Bauwelt

Erfahrungen fürs Leben

Entwerfen und bauen – in der letzten Zeit ist an Entwurfslehrstühlen der Hochschulen die Tendenz zu beobachten, Studierende mit einer Gesamtaufgabe bis zur Realisierung zu konfrontieren, die sie im Team über einen längeren Zeitraum bearbeiten. Welche Bedeutung eine solches Projekt für die künftigen Architekten hat, zeigt ein Beispiel an der TU Berlin. Ralf Pasel, Leiter am Fachgebiet Entwerfen und Baukonstruktion, hat mit Assistenten und 40 Studenten eine Landwirtschaftsschule mit Vorbildcharakter in Bolivien entworfen und gebaut. Diese grundlegende Veränderung des Entwerfens, die Lehre und Praxis in der Architektur mit interdisziplinärer Forschung verknüpft, wird immer wichtiger, um international den großen neuen Aufgaben mit ortspezifischen Besonderheiten gerecht werden zu können

Text: Pasel, Ralf, Berlin

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    Die Landwirtschaftsschule ist ein Projekt der TU Berlin, ...
    Foto: Andreas Rost

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    ... gebaut in Kooperation mit bolivianischen Berufsschülern.
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Erfahrungen fürs Leben

Entwerfen und bauen – in der letzten Zeit ist an Entwurfslehrstühlen der Hochschulen die Tendenz zu beobachten, Studierende mit einer Gesamtaufgabe bis zur Realisierung zu konfrontieren, die sie im Team über einen längeren Zeitraum bearbeiten. Welche Bedeutung eine solches Projekt für die künftigen Architekten hat, zeigt ein Beispiel an der TU Berlin. Ralf Pasel, Leiter am Fachgebiet Entwerfen und Baukonstruktion, hat mit Assistenten und 40 Studenten eine Landwirtschaftsschule mit Vorbildcharakter in Bolivien entworfen und gebaut. Diese grundlegende Veränderung des Entwerfens, die Lehre und Praxis in der Architektur mit interdisziplinärer Forschung verknüpft, wird immer wichtiger, um international den großen neuen Aufgaben mit ortspezifischen Besonderheiten gerecht werden zu können

Text: Pasel, Ralf, Berlin

In der Debatte um globale Themen wie wachsende Urbanisierung, Landflucht und Armutsbekämpfung spielt die Suche nach lokal wirksamen Lösungen eine wesentliche Rolle. Für Architekten stellt sich die Frage, welchen Beitrag ihre Profession in diesem Kontext liefern kann. Wir haben in einem interdisziplinären Projekt für das Dorf Bella Vista in Bolivien eine Landwirtschaftsschule entworfen und gebaut, in der jungen Menschen eine berufliche Perspektive auf dem Land geboten wird. Grundlage des Entwurfs bildete der Anspruch, eine Schule mit Vorbildcharakter zu errichten, die die Potenziale nachhaltigen Handelns aufzeigt, die die nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung und die Anpassung kleinbäuerlicher Landwirtschaft an den Klimawandel thematisiert. Letzteres ist in Bolivien von besonderer Brisanz, zählt das Land doch zu den zehn Ländern, die weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffen sein werden. In Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation Fundación Cristo Vive Bolivia, die sich der Armutsbekämpfung in ländlichen und städtischen Regionen in Lateinamerika widmet, haben 40 Studierende aus Berlin mit mir und dem wissenschaftlichen Mitarbeiterteam den Bau geplant und anschließend gemeinsam mit den Partnern vor Ort umgesetzt.
Die Landwirtschaftsschule befindet sich in den Anden, auf 3000 Meter Höhe, eingebettet in die Strukturen der umliegenden Felderwirtschaften der Kleinbauern. Wir haben die traditionelle lateinamerikanische Bauweise neu interpretiert und mit einer der modernsten Solaranlagen Boliviens ausgestattet, die die energetische Selbstversorgung der Schule sicherstellt. Dies macht die Schule auch in architektonischer Hinsicht zum Vorbild- und Lehrprojekt und zeigt für viele ländliche Regionen und abgelegener Dörfer im andinen Hochland einen Weg in eine technische Unabhängigkeit auf. Das Schulgebäude ist in Modulen organisiert, die aus jeweils zwei Klassenräumen mit einem dazwischen liegenden Laborraum bestehen. Untereinander sind die Module über einen Zwischenbereich miteinander verbunden – einem offenen aber überdachten und damit schattigem Außenraum, der zugleich den Übergang zu den Landwirtschaftsflächen ausbildet. Werden die wandgroßen Faltschiebefassaden der Klassenräume zur Seite geschoben, eröffnet sich hier ein gemeinsamer Aula- und Veranstaltungsbereich. Alle Räume der Schule sind unter einem durchgehenden Sägezahn-Dach zu einer großen Gemeinschaft organisiert. Der modulare Aufbau erlaubte ein Realisierung in mehreren Bauabschnitten und einen flexiblen Planungs- und Bauablauf.
Das Gebäude reagiert gleich mehrfach auf die extremen klimatischen Bedingungen. Die Dachform und Neigung der Sheddächer ist nach Norden gerichtet, um den maximalen Energieeintrag für die auf dem Dach installierte Solaranlage zu bekommen. Die darunterliegende doppelschalige Dachkonstruktion wird durch thermische Erwärmung ventiliert, sodass eintretende Wärme direkt aus der Dachkonstruktion abgeführt werden kann. Temperaturschwankungen von über 30 Grad im Tag-Nachtverlauf werden durch massive Ziegelmauern ausgeglichen. Die Klassenräume sind auch bei hohen Außentemperaturen von in der Regel weit über 30 Grad Celsius angenehm kühl. Die Wärmespeicherung der Wände sorgt aber auch für relativ warme Räume, wenn es morgens oft noch unter 0 Grad kalt ist. Alle Fassadenöffnungen sind zu den überdachten, im Schatten liegenden Höfen orientiert, die auch für die natürliche Querlüftung und Ventilierung des Gebäudes sorgen. Gebaut wurde ausschließlich mit handelsüblichen, vor Ort erhältlichen Materialien. Die für den Bau hergestellten Ziegel stammen aus der reaktivierten örtlichen Ziegelei. Aufgrund großer Vorkommen an hochwertiger Tonerde ist die Ziegelfabrikation in der Gegend weit verbreitetet und der Stein der primär verfügbare Baustoff. Auch die Dach- und Fassadenkonstruktionen aus Holz und Stahl wurden aus lokalen Rohmaterialen, bzw. Rohformaten in Eigenarbeit hergestellt.
Um die Landwirtschaftsschule sozial dauerhaft in die Schul- und Dorfgemeinschaft zu integrieren, wurden zukünftige Berufsschüler in den Bau einbezogen und eine Frauenkooperative unterrichtet, die nun ihrerseits Frauen im Baugewerbe ausbildet. Auch die örtlichen Universidad Mayor de San Simón aus Cochabamba wurde in den Bauprozess eingebunden. Die Zusammenarbeit zwischen der TU Berlin und den lokalen Partnern wurde durch ein Expertenteam für erneuerbare Energien der Fachhochschule Köln ergänzt, das die Ausstattung der Solaranlage begleitete. So entstand im Rahmen eines interkulturellen Projekts ein integrativer Wissensaustausch zwischen den verschiedenen Partnern, der ein gegenseitiges voneinander Lernen förderte und innovative Techniken mit lokalen Bauweisen vereinte. Ich wünsche mir, dass solche Projekte deutlich verstärkt zur Ausbildung zum Architekten gehören. Die Aufgaben drängen in aller Welt.

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