„Die Mütter waren einverstanden“
Interview mit Stefan Gubelt
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
„Die Mütter waren einverstanden“
Interview mit Stefan Gubelt
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Die furchtbaren Bilder bleiben in Erinnerung. Am 1. September 2004 überfielen Terroristen bei der Einschulungsfeier eine Schule in Beslan in der russischen Teilrepublik Nordossetien-Alanien. Bei der Geiselnahme kamen 331 Personen ums Leben, darunter viele Kinder. Die von der Dr. Krekeler Generalplaner GmbH aus Brandenburg an der Havel geplante Gedenkstätte ist jetzt fertig. Wie kam es zu diesem Auftrag? Wir haben mit dem Projektleiter gesprochen.
Wann hatte sich die Republik Nordossetien-Alanien für ein Memorial des Geiseldramas von Beslan entschieden?
Stefan Gubelt | Wir vermuten, dass bald nach dem Anschlag Stimmen laut wurden, an diesem Ort eine Gedenkstätte zu errichten. Während unserer Bearbeitung erfuhren wir, dass bereits vor uns mehrere Architekturbüros Entwürfe vorgelegt hatten. Eine Firma, die vor Ort die Bestandsaufnahme durchführte, empfahl uns. Mein Kollege Björn Fiege, der für das Projektmanagement verantwortlich war, führte 2010 erste Gespräche und unternahm eine Reise nach Beslan.
Hatte man von Anfang an die Intention, einen großen Neubau zu planen, der die Ruine der Sporthalle einhaust?
Wir hatten keinerlei Vorgaben. Der Weg zur endgültigen Entwurfsidee führte über mehrere Phasen. Wir näherten uns der Aufgabe über einen bürointernen „Stehgreifentwurf“. Am Ende entschieden wir uns für die stark beschädigte ehemalige Sporthalle als zentralen Gedenkort, den es zu schützen galt. Wichtig war, dass der Entwurf vor dem sogenannten „Opfermütterkomitee“ bestehen musste.
Sie haben Ihren Entwurf dem Komitee vorgestellt?
Ja, wir präsentierten im April 2011 unseren Entwurf im Rathaus von Beslan. Anfangs war die Stimmung sehr verhalten. Zuvor hatten wir erfahren, dass das Komitee den Zustand des Gebäudes, wie er sich direkt nach dem Terroranschlag darstellte, „einfrieren“ wollte, doch war dieser aufgrund des Verfalls bzw. aufgrund von Sicherungsmaßnahmen am Gebäude nicht mehr überall vorhanden. Für uns war klar, dass wir keine Kulisse errichten wollten. Der von Spuren des Terrors gezeichnete Bestand spricht für sich und sollte durch den Neubau einen würdevollen Rahmen erhalten. Am Ende überwältigte uns die große Zustimmung.
Hatten Sie ein bestimmtes Budget zur Verfügung?
Nein, zu keiner Zeit wurde uns seitens der Regierung von Nordossetien-Alanien ein Kostenrahmen vorgegeben.
Warum entschieden Sie sich für diese Gebäudehülle?
Wie schon erwähnt, sah das Entwurfskonzept vor, die ehemalige Sporthalle durch eine elliptisch geformte Gebäudehülle zu schützen. Warum elliptisch? Auf dem für die Terroropfer angelegten Friedhof in Beslan sahen wir vor allem elliptisch geformte Trauerkränze. Das hat mich inspiriert. So gestaltete ich die Form des Neubaus sozusagen als „architektonischen Trauerkranz“. Zwischen elliptischer Gebäudehülle und rechteckiger Sporthalle ergab sich ein fast sakral anmutender Umgang.
Werden die Gebäude wieder als Schule genutzt?
Nein. Sie stehen leer. Nach dem Anschlag wurde in der Nähe ein neuer Schulkomplex errichtet, den wir auch besichtigten. Zudem hatten wir bewegende Begegnungen mit Lehrern, die zum Teil selbst Geiseln gewesen sind.
Was passiert mit den Gebäuden der alten Schule?
Wenn es gewünscht wird, könnte man die Gedenkstätte erweitern. Unser Konzept sieht mehrere Realisierungsphasen vor, da wir bezüglich des Gesamtkomplexes keine klar umrissene Aufgabenstellung erhielten.
Gab es einen russischen Kontaktarchitekten?
Nein. Ein russischstämmiger Berliner Architekt, Miroslav Kulko, begleitete uns auf unseren Reisen als Übersetzer.
Es war gut, jemanden zu haben, der, von der Sprache einmal abgesehen, mit der dortigen Mentalität vertraut ist.
Es war gut, jemanden zu haben, der, von der Sprache einmal abgesehen, mit der dortigen Mentalität vertraut ist.
War es Ihre Idee, bei der Fassade mit Kupfer zu arbeiten?
In Materialfragen agiert man in Deutschland meist zurückhaltend, z.B. arbeitet man viel mit Corten-Stahl. Als ästhetisches Konzept würde meiner Ansicht nach vorgerosteter Stahl dort auf Unverständnis stoßen. Es musste ein würdevoll anmutendes Material – etwas Hochwertiges – sein. Auch aus der Region bekannter spätbronzezeitlicher Schmuck spielte eine Rolle bei der Entscheidung für das Material. Letztendlich entschied ich mich für eine goldfarbene Kupferlegierung.
Besonders interessant ist die Perforation. Dort sind florale Elemente zu sehen. Können Sie das erläutern?
Die Fassade sollte offen und lichtdurchlässig wirken. Zunächst dachte ich an ein gleichmäßig perforiertes Lochblech. Dem Entwurfsgedanken des Trauerkranzes folgend entwickelte sich jedoch die Idee eines floralen Motivs. Nach intensiver Suche wählte ich die im Kaukasus beheimatate Christrose, Helleborus orientalis. Sie steht für Unschuld und Unberührtheit – was als Sinnbild vor allem für die toten Kinder von Beslan zu verstehen ist. Das Blütenmotiv sollte sich gleichmäßig über die gesamte Fassadenhöhe erstrecken. Durch fünf unterschiedliche Lochgrößen wurde die naturalistische Konturierung der Blüte verfremdet und eine plakative Wirkung vermieden. Erst aus der Ferne erschließt sich dem Betracher das Blütenmotiv. Bei Tag zeigt sich die Fassade opak. Zwar sieht man das Motiv, aber wenn man durch den an mehreren Stellen durch- brochenen metallenen „Vorhang“ tritt, mutet dieser von innen transluzent an. Obwohl man innen dicht vor dem Blütenmotiv steht, entfaltet es sich prachtvoll. Die gebäudehohen, ein Meter breiten Blechrahmen wurden von KME produziert und von der Berliner Firma Karl Dieringer bearbeitet.
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