Bauwelt

Dem deutschen Winter entronnen

Ulrich Brinkmann wünscht sich von Bürgern und Politikern mehr Auge für die Chancen von Immigration

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Dem deutschen Winter entronnen

Ulrich Brinkmann wünscht sich von Bürgern und Politikern mehr Auge für die Chancen von Immigration

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Italianità ist hierzulande noch immer eine anerkannte Qualität im Metier des Städtebaus, auch wenn die Piazzette, die die Planer in den achtziger Jahren immer irgendwo unterzubringen wussten, lange passate sind. Schade eigentlich, die Entwurfsdarstellungen waren seinerzeit ein Fest fürs Auge. Heute hingegen? Liefert selbst ein Hans Kollhoff nur noch zeichnerische Magerkost, denke ich, die Visualisierungen seines überarbeiteten Masterplans für Berlins Alexanderplatz vor Augen, während draußen vor dem Redaktionsfenster trüb der Regen über den Olivaer Parkplatz treibt. Kein Piazza-Gefühl, nirgends. Und dann auch noch die Schlagzeilen, Clausnitz, Bautzen, Brexit, Trump, es ist zum Davonlaufen.
Doch manchmal braucht es gar keine Flugreise, um der Tristezza zu entkommen. Szenenwechsel: Der Blick aus dem Schaufenster schweift über eine verkehrsberuhigte Nachkriegsstadtlandschaft. Hin und wieder schaukelt ein Bus vorbei, jenseits der Wartehäuschen dehnt sich Brachland, wo vor ein paar Jahren noch der Hertie stand. Eigentlich genauso wenig italienisches Flair wie in der Hauptstadt. Auch das Licht schlägt ähnlich aufs Gemüt, und eine Fahrt über die Alpen und weiter, sagen wir: bis nach Bari, nähme von hier ähnlich viel Zeit in Anspruch wie von Berlin – und doch ist der deutsche Winter im Nu vergessen. Die Orecchiette sind auf den Punkt gekocht, die Salsiccia in der Sauce passt schärfemäßig haargenau, der Tiramisù hinterdrein erweckt auf der Zunge sofort die Erinnerung an den im Herbst in Kampanien gegessenen, und am Nachbartisch lässt sich – ich bin der letzte Gast zum Ende des heutigen Mittagsbetriebs in der Trattoria Mediterranea – nun auch noch die sechsköpfige Inhaberfamilie nieder und bespricht so temperamentvoll wie ausführlich die Menüfolge fürs bevorstehende Wochenende.
Fünfzig Minuten währte der Ausflug in die Lebensfreude, bis der nächste ICE zurück nach Berlin rauschte. Das Glück über einen Fall von gelungener Einwanderung und ihre leistenden Hände leuchtet noch in mir nach: Wolfsburg!

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