„Grandhotel Cosmopolis“ als gesellschaftliches Labor
Text: Stumberger, Rudolf, München
„Grandhotel Cosmopolis“ als gesellschaftliches Labor
Text: Stumberger, Rudolf, München
In irgendeinem der vielen Räume des Grandhotels steht das Medienmöbel der sechziger Jahre herum: Eine Musiktruhe, kombiniert mit einem Schwarz-Weiß-Fernseher. Der brachte damals die weite Welt in das sechsstöckige Altenheim am Springergässchen 5, mitten in Augsburg. Heute wohnt dort die weite Welt selbst – Gäste aus aller Herren Länder.
Der 27-jährige Hasibulla kam mit Frau und Baby aus Afghanistan, die Familie Janevski stammt aus Mazedonien, und im Erdgeschoss bastelt der Künstler Martin Beckers kleine Kreisel für die Kinder. Sie und viele andere sägen, bauen, kochen, wohnen und leben – im „Grandhotel Cosmopolis“, einem alternativen Projekt, zu dem eine Flüchtlingsunterkunft, Künstlerateliers und ein Hotel gehören. Seit dem 3.Oktober vergangenen Jahres kann man dort fantasievoll eingerichtete Zimmer buchen. Vermietet werden Hotelzimmer wie das im vierten Stock: Öffnet man die Tür, wird man von einem in Rot gehaltenen Raum überrascht, mit alten Möbeln und doch im Stil einer Designerunterkunft gestaltet. Das Zimmer ein Stockwerk höher wiederum erinnert noch ein bisschen an das Ambiente des ehemaligen Alten- und Pflegeheimes: puristisch, ein metallenes Bettgestell mit Matratze steht an der Wand, das Künstlerische ist als Kleiderbügel-Mobile präsent. Dafür fällt der Blick aus dem Fenster über die Altstadt hinüber auf den Dom. Insgesamt stehen zwölf Zimmer zur Verfügung, für zwei Personen kostet die Nacht 58 Euro, für einen alleine 40. Bad und Toiletten sind auf dem Gang, zum Frühstück mit Gebäck geht man ins kleine Café des Hotels. Es gibt auch vier Hostel-Mehrbett-Zimmer, 16 Euro kostet die Übernachtung hier. Das Hotel-Projekt läuft gut an, Anfang Februar sind noch vier Zimmer frei.
Hotelgäste ohne Asyl, Hotelgäste mit Asyl
Gedacht sind diese Räume für „Hotelgäste ohne Asyl“, wie es im Konzept des „Grandhotel Cosmopolis“ heißt: für Rucksacktouristen, für Künstler oder für „Neuaugsburger auf der Suche nach einer Wohnung“, Studenten zum Beispiel. Neben den „Hotelgästen ohne Asyl“ wohnt noch eine zweite Gruppe im „Grandhotel“: die Kreativen. Zu Ihnen gehört der eingangs erwähnte Martin Beckers, der sein Geld mit dem Bau von Architekturmodellen verdient. „Artist in Residence“ nennt er sich, wenn er in seinem Atelier im Erdgeschoss Architekturmodelle entwirft und Kindern das Schnitzen beibringt. Er kommt jeden Tag ins Hotel und kann sich vorstellen, hier eines Tages mit den anderen Kollegen ein gemeinsames Atelier zu schaffen. Und es gibt eine dritte Gruppe: Die „Hotelgäste mit Asyl“, wie es im Konzept der Initiatoren heißt. Noch sind diese Gäste aber auf der Suche nach Asyl, das heißt, ihr Antrag ist bei der Regierung von Schwaben in Bearbeitung. Zum Beispiel der der Familie Janevski. Snezana und ihr Ehemann mit den beiden Töchtern, der siebenjährigen Marie und der dreijährigen Leona, warten in ihrem Zimmer im ersten Stock des „Grandhotel Cosmopolis“ auf den Bescheid. So wie die anderen, gut 60 Flüchtlinge mit einem Antrag auf Bleiberecht, die hier auf drei Etagen untergebracht sind, darunter viele Familien aus Tschetschenien und Syrien. Gekocht wird in Etagenküchen, Bad und WC sind auf dem Flur.
