügung stellen wollten. Mein Vermieter meldete ihm nach nur kurzer Bedenkzeit zurück: „Der Familienrat hat beschlossen, die Wiese bleibt unbebaut!“ Was er dabei wohl noch nicht einmal in den Fokus stellte, war die Tatsache, dass er damit auch eines der letzten uthlandfriesischen Ensembles gerettet hatte, wo das historische Ringdorf Morsum noch gut ablesbar ist. Er und seine Familie haben sich einfach verweigert, auch wenn sicherlich ein erheblicher Geldbetrag im Raum stand.
Neue Gesetze
Neulich, am Rande einer Sitzung in Kampen, machten der clever-sympathische Kern der Kommunalpolitiker um Bürgermeisterin Steffi Böhm unisono deutlich: „Wir sind die letzte einheimische Generation dieses Dorfes!“ Und genau aus diesem Grund haben zwei meiner Freunde und ich auch einen kühnen Plan gefasst. Wir kreieren ein neues Sylt! Südwestlich von Amrum, dort, wo das Wrack der versunkenen „Pallas“ immer noch eine Sandbank ziert, haben wir bereits mit den Aufspülarbeiten begonnen und ... dieses Mal wollen wir alles richtig machen! Aber zum Abschluss noch einmal im Ernst: Die Baugesetz-Novellierung der achtziger Jahre reagierte auf den Notstand der Fremdenverkehrsgemeinden und wollte sie in den Stand versetzen, ihre Planungshoheit zugunsten einer „gesunden Entwicklung“ der drei Wohnarten „Dauerwohnen, touristisches Wohnen und eigengenutztes Zweitwohnen“ einzusetzen. Zur selben Zeit überfiel ein Bottroper Spekulant die Stadt Westerland und erwarb auf Basis, wie sich später herausstellte, betrügerisch überzogener Verkehrsermittlungen in drei Jahren etwa 300 Objekte, um sie, kleinteilig umgewandelt, touristisch zu vermarkten. Böse Zungen behaupten, dass die Sylter Hauseigentümer ihm förmlich hinterhergelaufen seien! Bei seinem Antrittsbesuch im Bauamt verkündete er mir seine Pläne für Westerland: „Ich habe hier einiges vor, und wenn Sie mich daran hindern wollen, werde ich die Stadt mit Prozessen überziehen!“ So kam es dann auch! Es gab viele kleinere recht-liche Scharmützel, aber im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand ein Normenkontrollverfahren, mit Hilfe dessen er die von uns eingesetzten bauleitplanerischen Instrumentarien der rechtlichen Überprüfung des zuständigen Oberverwaltungsgerichtes zuführte. Die Kernfrage des Ganzen, ob die diesbezügliche Ausübung der Planungshoheit noch „verfassungskonform“ oder schon „enteignungsgleich“ sei, landete sogar vor dem Bundesverwaltungsgericht. Nur eben mit dem Ergebnis, dass die Gemeinde alle Prozesse gewann! In den folgenden Jahren zeigte sich allerdings dennoch, wie durchlässig das Baurecht für legale und illegale Unterlaufungen ist. Professor Wickel von der HafenCity Universität Hamburg bringt es in einem kürzlich von den Inselgemeinden in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten auf den Punkt, wenn er sinngemäß aufzeigt, dass das Baurecht den Fremdenverkehrsgemeinden zwar wohlgesinnt ist, die rechtlich-handwerkliche Umsetzung der zur Verfügung gestellten Instrumentarien aber Lücken belässt, durch die zu leicht hindurchgeschlüpft werden kann. Die Gesetzgebung weist den Mangel auf, dass die drei beschriebenen Wohnarten bauleitplanerisch nicht messerscharf genug an-gesprochen werden können. Die Fremdenverkehrsgemeinden können in ihren Bauleitplänen eben nicht direkt und rechtlich zweifelsfrei bestimmen, wo welche Wohnart in welchem Umfang stattfinden darf und wo eben nicht. Und wo die Gesetzgebung nicht eindeutig ist, treibt die Rechtsprechung Blüten. Trotz größten Bemühens gelingt es nicht einmal, aus der Rechtsprechung eine eindeutige Definition der drei für Fremdenverkehrsgemeinden charakteristischen Wohnarten abzuleiten. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht dringend erforderlich, dass sich der Gesetzgeber erneut mit der Situation der Fremdenverkehrsgemeinden befasst.

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