Bauwelt

Eine Zukunft für Sigmund Jähn

Die Stadt Halle (Saale) möchte einen ehemaligen Gasometer zum Planetarium umbauen. Das alte Planetarium auf der Peißnitz-Insel von 1978 scheint sie dafür opfern zu wollen. Eine Geschichte über Fluthilfe-Gelder, Denkmalpotenziale und den ewig aktuellen Gründerzeit-gegen-DDR-Moderne-Konflikt

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Das Planetarium „Sigmund Jähn“ in Halle (Saale), aufgenommen 2014
Foto: Knut Mueller

  • Social Media Items Social Media Items
Das Planetarium „Sigmund Jähn“ in Halle (Saale), aufgenommen 2014

Foto: Knut Mueller


Eine Zukunft für Sigmund Jähn

Die Stadt Halle (Saale) möchte einen ehemaligen Gasometer zum Planetarium umbauen. Das alte Planetarium auf der Peißnitz-Insel von 1978 scheint sie dafür opfern zu wollen. Eine Geschichte über Fluthilfe-Gelder, Denkmalpotenziale und den ewig aktuellen Gründerzeit-gegen-DDR-Moderne-Konflikt

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Für’s Stadtmarketing zählt nicht zuletzt auch das Baukultur-Image einer Stadt. Was das betrifft geht es in Halle (Saale) seit der Wende vor allem darum, den enormen Altbaubestand zu erhalten, instand zu setzen und gegebenenfalls mit einer neuen Nutzung zu versehen. Aushängeschild ist das Kunstmuseum Moritzburg, 2008 von Nieto Sobejano Arquitectos umgebaut und erweitert (Bauwelt 4.2009). Jetzt nimmt sich die chronisch klamme Stadt die stillgelegte, um 1890 errichtete Gasanstalt vor. In den letzten Jahren gab es unzählige Anläufe, den entkernten Gasometer wieder ins Bewusstsein der Hallenser zu holen; doch richtig kam die Sache erst in Gang, als sich nach dem Hochwasser vor zwei Jahren neue Fördertöpfe auftaten. Die Idee: auf dem Gelände ein neues Planetarium einrichten. Das ist ein naheliegendes Projekt, denn der Gasometer ist rund und hat mit 36 Meter im Durchmesser stattliche Dimensionen. Der Stadtverwaltung schwebt ein „überregional ausstrahlender Ort der Bildung und Kultur“ vor.
Umbau und Erweiterung des Gasometers, mit Projektionskuppel und einem 27 Meter hohen Turm für eine Sternwarte, sollen knapp 8 Millionen Euro kosten. Das meiste soll aus dem Fluthilfefonds (rund 6,8 Millionen) oder dem Stadtumbau-Programm kommen und der Rest größtenteils über Sponsoring eingetrieben werden, sodass für den kommunalen Haushalt nur noch 100.000 Euro anfallen – ein vielversprechendes Konzept. Es hat jedoch einen Haken. Die Stadt hat beim Förderantrag die Übernahme der Abbruchkosten für das alte Planetarium auf der Peißnitz-Insel, das beim Hochwasser in Mitleidenschaft gezogen worden war, gleich mit beantragt. Der geplante Abriss sorgt nun, zumindest in Fachkreisen, für Entsetzen, denn das Gebäude hätte das Potenzial, sowohl zum zeit- als auch zum baugeschichtlichen Kulturdenkmal erklärt zu werden.
Der erste Flug eines Sputniks ins Weltall (1957) löste im Ostblock eine wahre Weltraum- und Technikeuphorie aus. Zwei Jahre später wurde in der DDR Astronomie als Pflicht-Schulfach eingeführt. 1969 errichtete das Wohnungsbaukombinat Halle (WBK) in Merseburg mit dem vom Bauingenieur Herbert Müller (1920–1995) entwickelten „Uni-HP-System“ ein kleines, auf den Zeiss Kleinbildprojektor ZKP-1 zugeschnittenes Planetarium – eine modifizierte Version der Delta-Kindergärten in Halle-Neustadt (Bauwelt 33.2014). Als Anfang der 70er Jahre mit dem „Spacemaster“ eine neue Projektoren-Generation für deutlich größere Kuppeldurchmesser entwickelt wurde, setzten sich der Leiter der Sternwarte in Halle-Kanena und der damalige Bürgermeister dafür ein, ein solches Gerät für den Schulbetrieb in Halle zu bekommen – erfolgreich.