Angeregt hat das Projekt vor gut zwei Jahren eine Gruppe von Leuten, denen für die Nutzung des ehemaligen Altenheims als Flüchtlingsunterkunft eine „soziale Skulptur“ vorschwebte. Das leerstehende Gebäude im Eigentum der Diakonie Augsburg sollte verschiedene Ansätze unter einen Hut bringen. Dazu gehörten mietfreie Wohn- und Arbeitsräume für Kulturschaffende ebenso wie Unterkünfte für Asylbewerber. Der Name „Grandhotel Cosmopolis“ steht dabei ironisch für eine Begegnungsstätte vieler Kulturen, mit Flair und Glamour der „großen weiten Welt“.
Joachim ist einer von denen, die sich hier engagieren. Der 51-jährige Handwerker ist seit einem halben Jahr dabei, verlegt Böden und macht den Innenausbau. „Das ist doch ein interessantes Vorhaben“, sagt er. Er hat 25 Arbeitsstunden gespendet und jetzt arbeitet er zu einem Freundschaftspreis. Die Projektmitglieder sitzen an diesem Vormittag an einem Tisch unter dem großen Baum vor dem Haus, die Kinder spielen, man trinkt Kaffee und bespricht die Arbeit. Lauritz kümmert sich gerade um die elektrischen Leitungen in der ehemaligen Zentralküche. Dort soll demnächst ein Restaurant seinen Platz haben, das preiswertes Essen und bezahlbare Getränke anbietet. Eigentlich ist der 32-jährige Berliner Arzt, aber er habe sich eine Auszeit genommen, sagt er. Anders als die Küche ist das Café im ehemaligen Eingangsbereich schon fertig, mit Plüschsessel und Stehlampe, mehrere Wanduhren zeigen Tageszeiten weltweit an, auch die der Insel Lampedusa, dem ersten Ziel vieler Flüchtlinge; auf Fotos an den Wänden sind verlassene Grenzposten zu sehen. Ein wenig erinnert das „Grandhotel Cosmopolis“ an das Flüchtlings-Hotel „Savoy“ in Joseph Roths gleichnamigem Roman aus den zwanziger Jahren.
Dass das Projekt soweit gedeihen konnte, liegt auch daran, dass sich die Diakonie das Konzept der Gruppe zu eigen gemacht hat – die von der Regierung von Schwaben gewünschte Unterbringung von Asylbewerbern mit bürgerschaftlichem Engagement und kultureller Vielfalt zu verbinden. „Da scheint es uns verheißungsvoll, das Zusammenleben an Orten wie dem alten Paul-Gerhardt-Haus zu üben“, meint Pfarrer Fritz Graßmann als Vorstand der Diakonie. 340.000 Euro wurden bisher für die Umbauarbeiten zur Verfügung gestellt. „Das hier ist ein gesellschaftliches Labor“, meint wiederum Sebastian Kochs, einer der Initiatoren. Dem 46-Jährigen geht es um eine neue Form des Miteinanders, um neue Wege. Flüchtlingsunterkünfte werde es auch in Zukunft geben, warum nicht so wie im „Grandhotel Cosmopolis“, eingebunden in Kunst, Kommunikation und gemeinsames Wohnen. Freilich, das Projekt basiert auf ehrenamtlicher Tätigkeit, etliche Teilnehmer sind dafür aus ihrem „bürgerlichen“ Leben ausgestiegen. Nicht unproblematisch ist die doppelte Struktur, die sich zumindest gefühlsmäßig seit Projektbeginn herausgebildet hat: Für die Flüchtlinge und ihre Unterkunft fühlen sich sowohl die Projektgruppe als auch die Bezirksregierung verantwortlich. Das Hotel, das Café und diverse Kulturveranstaltungen sollen in Zukunft dafür sorgen, dass die ehrenamtlichen Helfer über eine finanzielle Basis verfügen, auf der sie weiter zusammen arbeiten und leben können.
0 Kommentare