Kein Leitbild ist keine Lösung
Karlsruhe wagt sich an den großen Plan. Bis 2016 soll ein räumliches Leitbild für die Gesamtstadt entwickelt werden. Das Verfahren ist aufwendig, die Methode ein Wagnis, aber man öffnet wieder die Perspektive, die ganze Stadt in den Blick zu nehmen – ein von deutschen Städten lange vernachlässigter Anspruch
Text: Holl, Christian, Stuttgart
Kein Leitbild ist keine Lösung
Karlsruhe wagt sich an den großen Plan. Bis 2016 soll ein räumliches Leitbild für die Gesamtstadt entwickelt werden. Das Verfahren ist aufwendig, die Methode ein Wagnis, aber man öffnet wieder die Perspektive, die ganze Stadt in den Blick zu nehmen – ein von deutschen Städten lange vernachlässigter Anspruch
Text: Holl, Christian, Stuttgart
2015 feiert Karlsruhe sein 300-jähriges Bestehen. Die Stadt kann sich zum Jubiläum mit breiter Brust präsentieren: Knapp 14.000 neue Arbeitsplätze soll es bis 2025 geben, die Bevölkerung soll moderat auf 314.000 wachsen. Was man von Planungsseite aus vorzuzeigen hat, klingt allerdings erst einmal bescheiden: kein fertiges Werk, sondern ein Zwischenergebnis. Das aber ist nicht Zufall, sondern hat Methode; es steht für ein Selbstverständnis von Beteiligung und Transparenz, dem man anderswo noch skeptisch gegenübersteht. Und der Anspruch ist alles andere als bescheiden, hat man sich doch an ein räumliches Gesamtbild für die Entwicklung der Stadt gemacht – einem Gesamtbild, dem zu vertrauen deutsche Städte seit Langem zögern. Denn zu marktliberalen Grundhaltungen, ökonomischen Unsicherheiten und der Einsicht in die Grenzen planerischer Lenkung gesellte sich in den letzten Jahren die Furcht, ambitionierte Vorhaben könnten Verwaltung und Politik zu einem ungünstigen Zeitpunkt durch Protest der Bürger um die Ohren fliegen.
Von vorneherein ein transparenter Prozess
Doch auch Städte, die sich von Einzelfall zu Einzelfall, von einer sektoralen Planung oder Arealentwicklung zur nächsten hangeln, sind vor Protest nicht sicher. Kein Leitbild ist keine Lösung. In Karlsruhe hatte man sich deswegen entschieden, die Entwicklung eines solchen früh transparent zu machen und es unter Mitarbeit von Bürgern entstehen zu lassen. Mit Beteiligungsprozessen hat man inzwischen viele Erfahrungen, wenn auch nicht nur gute – die Untertunnelung der Straßenbahn auf der zentralen Kaiserstraße war in einem ersten Anlauf von den Bürgern abgelehnt worden. Das freilich ist Vergangenheit, inzwischen redet man über etwas wie Fahrspurenrückbau, als wäre es eine Bagatelle. Dennoch war es ein Wagnis, sich nun nicht mehr einem abgegrenzten Areal zu widmen. Die Stadt als Ganzes stellt höhere Anforderungen an alle Beteiligten: Der Grad der Abstraktion ist höher, die Adressaten sind heterogener.
Vorbereitet durch ein integriertes Stadtentwicklungskonzept mit programmatischen Vorgaben und einer Ausstellung mit Beteiligung der Besucher, wurde der eigentliche Startschuss im Dezember 2013 gegeben. Das Stadtplanungsamt und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben drei interdisziplinäre Teams ausgewählt, die dieses gesamtstädtische Konzept formulieren sollten: West 8 und verkehrplus; Machleidt, Sinai Landschaftsarchitekten und SHP Ingenieure sowie berchtoldkrass space&options mit Studio Urbane Strategien und Urban Catalyst studio. Den Teams kam zugute, dass Karlsruhe räumlich prägnant ist: Durch die absolutistische Schloss- und Idealstadtanlage mit einer weit in die Stadt reichenden Wald-Parklandschaft, aber auch durch ein Bahn-, Verkehrs- und Gewerbeband, das Karlsruhe von Osten bis Westen, von Autobahn bis Hafen in einem Bogen eingrenzt und von den südlich daran anschließenden Stadtteilen trennt. Die „Stadt am Fluss“ zum Thema zu machen, wie es in den von der Stadt in Auftrag gegebenen Voruntersuchungen zur Diskussion gestellt wurde, hat keine wesentliche Rolle gespielt: der Rhein liegt vom Stadtzentrum eben doch gut und gerne zehn bis zwölf Kilometer entfernt. Eher, so zeigte sich, muss ein räumliches Leitbild neben den charakteristischen Stadtteilen Qualitäten wie die enge Verzahnung von Frei- und Stadtraum stärken und sichern, um die Les- und Erlebbarkeit der Stadt zu erhöhen.
Unschärfe als Methode
Alle drei Konzepte wurden von intensiven Diskussionen mit Bürgern und einem Gremium aus Experten und Stadtpolitikern begleitet, insgesamt fünf Werkstattgespräche mit jeweils mehr als 200 Bürgern wurden durchgeführt. Die Konzepte haben sich dabei durchaus geändert: So wurden der vom West8-Team ursprünglich vorgeschlagene Hochhauscluster am Bahnhof dann doch verworfen – Karlsruhe ist nicht Rotterdam.
Getragen wird der Prozess von der Überzeugung, dass Beteiligung und Offenheit nicht erst beginnen darf, wenn es um das konkrete Wohnumfeld geht, will man nicht in die „Not in my backyard“-Falle tappen. Das räumliche Leitbild soll, so die Leiterin des Stadtplanungsamts Anke Karmann-Woessner, „ein Regiebuch als Entscheidungsgrundlage für konkrete Projekte und weitere Vorhaben“ sein. Die eigentliche Nagelprobe für dessen Belastbarkeit kommt aber erst, und sie wird wohl auf der Ebene des Quartiers liegen. Ein erster Prüfstein könnte der städtebaulichen Ideenwettbewerb „Zukunft Nord“ für die Nord- und die Nordweststadt sein, der in diesem Jahr ausgelobt werden wird.
Nachdem die drei Konzepte durchgearbeitet wurden, ist man nun in der intensiven, ämterinternen Abstimmung. Ziel ist es, die besten Ideen aller drei Konzepte in einem Vorschlag zusammenzuführen. Das lässt Verwässerung befürchten. Doch die im Einzelnen räumlich starken Ideen sollten, da kommt der große Maßstab diesem Verfahren entgegen, auch in der Überlagerung (siehe Grafik links) ihre Kraft behalten können, ohne in ein beliebiges Patchwork zu münden. Ab Mitte Juni wird mit einer Ausstellung des aktuellen Stands weiteres Feedback eingeholt, dazu kommen Radtouren, ein „Kooperationsvehikel“ soll den Diskurs im Stadtteil spielerisch befördern und Bevölkerungsgruppen, die bislang nicht angesprochen wurden, einbinden. Bis zum eigentlichen Ende des Prozess 2016, wird noch einiges im Vorläufigen bleiben. Diese Unschärfe allerdings ist genau das, was sich als die entscheidende Qualität erweisen könnte. „Das ist extrem wichtig“, meint Markus Neppl vom KIT, „um solch ein Thema kontinuierlich in der Öffentlichkeit zu halten.“ Genau daran sind Planungen dieser Komplexität letztlich oft gescheitert: an der unzureichenden Diskussion mit den Bürgern.
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