EFH? Ja, aber richtig!
Vor 50 Jahren begann Roland Rainer, einer der bedeutendsten Nachkriegsarchitekten Österreichs, mit dem Bau der Gartenstadt Puchenau bei Linz. Nach 35 Jahren endgültig fertiggestellt, wäre sie ein bis heute gültiges Modell für eine nachhaltige Besiedlung des Stadtumlands. Doch dafür bräuchte es eine andere Siedlungspolitik
Text: Seiß, Reinhard, Wien
EFH? Ja, aber richtig!
Vor 50 Jahren begann Roland Rainer, einer der bedeutendsten Nachkriegsarchitekten Österreichs, mit dem Bau der Gartenstadt Puchenau bei Linz. Nach 35 Jahren endgültig fertiggestellt, wäre sie ein bis heute gültiges Modell für eine nachhaltige Besiedlung des Stadtumlands. Doch dafür bräuchte es eine andere Siedlungspolitik
Text: Seiß, Reinhard, Wien
Die Beiträge Österreichs zur Innovation des europäischen Wohn- und Städtebaus sind seit Ende des „Roten Wien“ 1934 rar geworden. Zwar kann die heimische Architektur-Avantgarde seit den achtziger Jahren immer wieder mit formalen Extravaganzen im sozialen Wohnbau Aufsehen erregen, substanzielle Antworten auf die gesellschaftlichen und urbanistischen Fragen unserer Zeit gibt sie in der Regel aber nicht. Im Gegenteil: Mancher Massenwohnbau aus der Hand von Star-Architekten ist mit ein Grund dafür, dass rund 80 Prozent der Österreicher das freistehende Einfamilienhaus als ideale Wohnform ansehen. Allein, als Massenmodell ist diese Typologie angesichts ihres Bodenverbrauchs, ihrer Autoabhängigkeit, ihrer schwindenden Leistbarkeit sowie ihrer öffentlichen Folgekosten längst nicht mehr zu verantworten. Bezeichnend ist, dass die nach wie vor überzeugendste Alternative für suburbanes oder ländliches Wohnen vom schon vor elf Jahren verstorbenen Architekten und Stadtplaner Roland Rainer stammt und bereits vor 50 Jahren als europaweit beachteter Prototyp realisiert wurde: die Gartenstadt Puchenau.
Schon während seines Studiums in den frühen dreißiger Jahren beschäftigte sich Rainer mit Verbesserungsmöglichkeiten im sozialen Wohnbau. Anfang der fünfziger Jahre, also noch lange vor jeder Umweltbewegung, baute er in Mannersdorf, Niederösterreich, eine Ökosiedlung, wobei seine besondere Hinwendung den Gärten galt. Selbst etwas pflanzen zu können, es gedeihen zu sehen und daran den Wechsel der Jahreszeiten mitzuerleben, war für ihn essenziell für die Entwicklung vor allem junger Menschen. In Wien entstanden zur selben Zeit eine frühe Fertighausanlage als Modell für kostengünstiges Bauen sowie in den frühen sechziger Jahren Rainers erste verdichtete Flachbausiedlung mit 60 fußläufig erschlossenen Reihenhäusern auf bis zu 200 Quadratmeter kleinen Parzellen – also einem Fünftel der ansonsten üblichen Grundstücksfläche hiesiger Einfamilienhäuser.
Das 27 Hektar große Areal in Puchenau, einem Vorort der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, erlaubte ihm schließlich, all diese Ansätze in einem Projekt von der Dimension eines ganzen Stadtteils zusammenzuführen: boden- und energiesparender Städtebau, leistbares weil vorfabriziertes Bauen sowie ein Wohnen mit der Natur und frei von Autos. So war es beispielsweise ganz im Sinne Rainers, dass der unmittelbar an der Donau gelegene Standort durch eine vorbeiführende Regionalbahn vom öffentlichen Verkehr erschlossen und nicht gänzlich vom Autoverkehr abhängig ist. Innerhalb von nur zwei Jahren entstand ab 1965 die – klassisch modern gestaltete – GartenstadtI mit 245 Wohneinheiten. Dreigeschossige Mietwohnbauten schirmen seither mit ihren Nebenräumen die Siedlung gen Norden vor dem Lärm der Bahn und der parallel verlaufenden Bundesstraße ab. Südseitig verfügen sie über großzügige Terrassen, Loggien und Balkone sowie gemeinschaftliche Grünflächen. Daran anschließend folgen auf Parzellen von 105 bis 270 Quadratmetern zweigeschossige Reihenhäuser und – ihnen vorgelagert – ebenfalls aneinandergebaute Bungalows, alle ganz schlicht und weiß, mit Flachdächern und kleinen Gärten.
