Mehr Oral History
Wolfgang Jean Stock würde sich über mehr Architekturausstellungen mit kompetenten Zeitzeugen freuen
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Mehr Oral History
Wolfgang Jean Stock würde sich über mehr Architekturausstellungen mit kompetenten Zeitzeugen freuen
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Ein großer Publikumserfolg ist die Ausstellung „Die Neue Heimat 1950–1986“ im Münchner Architekturmuseum (Bauwelt 7.2019). Warum? Gewiss auch deshalb, weil sie Planen und Bauen der Neuen Heimat (NH) sehr vielfältig zeigt. Eine große Rolle spielen die zahlreichen Originalmodelle, darunter ein Grundrissmodell des Hochhauses in der Bremer Neuen Vahr mit trichterförmigen Einzelappartements, das Alvar Aaltos Kunst bei der Organisation von Kleinwohnungen bezeugt. Die andere, im Rückblick erschreckende Seite dokumentiert ein städtebauliches Modell der hoch verdichteten Heidelberger Siedlung Emmertsgrund – man mag kaum glauben, dass die NH den Sozialpsychologen Alexander Mitscherlich, den Autor der Schrift „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, als Berater verpflichtet hatte. Was Heidelberger heute von der Siedlung halten, teilt die kommentierte Projektion der Fotografen Myrzik und Jarisch mit.
Viele Besucher betrachten jedoch die 14 aktuellen Interviews mit Zeitzeugen als einen Höhepunkt der Ausstellung. Etwa die Filme mit den ehemaligen Oberbürgermeistern von Kassel und München, Hans Eichel und Hans-Jochen Vogel, deren Fachkenntnis als Bauherren beeindruckt. Architekten und Planer hingegen lassen durch ihre Äußerungen anschaulich werden, was das „tote Material“ nicht vermitteln kann. Es macht
ja einen Unterschied, ob man die schöne Präsentation der Documenta urbana in Kassel betrachtet oder der Architektin Inken Baller zuhört, die das Entstehen der dortigen „Wohnschlange“ erläutert – auch als Alternative zu den in Misskredit geratenen Großsiedlungen. Ähnlich aufschlussreich ist das Statement von Christoph Sattler, der beim „Dörfle“ in Karlsruhe den Sinneswandel vom geplanten Flächenabriss hin zur Stadterneuerung auf Parzellen schildert. Die Münchner „Entlastungsstadt“ Neuperlach ist auch durch ein 16 Quadratmeter großes interaktives Modell präsent – doch wie der leitende NH-Planer Christoph Titze in freier Rede den komplizierten Entstehungsprozess dieses riesigen Projekts erzählt, das hat unmittelbare Kraft. Kurzum: Derart sorgfältig gestaltete „Oral History“ bringt so überraschende wie nötige Farben in die Architekturgeschichte.
ja einen Unterschied, ob man die schöne Präsentation der Documenta urbana in Kassel betrachtet oder der Architektin Inken Baller zuhört, die das Entstehen der dortigen „Wohnschlange“ erläutert – auch als Alternative zu den in Misskredit geratenen Großsiedlungen. Ähnlich aufschlussreich ist das Statement von Christoph Sattler, der beim „Dörfle“ in Karlsruhe den Sinneswandel vom geplanten Flächenabriss hin zur Stadterneuerung auf Parzellen schildert. Die Münchner „Entlastungsstadt“ Neuperlach ist auch durch ein 16 Quadratmeter großes interaktives Modell präsent – doch wie der leitende NH-Planer Christoph Titze in freier Rede den komplizierten Entstehungsprozess dieses riesigen Projekts erzählt, das hat unmittelbare Kraft. Kurzum: Derart sorgfältig gestaltete „Oral History“ bringt so überraschende wie nötige Farben in die Architekturgeschichte.
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