Für das neue Raumflug-Planetarium „Sigmund Jähn“ (Jähn war der erste Deutsche im Weltall) auf der Peißnitz-Insel in Halle übernahm, wie schon in Merseburg, die Bauabteilung des WBK unter Leitung des Architekten Klaus Dietrich (1937–1986) in Zusammenarbeit mit Herbert Müller die Projektierung. Das 1976 bis 1978 errichtete Gebäude besteht aus zwei Teilen: einem kegelförmigen, aus konisch zulaufenden Betonschalen konstruiertem Planetarium für 130 Zuschauer mit einer eingestellten Kuppelkonstruktion, und einem mit Uni-HP-Halbschalen verkleideten Baukörper (Foyer, Nebenräume, Vortragssaal), für die ergänzende Himmelsbeobachtung mit einer Dachterrasse und einer kleinen Sternwarte ausgestattet. Der „Spacemaster“ konnte selbstablaufende Shows zeigen, aber auch individuell im Live-Einsatz betrieben werden. Neben dem Astronomie-Unterricht der Schulen gab es diverse Sonderveranstaltungen. Das Planetarium auf der Peißnitz-Insel wurde über die Wende hinaus ausgiebig genutzt. So wurde 2008 das dort ansässige Schüler-Projekt „Astrolinos“ im Rahmen der Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ gar als „Ausgewählter Ort“ mit „Innovationskraft und kreativer Ausstrahlung“ prämiert.
Während der DDR-Zeit waren Planetarien Kultur- und Bildungseinrichtungen, heute sind sie Kino-ähnliche Entertainmentstätten mit umfangreicher Gastronomie und Ausstellungsbereich. Solche Komplexe brauchen eine ganz andere Infrastruktur. Das Raumflug-Planetarium „Sigmund Jähn“ liegt im Naturschutzgebiet, hat keinen Anschluss an den ÖPNV und keine Parkplätze. Um in den Genuss der Fluthilfegelder zu kommen, wurde es nach dem letzten Hochwasser per Gutachten umgehend zum „wirtschaftlichen Totalschaden“ erklärt, neben den offensichtlichen Schäden wegen mangelndem „Vermarktungspotenzial“ und weil die „Rentabilität des Objektes für den Betreiber – über den primären, reinen Bildungswert hinaus – gesunken ist.“ Eine andere Nutzung des Gebäudes zog man gar nicht in Erwägung.
Die Übernahme der Abrisskosten ist seit Ende April bewilligt, der Abbruch für den kommenden Herbst vorgesehen. Doch über den ideellen und baukünstlerischen Wert des Planetariums hat bislang kaum jemand gesprochen. Eine Anfrage der Grünen-Stadtratsfraktion beim Landes-Bauministerium ergab, dass der Abriss gar keine Vorbedingung für den positiven Fördermittelbescheid zum Gesamtprojekt gewesen ist, er war „jedoch zusätzlich aus dem Fluthilfefonds (auch noch) förderfähig“. Jetzt bestünde für kurze Zeit die Chance, sich dieses bemerkenswerte Gebäude auch im Hinblick auf eine mögliche Umnutzung näher anzuschauen. Dabei könnte man auch endlich anfangen, das Werk des Hallenser Bauingenieurs Herbert Müller („Schalenmüller“) zu erforschen und seine wertvollsten Bauten zu schützen; in Halle-Neustadt steht bislang nicht ein einziges Gebäude auf der Denkmalliste, auch dort stammen etliche vom Entwurfsteam Müller/Dietrich.

0 Kommentare


loading
x
loading

23.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.