Offenbar reichen Gärten zwischen 50 und 150 Quadratmeter Größe völlig aus, damit Menschen ihren Grün- und Erholungsbedarf stillen und ihren Gestaltungswillen ausleben können: Von der wildromantischen Blumenwiese mit Biotop und Hängematte über den Nutzgarten mit Obstbäumen und Gemüsebeeten bis hin zur akkuraten japanischen Gartenkunst findet sich in Puchenau so ziemlich alles – selbst das Modell Zierrasen mit Thujen und Swimmingpool ist vertreten. Auch die Erschließung der GartenstadtI beschränkt sich auf geringstmöglichen Flächenverbrauch, zumal sie ausschließlich durch schmale, beidseitig begrünte Fußwege erfolgt. Die Autos sind in Sammelgaragen am Rand der Siedlung untergebracht. Damit die Bewohner dennoch wettergeschützt zu ihren Häusern gelangen, hat Roland Rainer einen Teil des Wegenetzes mit Flugdächern ausgestattet.
Charakteristisch für die ebenerdigen Häuser ist ihre konsequente Ausrichtung auf die innenliegenden Gartenhöfe. Um trotz der dichten Bebauung ein Höchstmaß an Ruhe und Privatheit zu gewährleisten, sah Roland Rainer an den außenliegenden Fassaden so gut wie keine Fenster vor – und schützte die Gärten, so sie nicht ohnehin vollständig von Hausmauern umgeben waren, durch 1,80 Meter hohe Gartenmauern vor störenden Blicken und Lärm. Im Inneren dagegen herrscht weitestgehende Offenheit: Alle Räume sind mit großen Fenstern zum Grün hin orientiert und erhalten Sonnenlicht aus Süden und zum Teil auch aus Osten und Westen. Rainer betrachtete den Garten als Erweiterung der Wohnung und sorgte mit seiner Architektur für einen fließenden Übergang zwischen Innen- und privatem Außenraum. Die Wohnzimmer etwa stattete er über die gesamte Breite mit beinahe raumhohen Glaselementen aus, für die er bewusst keine Vorhänge vorsah, um den Bezug zum Grün nicht einzuschränken.
So zufrieden die Bewohner der Gartenstadt waren und sind – die Bevölkerung der Umgebung kam anfangs nur schwer damit zurecht. Im Oberösterreich der sechziger Jahre bedeuteten fensterlose Häuser ohne Satteldach, umfriedet von mannshohen Mauern aus Sichtbeton geradezu einen Kulturschock. Zumal die Siedlung in den ersten Jahren auch noch nicht von üppigem Grün eingewachsen war, trug Puchenau I bald den Beinamen „Rainer-KZ“. Bezeichnend für diese Meinungsbildung ist, dass es – wie in vielen Fällen laienhafter oder auch professioneller Architekturkritik – ohne Kenntnis des Urteils der Nutzer formuliert wurde. Diese gaben dem Rainer’schen Konzept recht, indem sie etliche Gartenmauern durch Holzlatten oder Blumentröge sogar noch erhöhten, um die Intimität ihrer Höfe zu verstärken.
Der Erfolg des Siedlungsmodells zeigte sich auch an der weiteren Nachfrage nach Wohnungen in Puchenau. Von 1978 bis 2000 entstand in mehreren Etappen der zweite Bauabschnitt mit insgesamt 750 Wohnungen, wobei Rainer stets bemüht war, aus Gesprächen mit den Bewohnern Erfahrungswerte zu gewinnen und für die Planung zu nutzen. So unterscheidet sich die GartenstadtII von der GartenstadtI vor allem durch eine weniger
lineare Wegeführung und einen großzügigeren öffentlichen Raum. Neben kleineren Plätzen und Grünflächen gibt es hier auch einen großen Park in der Mitte sowie eine zentrale Promenade, die durch die gesamte Siedlung mäandriert. Sie dient nicht nur Einsatzfahrzeugen und der Müllabfuhr, sondern wird auch für gemeinsame Straßenfeste, zum Radfahren oder Spielen genutzt: Wie in der gesamten Gartenstadt können sich die Kinder hier gefahrlos und unbeaufsichtigt bewegen.
lineare Wegeführung und einen großzügigeren öffentlichen Raum. Neben kleineren Plätzen und Grünflächen gibt es hier auch einen großen Park in der Mitte sowie eine zentrale Promenade, die durch die gesamte Siedlung mäandriert. Sie dient nicht nur Einsatzfahrzeugen und der Müllabfuhr, sondern wird auch für gemeinsame Straßenfeste, zum Radfahren oder Spielen genutzt: Wie in der gesamten Gartenstadt können sich die Kinder hier gefahrlos und unbeaufsichtigt bewegen.
