Architekten sind nicht wirklich vertraut mit dem Protokoll ihres Bundespräsidenten und deswegen beim ersten Empfang des selbigen für ihre Berufsgruppe am vergangenen Freitagmittag entsprechend unsicher. Und so erhob sich niemand, als der Bundespräsident den Raum betrat, schließlich war Minuten zuvor die Bitte zu hören, sich zum festlichen Mittagessen im Schloss Bellevue zu setzen. Ob man aufstehen solle, raunte jemand leise durch den Saal. Der Präsident hörte die Frage und antwortete: „Im Prinzip schon.“ Architekten sind derartige präsidiale Aufmerksamkeit nicht gewohnt, wird ihnen doch sogar die politische schon seit mehr als zwei Jahrzehnten weitgehend verwehrt. Das ist für mich vollkommen unverständlich, denn die beiden großen nationalen und internationalen Herausforderungen jenseits von Frieden und Armutsbekämpfung sind die Folgen der gesellschaftlichen Entwicklung, die zu einer großen und kontinuierlichen Urbanisierung fast überall auf der Welt führen, und die Energiewende, die jenseits von Erzeugungs- und Verteilungsdebatten die große Frage in den Raum stellt, wie radikal sich Architektur und Städtebau verändern müssen, um den energie- und klimapolitischen Zielen gerecht zu werden. Da ist es mehr als unverständlich, warum es in dieser wichtigen Umbruchphase von Deutschland nicht ein auch so bezeichnetes Bau- und Infrastrukturministerium gibt, welches dafür sorgt, dass die Rahmenbedingungen für eine überzeugende städtebauliche, architektonische und energetische Zukunft geschaffen werden.

Anlass für die Matinée beim Präsidenten waren vier runde Geburtstage. Gottfried Böhm, Meinhard von Gerkan, Helmut Jahn hatten im Januar Geburtstag und wurden 95, 80 und
75 Jahre alt. Frei Otto hätte im Mai seinen 90. Geburtstag gefeiert, er verstarb kurz zuvor. Das herausragende Lebenswerk der vier steht außer Frage. Und auch die politische Bedeutung von Architektur und Städtebau stellte an diesem Freitagmittag niemand in Frage. Sie ist jedenfalls für Joachim Gauck von elementarer Bedeutung. Für das Gros der Politiker gilt, was diese Bedeutung angeht, wohl immer noch: „Im Prinzip schon“.