Bauwelt

Keiner will’s gewesen sein

In Stuttgart und um Stuttgart herum schießen neue Shopping Malls wie Pilze aus dem Boden. Wenn sie eröffnen, ist das Entsetzen groß. Zu hässlich, zu groß, rufen dann auch die Politiker, die das Ganze einmal beschlossen haben. Dabei müssten sie zur rechten Zeit nur genau hinschauen.

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

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Das geplante Milaneo am Mailänder Platz, Stuttgart
Foto: RKW Düsseldorf

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Das geplante Milaneo am Mailänder Platz, Stuttgart

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Keiner will’s gewesen sein

In Stuttgart und um Stuttgart herum schießen neue Shopping Malls wie Pilze aus dem Boden. Wenn sie eröffnen, ist das Entsetzen groß. Zu hässlich, zu groß, rufen dann auch die Politiker, die das Ganze einmal beschlossen haben. Dabei müssten sie zur rechten Zeit nur genau hinschauen.

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

Unsere Geschichte spielt in Stuttgart, sie hängt mit der Misere der Stuttgarter Stadtplanung zusammen (Stadtbauwelt 203, 36.14), aber sie könnte eigentlich überall spielen. Sie hat am Rande mit dem Aufreger „Stuttgart 21“ zu tun, im Kern aber mit dem Aufsprießen gleich mehrerer „Shopping Malls“ in der Landeshauptstadt und im Umland: Etwa 90.000 m2 Verkaufsfläche schoben sich innerhalb von Tagen in den Markt! Allein die beiden Malls im Zentrum von Stuttgart, genannt „Gerber“ und „Milaneo“, sind in mehrfacher Hinsicht Verhängnis und Risiko. An zwei Polen der City positioniert, verändern sie schon durch Größe und architektonisches Null-Design die Textur des Städtischen dramatisch.
Symbolische Zerknirschung
Eingesessene Einzelhändler bangen um ihre Zukunft. Der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn, noch nicht lange im Amt, fand klare Worte („... hätte nicht so viele neue Flächen geschaffen“): ohne aber seinen Vorgänger vorzuführen, der vor Jahren Forderungen des Rats ignorierte, Investoren keine Zugeständnisse in Sachen Autostellplätze (jetzt ca. 1700 statt „nur“ 1300) zu machen.
Dienstältere Gemeinderäte nehmen nun die Eröffnung der Stuttgarter Kaufrausch-Paradiese zum Anlass, sich als Mit-Entscheider die Hände in Unschuld zu waschen und symbolisch Zerknirschung zu simulieren. „Gerber und Milaneo: keiner will es beschlossen haben“, titelte die Stuttgarter Zeitung Ende September. Der Artikel rekapitulierte die Chronologie der Ratsbeschlüsse um das Jahr 2010, sortierte Befürworter und Gegner der Projekte nach Fraktionen, lieferte aktuelle Kommentare. Beim FDP-Fraktionschef Bernd Klingler überwog „das Bedauern“. Aus der CDU hieß es, „mit dem Wissen und dem Erleben der vergangenen Jahre würde man das A-1-Areal am Bahnhof so nicht mehr aufsiedeln“. Die Zeitung ließ auch den Schultes einer Nachbarstadt – gelernter Architekt und Stadtbaumeister – zu Wort kommen: Esslingens OB Jürgen Zieger stellte die Probleme der neuen Konsumtempel gar in den Rahmen von Raumordnung und Regionalpolitik und kritisierte die Rolle der Landeshauptstadt: Sie habe sich nie in den Dienst der Region gestellt, vornehmlich eigene Interessen verfolgt und eröffne nun eine „offene Feldschlacht“ im Einzelhandel. Besonders irritierend sei, dass es in Stuttgart auf politischer Ebene inzwischen „gar niemand mehr gewesen sein will, der das alles genehmigt hat“.
Entscheidung nach politischem Kalkül
Als wüchse der Onlinehandel nicht mit beachtlichen Zuwachsraten, planen auch die Städte rund um Stuttgart quasi aus Notwehr immer neue Einkaufszentren: etwa in den Umlandgemeinden Sindelfingen, Reutlingen, Göppingen, Ludwigsburg. Für die Regionalpresse dennoch ein positives Signal. Bedeute es doch, die Kommunen setzten demonstrativ „auf den stationären Verkauf von Produkten“!
Wie so etwas am Ende aussieht – das interessiert Politiker erst, wenn derlei Einkaufszentren in voller Größe und Hässlichkeit in den Städten Platz genommen haben. Im Vorfeld haben sie selten Lust, sich in die Materie der städtebaulichen Detailarbeit ernsthaft einzuarbeiten. Entschieden wird nicht im Interesse der Bürger, sondern nach parteipolitischem Kalkül. Ihre Lernfähigkeit halten sie im Zaum, um Fehler wiederholen zu dürfen. So meiden sie auch moderne Simulationstechniken und Virtual Reality – um nicht von besseren Einsichten im politischen Handeln eingeholt zu werden. Solch neumodischen Kram überlassen sie lieber den Architekten und Planern, einer Berufsgruppe, die sich bei politisch verursachten Pannen – siehe Hauptstadtflughafen BER – immer wieder treuherzig als Tölpel vorführen lässt .
Dabei hätte den Entscheidern im Stuttgarter Rat schon frühzeitig klar sein können, dass das „Gerber“ in seinem Bemühen um Klassizität eine unfreiwillige Reverenz an die „stalinistischen“ Experimente der 50er Jahre in Berlin oder Eisenhüttenstadt ist, deren Maßstäblichkeit allerdings geradezu grotesk verfehlt. Aber sie wollten es auf den Plänen, die sie abnickten, nicht sehen.
Auch aus dem „Milaneo“ am anderen Ende der Stadt – derzeit ein unfertiges Gewürfel aus architektonischem Nihilismus – wird kein Juwel werden. Wie auch. Beide Projekte reagieren konzeptuell auf die auseinander-strebende Einkommensschere: hier scharf kalkulierter Massenkonsum, da zierlich aufgebrezeltes Boutiquen-Business. Ein „urbaner“ Mix mit neuen Ideen, wie solche Malls auch für die räumlichen Qualitäten der Umgebung einstehen könnten, wurde nie probiert. Ein solcher Mix, so wollen es Marketingleute wissen, funktioniere nicht, höchstens im „Food“-Segment: Bunte Markthallen werden von Arm und Reich gern besucht.
Neidischer Blick nach Rotterdam
Und so blicken wir von Stuttgart aus neidisch nach Rotterdam, auf eine neue Markthalle in Gestalt eines großen Rundbogens; entworfen vom holländischen Team MVRDV. Unten Halle, oben ein großflächig ausgemaltes Tonnendach, in die prall-fetten Flanken einsortiert Wohnungen. So geht Planung also auch: ein Gedankenexperiment, das funktioniert und Furore macht.

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