Auch die ökonomischen, technischen und baurechtlichen Veränderungen seit den sechziger Jahren sind im jüngeren Teil ablesbar: Die Randbebauung im Norden ist hier bis zu fünf Stockwerke hoch und nimmt in den Untergeschossen die Bewohnerparkplätze auf. Viele der Reihenhäuser wieder-um zeigen Solaranlagen auf den Dächern. Das Grundprinzip der Gartenstadt blieb aber über vier Jahrzehnte hinweg unverändert. Die städtebauliche Einheitlichkeit sagt freilich nichts über die Individualität des Wohnens in Puchenau aus: An die 30 verschiedene Haus- und Wohnungstypen mit Wohnflächen zwischen 53 und 130 Quadratmetern finden sich. Und da die Wohnungen im Inneren frei sind von tragenden Wänden, ermöglichen sie ihren Eigentümern oder Mietern weitestgehende Flexibilität in der Grundrissgestaltung.
Schon von Anfang an ergänzte Roland Rainer die Wohnbebauung sukzessive durch andere Einrichtungen wie einen Kindergarten, eine Schule und eine Kirche mit Pfarrzentrum, die ein bis heute lebendiges Stadtteilzentrum bilden. Auch Geschäfte, Arztpraxen und eine Apotheke, ein Feuerwehrhaus und andere Funktionen machen Rainers Puchenau zu mehr als nur einer Schlafstadt. Allein die von ihm angestrebten Arbeitsplätze gelang es bisher nicht hier anzusiedeln. Immer wieder ließ der Architekt seine Gartenstadt auch wissenschaftlich analysieren, sie auf ihre Wohnqualität und Wirtschaftlichkeit hin überprüfen und mit anderen Siedlungsformen vergleichen. Dabei zeigte sich, dass sich die Baukosten selbst bei den ebenerdigen Bungalows im Rahmen des herkömmlichen Geschosswohnungsbaus bewegten – Rainer durchdachte seine Bauten bis ins kleinste Detail auf Einsparungsmöglichkeiten hin.
Volkswirtschaftlich betrachtet, schnitt die Gartenstadt noch überzeugender ab. Der Vergleich mit einer nördlich angrenzenden Einfamilienhaussiedlung ergab, dass die Parzellen dort mehr als fünf Mal so groß sind wie in PuchenauII. Dementsprechend beliefen sich die Kosten für die Straßenerschließung im Einfamilienhausgebiet auf das Dreieinhalbfache der Gartenstadt. Ähnliches galt für die Versorgung mit Wasser, Gas, Strom und Kanalisation. Die Studien attestierten den Menschen in der Gartenstadt auch eine signifikant geringere Freizeitmobilität. In einem zu Vergleichszwecken herangezogenen Hochhaus in Linz verbrachten die Bewohner damals ihre Wochenenden nur zu 23 Prozent daheim. Dagegen blieben die Bewohner der Bungalows in Puchenau an Wochenenden zu 73 Prozent zu Hause – und stiegen nicht ins Auto, um die Siedlung zu verlassen.
Demnach hätte Roland Rainers Konzept eigentlich ein massenhaft angewandtes Erfolgsmodell werden müssen, zumal es seinen verdichteten Flachbau bereits ebenso lange gibt wie die allseits beklagte Verhüttelung durch freistehende Einfamilienhäuser. Doch konnte Rainer keine einzige weitere Gartenstadt mehr realisieren, lediglich einige deutlich kleinere Flachbausiedlungen: etwa in Wien in der Tamariskengasse und in Essling, in Linz in der Leonfeldner Straße und in Auwiesen sowie eine in St. Pölten. Und auch andere österreichische Architekten, die Ähnliches schufen, lassen sich an einer Hand abzählen. Es zeugt von einer gehörigen Verantwortungslosigkeit der Raumordnungs- und Wohnbaupolitik, die Siedlungsentwicklung so weiterlaufen zu lassen wie bisher und Rainers Alternativmodell nicht schon längst aufgegriffen zu haben.
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