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Dresdner Milliardenpoker

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

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Dresdner Milliardenpoker

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Es begann mit Mieterbeschwerden über schimmlige Wohnungen und saftige Miet-Erhöhungen. Jetzt hat die Stadt Dresden die Immobiliengesellschaft Gagfah auf Strafzahlungen in Höhe von rund einer Milliarde Euro verklagt. Die Gagfah soll gegen die Sozialcharta verstoßen haben, die man im Zuge des Verkaufs von 48.000 städtischen Wohnungen vor fünf Jahren ausgehandelt hatte. Wurde in Dresden kommunales Verantwortungsbewusstsein wiederentdeckt?
Die Stadt Dresden sorgte 2006 deutschlandweit für Schlagzeilen, als sie die Immobiliengesellschaft Woba mit allen 48.000 städtischen Wohnungen an den US-amerikanischen Finanzinvestor Fortress verkaufte – und nach dem spektakulären 1,7-Milliarden-Euro-Deal als erste deutsche Großstadt auf einen Schlag schuldenfrei war. Der Käufer gliederte die Woba in die Immobiliengesellschaft Gagfah ein, die er bereits zwei Jahre zuvor von der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erworben hatte. Jetzt hat die Stadt die Gagfah auf eine milliardenschwere Strafzahlung verklagt. Was ist geschehen?
Privatisierungseuphorie
Die Befürworter des Verkaufs im Stadtrat – zu denen neben CDU und FDP damals auch Teile der Linken gehörten – hatten große Erwartungen: Sie erhofften sich die nachhaltige Sanierung der Dresdner Finanzen, eine bessere Bewirtschaftung der Wohnungen, die Aktivierung privaten Kapitals für die Stadtentwicklung. Auch in sozialer Hinsicht galt der Verkauf durchaus als vorbildlich, denn die Stadt hatte umfangreiche Pflichten für Fortress ausgehandelt, die sogenannte „Dresdner Sozialcharta“. Diese sieht u.a. Beschränkungen bei Mieterhöhungen für einen Zeitraum von fünf Jahren vor, ein lebenslanges Wohnrecht für über-60-jährige Mieter und Schwerbehinderte, außerdem verpflichtete sich Fortress mindestens 35.000 Wohnungen zehn Jahre lang im Bestand der Woba zu halten und bei einem Weiterverkauf von Anteilen oder Wohnungsbeständen mit dem Käufer die Einhaltung der Sozialcharta vertraglich zu sichern.
Renditedruck
Doch die Nachteile des Verkaufs, vor denen Kritiker von Anfang an gewarnt hatten, offenbarten sich umgehend. Sie liegen weitgehend im Geschäftsmodell des Finanzinvestors begründet. Fortress hatte den Kauf der Woba zu großen Teilen über Kredite finanziert, mit denen das Unternehmen anschließend belastet wurde. Zudem mussten nun satte Dividende an die Aktionäre abgeführt werden. Die Woba, inzwischen Teil der Gagfah, wurde finanziell regelrecht ausgepresst. Das blieb nicht ohne Folgen für die Mieter. Die Gagfah sparte am Service und an der Instandhaltung. Hausmeisterdienste wurden wegrationalisiert, Kundencenter geschlossen. Bald gab es Klagen über verwahrloste Gebäude: Schimmel in den Wohnungen, verdreckte Hausflure, marode Aufzüge, kaputte Eingangstüren, defekte Heizkörper, mangelhafter Winterdienst. Gleichzeitig kam es zu deutlichen Miet­-Erhöhungen; das gesetzlich zulässige Höchstmaß von 20 Prozent in drei Jahren wurde voll ausgeschöpft. Unter dem Begriff „flatrent“ bot die Gagfah ihren Mietern darüber hinaus eine freiwillige Mieterhöhung an. Wer diese Option wählte, sollte dann zwei Jahre lang vor weiteren Erhöhungen verschont bleiben. Zum Teil wurden damit die Obergrenzen des Mietspiegels überschritten.
Enttäuschte Hoffnungen
Fanden in guten innerstädtischen Lagen durchaus aufwendige Sanierungen an Gagfah-Häusern statt – hier sind naturgemäß die Chancen für einen anschließenden Weiterverkauf am größten – häuften sich Klagen über Vernachlässigung von Gebäuden ausgerechnet in ohnehin benachteiligten Stadtteilen wie Prohlis, Tolkewitz oder Gorbitz. Wer in diesen Gegenden auf Investitionen durch privates Kapital gehofft hatte, sah sich enttäuscht; vielmehr war hier offensichtlich ein Prozess in Gang gekommen, der der Segregation in der Stadt weiter Vorschub zu leisten drohte. Weitgehend Fehlanzeige auch beim Thema energetische Sanierung: Viele Gagfah-Häuser sind ungedämmte Plattenbauten, die enorme Mengen Heizenergie verbrauchen und schon allein aus ökologischen Gründen dringend modernisiert werden müssten. Doch die Immobiliengesellschaft ist dazu nur in Einzelfällen bereit.
„Öffentliches Blutbad“
Die Geschäftspolitik der Gagfah führte immer wieder zu Konflikten mit der Stadtverwaltung. Am 24. März dieses Jahres beschloss der Stadtrat mit großer Mehrheit, die Gagfah auf eine Vertragsstrafe von 1,06 Milliarden Euro zu verklagen, am 31. März wurde die Klage beim Landgericht Dresden eingereicht. Dem Immobilienkonzern wird vorgeworfen, gegen die Sozialcharta verstoßen zu haben. Konkret geht es darum, dass die Gagfah bei Weiterverkäufen in vielen Fällen die Verpflichtung auf die Sozialcharta inklusive der vertraglich vereinbarten Strafen nicht an die neuen Eigentümer weitergegeben haben soll. Die Gagfah weist die Vorwürfe zurück. Der ehemalige Fortress-Deutschland-Chef Matthias Moser, der 2006 den Verkauf eingefädelt hatte, warnte in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung angesichts des drohenden Prozesses vor einem „zehnjährigen öffentlichen Blutbad“. Gagfah-Aktien verloren an den Börsen rund 30 Prozent an Wert. Besonders pikant in diesem Zusammenhang: Gagfah-Vorstandschef William Brennan verkaufte kurz vor Bekanntwerden der Klageabsicht Gagfah-Aktien im Wert von 4,7 Millionen Euro. Die Finanzaufsichtsbehörde BaFin ermittelt wegen des Verdachts des Insiderhandels.
Zurück auf Los?
In Dresden hat inzwischen eine Debatte über die Gründung einer neuen städtischen Wohnungsgesellschaft begonnen. SPD, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen haben sich für eine solche Neugründung ausgesprochen. Im Falle einer rot-rot-grünen Mehrheit nach der Kommunalwahl 2014 möchte man das Vorhaben umsetzen. Ausreichend Geld dazu wäre vorhanden, wenn die Stadt mit der Klage gegen die Gagfah erfolgreich ist. Und für den Fall, dass die Immobiliengesellschaft über die Strafzahlungen Pleite ginge, könnte man die Wohnungen sogar kostengünstig aus der Insolvenzmasse übernehmen.

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