Phantomschmerz am Kölner Stadtarchiv
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Phantomschmerz am Kölner Stadtarchiv
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Noch bis mindestens 2017 muss Köln sein Stadtarchivvakuum aushalten. Zur Zeit sind die Archivalien, soweit geborgen, im gesamten Bundesgebiet zur Restaurierung unterwegs. In der Severinstraße klafft ein riesiges Loch. Die Stadt hofft, dass die Zeit auch diese Wunde heilt, und hat mit einer Therapie aus Architektur und Städtebau begonnen. Doch vielen ist das zu einfach.
Aufgeräumt sieht es heute da aus, wo im März 2009 das Historische Archiv der Stadt Köln eingestürzt ist. Eine betriebsame, Baustelle gewaltigen Ausmaßes, so tief wie die U-Bahntrasse, so breit wie die drei Gebäude, die hier einmal standen. Kaum etwas weist hin auf die Trauer, die der Einsturz hinterlassen hat – wären da nicht die Heidekrauttöpfchen und Grabkerzen, die auf einem provisorischen Regalbrett am Bauzaun stehen, und 24 laminierte Tafeln von Reinhard Matz mit Sätzen, die eine Geschichte von Fehlern und Verlust erzählen. Auf diesem Ort lastet eine emotionale Hypothek, die alles, was hier passiert, unsensibel und banal erscheinen lässt – auch das Ergebnis des Wettbewerbs „Erweiterung des Gymnasiums Kaiserin-Augusta-Schule und städtebauliche Entwicklung des Georgsviertels“, den die Stadt im vergangenen Frühjahr ausgelobt hat. Der harmlose Titel verschweigt, dass die Einsturzstelle des Stadtarchivs mitten im Planungsgebiet liegt, dass also auch über einen Ort des Gedenkens nachgedacht werden sollte – und sei es nur im Maßstab der Stadtplaner. So wurde das Unglück an den Rand gerückt, und schon steht die Stadt wieder schlecht da.
Initiative und Mahnwache
Darüber, dass Zeit und Alltag das Unglück nicht in den Hintergrund drängen, wacht seit 2011 die bürgerschaftliche Initiative „ArchivKomplex“ (zunächst „STATT-ARCHIV“). Stellvertretend für die zahlreichen darin engagierten Künstler, Architekten, Nachlassgeber und Anwohner sprach die ehemalige Stadtkonservatorin Hiltrud Kier in einer öffentlichen Stellungnahme für die Initiative noch im Juni 2012 – der Wettbewerb lief bereits – vom Einsturzort als einer „eitrig entzündeten Wunde“ und warnte davor, diese mit stadtplanerischen Maßnahmen allzu schnell verschließen zu wollen. Stattdessen rief sie dazu auf, sich Zeit zu nehmen, um eine würdige Form des Gedenkens zu finden. Aus stadtplanerischer Sicht sind drei Jahre nur ein Wimpernschlag. Dass es so schnell zur Auslobung des Wettbewerbs gekommen ist, lag auch an der schon 2008 bewilligten Erweiterung der Kaiserin-Augusta-Schule, die einen Ganztagsbetrieb ermöglichen soll. Trotz der dringend notwendigen Schulerweiterung nahm sich die Stadt neun Monate Zeit für ein umfangreiches Bürgerbeteiligungsverfahren, um Perspektiven für das Archivgelände zu finden. Die Ergebnisse gingen in die Auslobung ein.
Blockrand mit Störkeil
Ende Oktober empfahl die Jury (Vorsitz: Zvonko Turkali) den Vorschlag des Leipziger Büros ZILA mit LTHX (Dresden) aus 25 eingereichten Arbeiten zur weiteren Bearbeitung. Mit einer konsequent fortgeführten Blockrandbebauung fasst der Entwurf den kleinteiligen Bestand zusammen und bildet eine deutliche städtebauliche Figur. Die im Blockinneren gelegene Schule rückt mit einem neuen Südflügel an den Blockrand vor. Zwischen diesem und dem geschlossenen Blockrand der Severinstraße ist eine um ein Geschoss eingegrabene Dreifeldsporthalle geplant, die, wie die Aula, auch unabhängig vom Schulbetrieb genutzt werden kann. Ein Fußweg erschießt den Blockinnenraum und die darin liegenden öffentlichen Gebäude. Den Eingang dieses Durchwegs bildet eine überhöhte vertikale Fuge in der Bebauung an der Severinstraße, die den Ort des Gedenkens baulich markiert. Auf dem Grundstück des ehemaligen Stadtarchivs soll der Auslobung entsprechend ein Gebäude mit noch unspezifischer kultureller Nutzung im Erdgeschoss entstehen. So könnte es gehen; ein Schritt nach dem anderen. Denn, so Baudezernent Franz-Josef Höing bei der Vorstellung der Entwürfe, „wir haben Zeit“. Praktisch bedeutet dies, dass bis zum Abschluss des Beweissicherungsverfahrens an der Einsturzstelle nichts außer dem U-Bahnschacht und einem Besichtigungsbauwerk gebaut werden wird. Unabhängig davon könnte, ja sollte mit der Schulerweiterung sofort begonnen werden, denn die Schule hat keine Zeit, keine Aula, keine Mensa, keine Sporthalle, kein Pädagogisches Zentrum und keine Vernetzung mit dem Stadtraum. Sie findet jedoch großen Gefallen am Entwurf der Leipziger Architekten, der alle ihre Probleme – unabhängig von dem, was drum herum passiert – lösen könnte. Wären da nicht Bedenken, dass der auf den Außensportanlagen zu erwartende Geräuschpegel nicht nur die Anwohner, sondern auch die geplante Gedenkstätte stören könnte. Doch die hat bisher weder Gestalt noch Funktion, ist wenig mehr als ein Bruch in der Straßenflucht, den Auslober wie Entwurfsverfasser selbst allerhöchstens noch als Platzhalter verstanden wissen wollen.
Rettungsanker Kunst?
Die Initiative ArchivKomplex lud bald zur Nachbesprechung des Wettbewerbs und kritisierte Verfahren und Ergebnis mit deutlichen Worten: „Die Chance, hier einen ganz besonderen Ort zu schaffen, der Geschichte und Erinnerung mit zukünftigem öffentlichen Leben vital verbindet, wird durch eine banale Blockrandbebauung verspielt.“ Die Bürgerinitiative stellt konkrete Forderungen an die Stadt, u.a. das Grundstück des Historischen Archivs nicht zu verkaufen und den Bürgerworkshop erneut einzuberufen. Die dargebotenen Alternativen zur weiteren Nutzung des Grundstücks reichen vom Amphitheater über hängende Gärten bis zur Markthalle für öffentlichen Gedankenaustausch – allesamt, von poetisch bis absurd, lassen sie doch vor allem deutlich werden, dass die Diskussion hier ganz bewusst noch auf einer anderen Ebene gehalten wird. Kann die Kunst retten, was die Architektur verbauen würde? Temporär gewiss, denn künstlerische Interventionen können auch unerwarteten Gedanken Gestalt geben. Warum also nicht die Zwangspause nutzen, um sich dem Ort des Gedenkens schrittweise zu nähern? So wie die Studenten des Experimentallabors -1/MinusEins von Mischa Kuball an der KHM, die im Sommersemester Lichtinstallationen für die Einsturzstelle entwickeln sollen. Was dort schließlich manifestiert werden wird, muss man heute noch nicht wissen, nur, dass es einen angemessenen Ort dafür geben wird.
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