Learning from L’Aquila
Ulrich Brinkmann hofft für Norcia, dass aus den Fehlern beim Wiederaufbau der Abruzzenhauptstadt noch rechtzeitig Schlüsse gezogen werden
Text: Ulrich Brinkmann
Learning from L’Aquila
Ulrich Brinkmann hofft für Norcia, dass aus den Fehlern beim Wiederaufbau der Abruzzenhauptstadt noch rechtzeitig Schlüsse gezogen werden
Text: Ulrich Brinkmann
Accumoli, Amatrice, Arquata del Tronto; Visso, Preci, Ussita; jetzt auch noch Norcia und Castelluccio – die Liste der Dörfer und Städte im mittelitalienischen Apennin, die seit dem 24. August zerstört oder beschädigt worden sind, als sich im Grenzgebiet von Umbrien, Latium und den Marken der erste einer ganzen Reihe von Erdstößen ereignete, wird lang und länger. Und ein Ende der Erschütterungen ist, so sind sich die Wissenschaftler einig, nicht absehbar. Gewiss, die Italiener sind Erdbeben gewöhnt, aber die abstrakte Gefahr, jederzeit von einer solchen Katastrophe getroffen werden zu können, ist zu- mindest in Mittelitalien derzeit ziemlich konkret. Die Frage lautet dort nicht ob, sondern: wann genau sich das Unglück ereignen wird. In dieser Situation an den Wiederaufbau der Orte zu denken, mag einerseits voreilig erscheinen, andererseits werden die Probleme, welche die seit dem Beben von LʼAquila 2009 praktizierten Methoden mit sich bringen (Bauwelt 14.2012), mit jedem weiteren verwüsteten Ort drängender. Fabrizio Gatti hat Anfang Oktober im italienischen Nachrichtenmagazin LʼEspresso die Absurditäten dargelegt, die der vom damaligen Zivilschutzleiter Guido Bertolaso und seinen Getreuen entwickelte Bau von soluzioni abitativi in emergenza mit sich bringt: Der am 25. Mai dieses Jahres mit dem italienischen Wirtschaftsministerium geschlossene Vertrag fixiert für Lieferung und Montage der moduli abitativi provvisori einen Quadratmeterpreis, der noch über dem liegt, was etwa in der Provinz Rieti bis Ende August beim Verkauf einer Villa aufgerufen wurde: 1075 gegenüber 1000 Euro. Seitdem sind die Immobilienpreise in der Region drastisch gesunken. Die Vergeudung, die (wieder einmal) öffentliche Gelder in private Taschen lenkt, ist aber nicht nur ein Problem für den Staatshaushalt, mit ihr wird auch die Zukunft der Betroffenen im Wortsinn verbaut: Der bauliche Aufwand dieser Notunterkünfte ist viel zu hoch, als das sie noch provisorisch sein könnten, was zusammen mit dem Umstand, dass für ihren Bau Flächen beansprucht werden, die bislang gar kein Bauland waren, den eigentlich wiederaufzubauenden Ortszentren die Lebensgrundlage entzieht. „In der Erdbebenvorhersage mögen wir zurückliegen“, schließt Gatti, „aber in der Verschwendung von Allgemeingut schlägt uns keiner.“
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